einzige Mädchen. Doch empfand sie diese Situation überhaupt nicht als unangenehm. Sie war von der Biologie fasziniert. Außerdem erklärte sie schnell, dass es ihre Berufung sei, Ärztin zu werden, etwas, das in Italien vor ihr noch keine Frau erreicht hatte. Ein absoluter Skandal! In dieser Zeit durften keine Frauen die medizinische Fakultät besuchen. Die Familienmitglieder und Freunde waren schockiert und gegen diese Entscheidung, und insbesondere ihr Vater verbot ihr, ihren Berufswunsch umzusetzen.
Nach einer langen Odyssee durfte sie schließlich studieren. Dennoch war dies sehr schwierig, weil ihr Vater strikt bei seiner Meinung blieb. Sie wurde nur von ihrer Mutter unterstützt, die an ihren Erfolg glaubte. Erst 1896, als Maria ihre Abschlussrede in Anwesenheit ihres Vaters hielt, erkannte dieser beim Anblick des begeisterten Publikums seinen Stolz, die erste Ärztin Italiens zur Tochter zu haben.
Die ersten Engagements
Nach ihrem Studium wurde sie 1896 als Delegierte Italiens zum Feministinnenkongress in Berlin geschickt. Anschließend ging sie nach London, um die Arbeitsbedingungen für Frauen und Kinderarbeit in den Bergwerken von Sizilien anzuprangern. Sie unterstützte Königin Victoria, die eine Bewegung gegen Kinderarbeit ins Leben rufen wollte. Bereits hier war ihre Sensibilität für dieses Thema deutlich zu erkennen.
In den Jahren 1897 und 1898 besuchte sie Kurse in Pädagogik an der Universität Rom und las alle Arbeiten, die in den letzten zwei Jahrhunderten auf dem Gebiet der Pädagogik und Philosophie geschrieben wurden. Sie interessierte sich besonders für die Studien von zwei französischen Ärzten: Jean Itard und Édouard Séguin, die sich durch ihre Arbeit an Kindern mit geistigen Defiziten auszeichneten. Gefesselt von deren Forschungen, wusste sie ab diesem Zeitpunkt, dass der Bildung ihr ganz besonderes Interesse galt.
Jean Itard (1774–1838)
Jean Itard war Mediziner an einem Institut für Gehörlose. Er ist bekannt für seine Arbeit an der Ausbildung eines Jungen, der wie ein Wilder in den Wäldern des Departements Averyon lebte. Mit dieser Arbeit versuchte er zu beweisen, dass Kindern mit Defiziten durch ein System der Pädagogik und nicht nur durch Medizin geholfen werden kann.
Édouard Séguin interessierte sich während seines Studiums bei Jean Itard speziell für geistig behinderte Kinder. Mithilfe von selbst erstellten Unterrichtsmaterialien gelang es ihm, einigen dieser Kinder das Lesen und Schreiben beizubringen.
Das Geheimnis
Am 31. März 1898 gebar Maria Montessori ihren Sohn Mario, der aus einem Verhältnis mit ihrem Kollegen Dr. Montesano entstanden war. Auf den Druck beider Familien hin wurde die Geburt geheim gehalten. Der Säugling wurde in eine Pflegefamilie gegeben, weit weg von Maria am Rande von Rom. Sie besuchte ihn regelmäßig, verriet ihm aber nicht, dass sie seine Mutter war. Zu dieser Zeit hätte ein uneheliches Kind ihre Karriere ruiniert und alle Hoffnung auf Veränderungen zunichtegemacht.
Die Trennung erwies sich jedoch als sehr schmerzhaft, deshalb vertiefte sie sich in ihre Arbeit, mit dem Wunsch, allen Kindern eine bessere Zukunft zu verschaffen, worin sie Motivation fand. Mario lebte erst ab 1912 bei Maria, nach dem Tode ihrer Mutter.
Der Aufstieg
Inspiriert durch die Arbeit von Jean Itard und Édouard Séguin, begann Maria Montessori, Vorträge über die Notwendigkeit eines spezifischen Unterrichts für Kinder mit Defiziten zu halten. Ihr Engagement führte zur Gründung einer staatlichen Schule für behinderte Kinder in Rom. Maria Montessori leitete diese Schule von 1899 bis 1901. Sie nahm sich die Zeit, die Reaktion der Kinder auf den von ihr angebotenen Unterricht zu beobachten und zu analysieren. So stellte sie fest, dass sich Kinder, die als »zurückgeblieben« galten, mit diesen neuen und angepassten Methoden in überraschender Weise entwickelten, sogar lesen und schreiben lernten und einige von ihnen sogar staatliche Prüfungen bestanden. Angesichts des Erfolgs ihrer Methoden, die von allen um sie herum als wundersam angesehen werden, stellt sich Maria die Frage: Was würde passieren, wenn dieselben Methoden bei Kindern ohne Behinderung angewendet würden? Wie würden »normale« Kinder reagieren, wenn man sie in ihrer Entwicklung anregt, statt sie zu unterdrücken und zurückzuhalten? Dies waren die ersten Schritte zur »Montessori-Pädagogik«.
