Tara Brach

Nach Hause kommen zu sich selbst


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empfehlen, jeden Tag um dieselbe Zeit zu meditieren – meistens früh am Morgen, weil der Geist nach dem Aufwachen ruhiger ist als später am Tag. Doch die beste Zeit für Sie ist die Zeit, zu der es für Sie realistisch ist, regelmäßig zu sitzen. Für manche Menschen passt es besser, zweimal am Tag kürzer zu meditieren, einmal am Tagesanfang und einmal am Tagesende.

      Wie lange sollte man sitzen? Für die meisten Menschen stimmt eine Zeit zwischen 15 und 45 Minuten. Wenn Ihnen die Meditation noch ganz neu ist, mögen Ihnen 15 Minuten wie eine Ewigkeit vorkommen, doch mit etwas Übung wird sich dieser Eindruck wandeln. Wenn Sie jeden Tag sitzen, werden Sie bemerken, wie gut es Ihnen tut (mehr Ruhe und Besonnenheit), und Sie werden Ihre Meditationszeit wahrscheinlich ausdehnen wollen. Unabhängig davon, wie lange Sie meditieren, ist es am besten, die Zeitspanne vorher festzulegen und sich einen Wecker oder Timer zu stellen. Dann müssen Sie sich nicht in Gedanken darüber verwickeln, wann Sie aufhören sollen, und können sich wirklich auf die Meditation einlassen.

      Richten Sie sich nach Möglichkeit einen Platz her, der nur Ihrem täglichen Sitzen dient. Wählen Sie dafür einen geschützten, ruhigen Ort, wo Sie Ihr Kissen (oder Ihr Stuhl) immer erwartet. Vielleicht möchten Sie auch einen kleinen Altar aufstellen, mit Kerzen, inspirierenden Bildern, Statuen, Blumen, Steinen, Muscheln – was immer Ihnen schön, bewundernswert und heilig erscheint. Dies ist überhaupt nicht notwendig, aber es kann helfen, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen und Sie an das zu erinnern, was Sie lieben.

      ~ Die Praxis aufrechterhalten ~

      Es ist nicht immer leicht, eine regelmäßige Praxis aufrechtzuerhalten. Während der zwölf Jahre, die ich im Ashram lebte, konnte ich jeden Tag mit anderen zusammen praktizieren. Mit solcher Unterstützung war es mir selbstverständlich, jeden Tag Zeit für meine Meditation zu finden. Doch nachdem ich den Ashram verlassen hatte, war es nicht mehr so einfach. Kaum ein Jahr später wurde mein Sohn Narayan geboren, und ich stand mit einem Baby und einem zunehmend unregelmäßigen Tagesverlauf da.

      Eines Morgens fühlte ich mich beim Aufwachen besonders missmutig. Nachdem ich Narayans Vater angeschnauzt hatte, weil er beim Einkaufen etwas vergessen hatte, meinte er, ob ich mir nicht etwas Zeit zum Meditieren nehmen wolle. Ich drückte ihm das Kind in den Arm, sank vor meinem kleinen Altar nieder und löste mich sofort in Tränen auf. Mir fehlte der Rhythmus meiner Praxis so sehr. Es fehlte mir, mich selbst regelmäßig zu besuchen! Ich saß da, das Sonnenlicht flutete durch die Fenster, im Hintergrund hörte ich meinen Mann mit Narayan plaudern, und ich schwor mir, komme, was da wolle, jeden Tag Zeit zu finden, um in die Stille zu gehen und auf meine Erfahrung zu achten. Ich ließ mir allerdings eine Hintertür offen: Es war nicht wichtig, wie lange ich saß.

      Seitdem habe ich mir immer Zeit genommen. Meistens meditiere ich morgens 30 bis 45 Minuten, aber es gab Tage, vor allem, als Narayan klein war, an denen mir das nicht möglich war. Stattdessen setzte ich mich abends vor dem Einschlafen kurz auf meine Bettkante, entspannte bewusst meinen Körper und öffnete meine Wahrnehmung für meine momentanen Empfindungen und Gefühle. Nach ein paar Minuten sprach ich ein Gebet und schlüpfte unter die Bettdecke. Durch die Veränderungen meines Körpers ist es für mich schwieriger geworden, lange zu sitzen, deshalb mache ich jetzt öfter eine Stehmeditation. Doch mein inneres Versprechen, jeden Tag zu praktizieren, komme, was da wolle, war mir in meinem Leben eine sehr große Stütze.

      Für manche meiner Bekannten ist mein Ansatz eine Einladung zur Selbstbestrafung. Irgendetwas kommt dazwischen – eine schlimme Erkältung, frühes Einschlafen auf dem Sofa oder schlichtes Vergessen –, und das Versprechen ist gebrochen. Doch es geht darum, die Meditationspraxis zu genießen, nicht sich Stress damit zu machen. Wie Julia Child schon sagte: »Wenn Ihnen der Braten herunterfällt, heben Sie ihn einfach wieder auf. Wer merkt das schon?« Wenn Sie einen Tag nicht praktiziert haben oder eine Woche oder einen Monat, dann fangen Sie einfach wieder an. Das ist in Ordnung.

