Skeptischer Zweifel
Der weite Raum
Der große, weite Raum
Die Liebe
Das Leben, der Alltag, das Jetzt
Dritter Teil: Hsin-hsin Ming
Vorwort zur deutschen Übersetzung
Vorwort zur englischen Übersetzung
Hsin-hsin Ming – Verse über das vertrauende Herz
Glossar
Danksagung
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich möchte Sie mit diesem Buch zu einer Reise einladen, einer Reise zu sich selbst.
Wenn wir mal ganz ehrlich sind, wissen wir eigentlich nicht wirklich, wer wir sind, und das, was wir glauben zu sein, kann sich immer sehr schnell ändern.
Was nehmen wir als unser persönliches Ich? Kann ich etwas sein, das sich ständig ändert? Gibt es da etwas, das sich nicht ändert? Diese und viele andere Fragen werde ich hier stellen.
Ob Sie eine letzte Antwort finden werden, weiß ich nicht.
Dieses Buch besteht aus drei Teilen.
Im ersten Teil stelle ich Alltagssituationen dar und beschreibe verschiedene Persönlichkeitsanteile in diesem ‚Lebensspiel‘. Einige dieser Betrachtungen sind den Fragen gewidmet: Wer erlebt das eigentlich alles? Was ist dieses ‚Ich‘, wer bin ich und was kann ich nicht sein?
Im zweiten Teil untersuche ich einzelne Persönlichkeitsanteile, lasse sie zu Wort kommen, zeige auf, dass wir diese verschiedenen Anteile haben, aber nicht sein können, und lade Sie dazu ein, das zu erkunden und in Kontakt mit Ihrer inneren Weite und Räumlichkeit zu kommen. Aber glauben Sie nichts, denn Sie sind immer Ihre eigene Autorität!
Der dritte Teil ist ein kleines Juwel. Es ist die Übersetzung eines der ältesten ZEN-Dokumente aus dem Jahre 606 n.Chr.
Mein alter Lehrer Ajahn Buddhadasa sagte einmal, dass etwas praktisch anwendbar sein müsse, damit es seinen Nutzen entfalten könne.
Dieses Buch hier möchte diesem Standard entsprechen und ich würde mir sehr wünschen, dass Sie einen praktischen Nutzen davon haben, der besonders im zweiten Teil angeboten wird.
Es ist mir eine Herzensangelegenheit, es in die Welt zu bringen in der Hoffnung, dass folgender Satz von Rumi zum Tragen kommt: „Das Wort, das aus der Seele spricht, das setzt sich ganz bestimmt ins Herz.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude und erkenntnisreiche Momente auf der Reise durch die Weite des Seins und zu sich selbst!
Mit guten Gedanken
Matthias Dhammavaro Jordan
ERSTER TEIL
Erfahre dein wahres Selbst
Geschichten
… wenn wir am Ende unseres Lebens
auf all das zurückschauen, was geschehen ist,
waren es alles nur Geschichten, die wir erlebten.
Aber genau genommen brauchen Sie gar nicht so lange zu warten, denn Sie haben ja schon eine bestimmte Wegstrecke Ihres Lebens zurückgelegt und können schon jetzt zurückschauen und die obige Betrachtung anstellen.
Wenn Sie in die Vergangenheit schauen, können Sie feststellen: Alles, was bislang geschah, hatte einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende. Alles, was bisher geschah und was Sie erlebten, waren nur Geschichten, die Einfluss, eine Qualität und eine richtungsweisende Wirkung hatten. Aber alle diese Geschichten haben Sie genau dahin gebracht, wo Sie jetzt sind, und das mitgestaltet, was Sie sind oder zu sein glauben, und sicherlich leben Sie auch gerade in einer oder mehreren Geschichten.
Jemand erzählte einmal dieses beeindruckende Gleichnis:
Angenommen, Sie werden bei Ihrer Geburt von einer Klippe hinunter in das Leben hineingeworfen. Der Aufprall unten ist Ihnen gewiss, aber wann, wer weiß das schon?
Und während Sie so fallen, machen Sie alle diese Lebenserfahrungen: Sie erleben die Kindheit und die Schulzeit, die Beziehungen zu all den Menschen um sich herum, die in die gleiche Richtung fallen. Hier ein kleiner Konflikt, dort ein Erfolg, dann die vielen Sorgen um die Zukunft, Ängste und depressive Verstimmungen, eine kleine Freude hier und dort, ein Mensch, der kommt, ein anderer, der Sie verlässt, und während Sie das alles so erleben, rauschen Sie im freien Fall immer näher dem Aufschlag entgegen.
Manche Menschen bleiben an einem Felsvorsprung hängen und schlagen dort auf, vielleicht nach 10, 20, 30 oder erst 80 Jahren des freien Falls.
Sie aber, und andere um Sie herum, fallen weiter und immer weiter dem sicheren Aufschlag entgegen.
Wenn Sie sich der Tatsache Ihrer eigenen Endlichkeit bewusst werden und diese Tatsache wirklich anerkennen, kann das zu bestimmten Konsequenzen führen.
Auf den kommenden Seiten lade ich Sie zu verschiedenen Betrachtungen ein. Ich werde Ihnen Geschichten erzählen, Lebensereignisse beschreiben, Vermutungen aufstellen, Religionen und weise Menschen zu Wort kommen lassen und hoffe, Sie auf eine kontemplative Reise mitnehmen zu können, die viel Raum für eigene Erkenntnisse lässt.
Einen Anfang finden
und ‚von hinten‘ schauen
Manchmal kann die Betrachtung von einem Ende der Anfang für etwas Neues sein, für eine neue Haltung, eine neue Sicht, einen neuen Lebensabschnitt, ein verändertes Leben. Es werden neue Prioritäten gesetzt, wie auch immer sich das für den einzelnen auswirkt.
Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte,
würde ich im nächsten Leben versuchen,
mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen.
Ich würde mich mehr entspannen.
Ich wäre ein bisschen verrückter,
als ich es gewesen bin.
Ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben.
Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,
Sonnenuntergänge betrachten,
mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.
Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;
freilich hatte ich auch Momente der Freude,
aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen,
nur mehr gute Augenblicke zu haben.
Falls Du es noch nicht weißt,
aus diesen besteht nämlich das Leben;
nur aus Augenblicken, vergiss nicht den jetzigen!
Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn
an bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
wenn ich das Leben noch vor mir hätte.
Aber sehen Sie, ich bin 85 Jahre alt und weiß,
dass