Wissensdurst
Mit 30 Jahren hatte Maria Montessori bereits außergewöhnlichen Erfolg und war in ihrem Gebiet eine anerkannte Größe. Jetzt gab sie nicht nur die Leitung der Schule auf, sondern auch die Medizin, um Anthropologie, Hygiene, experimentelle Psychologie und pädagogische Philosophie zu studieren! Kurz gesagt, alles, was ihr helfen sollte, die Gründe zu verstehen, warum so viele Kinder in der Schule scheiterten, obwohl diese ihnen eigentlich helfen sollte. Sieben Jahre lang forschte sie ohne Unterlass und vertiefte außerdem ihre Studien zu den Arbeiten von Séguin und Itard.
Das Kinderhaus – Casa dei Bambini
Im Jahr 1906 erlebte Maria Montessori im Alter von 36 Jahren eine völlige Veränderung ihres Lebens. Ein Immobilienmakler beschloss, Gebäude in einem armen Viertel von Rom, in San Lorenzo, zu erbauen. Von Beginn an war seine Vorstellung, »Hausschulen« zu errichten, weil er festgestellt hatte, dass die kleinen Kinder, während ihre Eltern arbeiteten, sich selbst überlassen waren und die Wohnungen verwüsteten.
Maria Montessori wurde vorgeschlagen, die Leitung dieses Projekts zu übernehmen. Dies führte schließlich zur Schaffung des ersten Casa dei Bambini, des ersten Kinderhauses. Maria Montessori fing an, diese Räumlichkeiten mit einem sehr kleinen Budget einzurichten. Sie ließ Tische und Stühle in einer für die Kinder geeigneten Größe herstellen, anstelle der Pulte, die in den herkömmlichen Schulen verwendet wurden. Zu diesem Zeitpunkt begann sie auch, Lehrmaterial zu schaffen, ähnlich demjenigen, das sie für die defizitären Kinder verwendet hatte. Am 6. Januar 1907 hielt Maria ihre Rede bei der Eröffnungsveranstaltung.
Das Wunder des Lehrmaterials
Maria Montessori brachte in das Kinderhaus das Lehrmaterial mit, das sie kreiert hatte, und zu dem sie sich von Itard und Séguin hatte inspirieren lassen. Von Freunden angebotene Spielsachen, Papier und Buntstifte kamen hinzu. Maria Montessori verstand schrittweise, wo man die Kinder bisher unterschätzt hatte.
Ihre Entdeckungen waren außergewöhnlich, vor allem in Hinblick auf das Verhalten der Kinder. Sie stellte fest, dass Kinder höchste Konzentration beweisen, wenn sie spontan das Lehrmaterial auswählen dürfen, mit dem sie arbeiten wollen. Sie bemerkte auch, dass sie immer wieder dieselbe Geste wiederholen musste, und schloss daraus, dass dieses Bedürfnis nach Wiederholung für die Kinder psychisch notwendig ist, ebenso wie das Bedürfnis nach Ordnung. Je genauer ihre Beobachtungen wurden, desto mehr schien sie zu verstehen. Und tatsächlich entdeckte sie durch die Beobachtung der Kinder die wichtigsten Prinzipien dessen, was zu ihrer Pädagogik werden sollte.
Das Haus wird größer
Im Laufe der Zeit zeigten die Kinder des Casa dei Bambini eine erstaunliche Disziplin. Sie arbeiteten konzentriert, wählten das Lehrmaterial und räumten es nach der Verwendung wieder auf. Sie waren freie Wesen, unabhängig, für ihre eigenen Handlungen verantwortlich und respektierten dennoch die Autorität.
Im April 1907, drei Monate nach der Eröffnung der ersten Schule, folgte ein zweites Kinderhaus in einem anderen Arbeiterviertel. Menschen aus der ganzen Welt, Lehrer, Journalisten und Religionsführer kamen, um die Kinder zu beobachten. In den nachfolgenden Jahren erweiterte Maria Montessori die Anwendung ihrer Methode auf ältere Kinder sowie auf Kinder aus mittleren und oberen sozialen Klassen.
Ave Maria
War sie im Jahr 1906 noch relativ unbekannt,