      Sie werden letztlich nur weitermeditieren, wenn es Sie bereichert. Und es ist schwer, sich bereichert zu fühlen, wenn es mechanisch wird, wenn Sie aufgrund von Schuldgefühlen praktizieren, wenn Sie sich dafür verurteilen, keine Fortschritte zu machen, oder wenn Sie sich in ein verbissenes Einzelkämpfertum zurückziehen. Einer der besten Wege, diese Fallen zu vermeiden, besteht darin, mit anderen zusammen zu praktizieren. Sie können sich an einen bestehenden Meditationskurs anschließen oder sich mit Freunden zusammentun und gemeinsame Erfahrungen machen. Wenn es Ihnen möglich ist, sollten Sie an einem Wochenend- oder Wochen-Retreat teilnehmen, um Ihre Praxis zu vertiefen und Ihr Vertrauen zu stärken, dass Sie friedvoll und achtsam werden können. Dies ist eine wundervolle Zeit in der Menschheitsgeschichte, um Meditation zu praktizieren! Es gibt immer mehr Ressourcen – CDs, Bücher, Podcasts, Lehrer und Mitmeditierende –, um sich auf diesem Weg unterstützen und begleiten zu lassen.

      Nach dem Sitzen: Meditationstraining und Alltag

      Der Autor und buddhistische Gelehrte Robert Thurman meinte mal im Scherz, die Buddhisten würden immer über die Praxis reden: »Üben, üben, üben! Ich möchte mal wissen, wann denn nun die Aufführung kommt?« Es gibt keine Aufführung, aber es gibt die Möglichkeit, in alltäglichen Momenten wacher zu sein, in denen man sonst in der Trance verloren wäre.

      Für Jeff und Arlene, das Ehepaar vom Anfang dieses Kapitels, war die Meditationspraxis ein zentraler Schritt, um ihre Beziehung zu retten. Wie ich es vielen Paaren empfehle, verabredeten auch sie, sich eine meditative »Auszeit« zu nehmen, wenn sie bemerkten, dass sie sich in einem ihrer Tänze aus Ärger und Abwehr verstrickten. Jeder von ihnen konnte um diese bewusste Pause bitten, und beide erklärten sich bereit, solch einer Bitte zu entsprechen. Sie setzten sich dann getrennt oder zusammen (sie experimentierten mit beidem) ruhig hin und nutzten die Fertigkeiten, die sie durch die formelle Praxis erworben hatten: Sie vergegenwärtigten sich ihre Absicht (sich für Präsenz und Liebe zu entscheiden); sie ließen die Geschichten der Schuldzuweisungen los; sie entspannten und beruhigten sich durch den Atem; und sie wandten sich ihren Ängsten und Verletzungen mit Präsenz zu. Nach zehn oder fünfzehn Minuten dieser Mini-Meditationen nahmen sie miteinander Kontakt auf, um zu sehen, ob sie bereit waren, ihr Gespräch wiederaufzunehmen. Ihr Kriterium dafür war, mit der eigenen Verletzlichkeit in Kontakt zu sein statt mit Schuldzuweisungen. Wenn einer von beiden mehr Zeit benötigte, ließen sie dies zu. Manchmal verabredeten sie auch, bis zum nächsten Tag zu warten. Doch meistens waren sie schon nach einer kurzen Meditation besser in der Lage, ihre eigentlichen Gefühle zu erkennen und sie offen mitzuteilen. Indem sie lernten, innezuhalten und sich für Präsenz zu entscheiden, entdeckten sie eine Ebene des Verstehens und der Zuwendung, die sie sich nicht hätten träumen lassen.

      Ich werde oft gefragt, was uns im Getriebe des Alltags helfen kann, uns an Präsenz zu erinnern. Meine erste Antwort lautet: »Innehalten.« Meine zweite Antwort ist: »Nochmals innehalten, ein paarmal bewusst atmen und entspannen.« Da wir ständig in die Zukunft taumeln, ist »Anhalten« die einzige Möglichkeit, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Selbst wenige Augenblicke unterbrochener Aktivität, Mini-Meditationen des Stillseins, können uns wieder mit unserer Lebendigkeit und Zuwendung verbinden. Diese Verbindung vertieft sich noch, wenn wir in jenen Augenblicken einen bewussten Kontakt mit unserem Körper und Atem herstellen und uns entspannen.

      Ein Spiel, das ich mit mir spiele, besteht darin, zu sehen, ob ich mich auch bei den alltäglichsten Handlungen spontan daran erinnern kann, innezuhalten. Geschirr abwaschen. Von meinem Büro in die Küche gehen. E-Mails durchsehen. Popcorn essen. Innehalten ist ein wundervoller und radikaler Weg, mich aus der virtuellen Realität herauszuziehen und mich an der Nabe des Rades selbst wiederzuentdecken, wach, offen und hier.

      Eine bewusste meditative Pause hilft uns, die häufig vergessene Schönheit und Güte wiederzuentdecken, die in uns und um uns ist. Eine Klientin, Frances, war niedergeschmettert, als ihre zwei Töchter die Ferien lieber mit ihrem Vater (Frances’ Exmann) als mit ihr verbringen wollten. »Mit dir macht es keinen Spaß, Mama, du kannst dich nicht entspannen«, sagte die eine. Als Frances protestierte, wiesen ihre Töchter sie darauf hin, dass sie immer geschäftig sei. Selbst beim Planen von Urlaubsaktivitäten sei sie ernst und angespannt. Frances musste zugeben, dass da etwas dran war. Als Älteste von fünf Kindern hatte sie sich nach der Erkrankung ihrer Mutter viel zu jung um ihre Geschwister kümmern müssen. »Ich kann nicht spielen«, gestand sie traurig. »Es ist mir viel vertrauter, beschäftigt