Im Jahr 1906 wurde ihr das Projekt des ersten Kinderheims in San Lorenzo angeboten (siehe Kapitel 2). Hier baute sie Möbel in der richtigen Größe für die Kinder ein, schuf ein sauberes Umfeld und stellte das Material in einem großen Schrank zur Verfügung. Von da an begann sie auch, die Materialien immer besser an die Bedürfnisse der Kinder anzupassen.
Sie hatte ein Auge dafür, Gesten und Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie halfen ihr dabei, ihre Methode umzusetzen. Ihr vorrangiges Ziel war es, das Kind zu begreifen und es dann besser zu erziehen. Heute sind Maria Montessoris Forschungen durch die Neurowissenschaften belegt und zeugen von einer wissenschaftlich fundierten Arbeit sowie Fortschrittlichkeit.
Die Methode des Kindes
Die ganze Welt spricht von der Montessori-Methode. Maria Montessori selbst hatte niemals gewollt, dass diese Methode ihren Namen trägt. Sie bezeichnete sie als die »Methode des Kindes« – das war der erste Name der »wissenschaftlichen Pädagogik, die für die Ausbildung von Kindern in Kinderhäusern« verwendet wurde. Dieser Name wurde jedoch als zu lang betrachtet. Nachdem ein englischer Journalist vorschlug, ihn durch »die Montessori-Methode« zu ersetzen, wurde diese Bezeichnung von weiteren englischsprachigen Autoren und schließlich von der ganzen Welt übernommen!
Das Kinderhaus
Das Kinderhaus? Was ist das? Wir stellen uns womöglich ein zauberhaftes, im Wald verborgenes Haus mit den sieben Zwergen vor! Ganz so ist es nicht, aber dennoch steht die Idee dahinter, dass es für Kinder maßgeschneidert ist. Das erste Casa dei Bambini – so der ursprüngliche Name – entstand in einem stark bevölkerten Viertel von Rom (siehe Kapitel 2).
Um die in Slums lebende Bevölkerung neu zu gruppieren und das Leben im Viertel zu verbessern, beschloss die Gemeinde 1906 den Bau von zwei Gebäuden. Und es war Maria Montessori, die gebeten wurde, das Leben der Kinder so zu organisieren, dass sie nicht mehr auf der Straße herumlungerten, während ihre Eltern Arbeit suchten. So wurde im Gebäude ein Kinderhaus eingerichtet, in dem alles für Kinder vorgesehen war – ein Raum, um den sie sich kümmern mussten.
Maria Montessori hatte zunächst nur Zeit, den großen Raum, der den Kindern als Klassenzimmer dienen sollte, neu streichen zu lassen, kleine Tische und Stühle aufzustellen, die noch sehr schwer waren, sowie einen großen abschließbaren Schrank zur Aufbewahrung von Lernmaterial. Die Kinder freuten sich sofort über das saubere weiße Haus, die neuen Tische und Stühle und die speziell für sie entworfene Ausstattung. Die einfache Tatsache, ihnen eine schöne und angepasste Umgebung zu bieten, war der Ausgangspunkt, um eine gelassene, friedliche und arbeitsorientierte Atmosphäre zu schaffen. Vor Ort lebend, hat Maria Montessori in Zusammenarbeit mit den Eltern diesen Ort zu einem bemerkenswerten Arbeitsplatz für die Kinder gemacht, an dem sie beobachten und lernen konnten. Noch heute werden Montessori-Schulen als Kinderhäuser bezeichnet.
Universell anwendbar
Auch wenn Maria Montessori ihre Methode zunächst dafür konzipiert hatte, um mit sogenannten defizitären Kindern oder Kindern aus den überfülltesten Klassen in Rom zu lernen, bedeutet dies keineswegs, dass ihre Pädagogik nur für schwierige Fälle reserviert ist. Ganz im Gegenteil!
Die Montessori-Methode ist außergewöhnlich, weil sie universell anwendbar ist. Ihre Wirkungen sind an allen Kindern zu erkennen, unabhängig von ihrem Lebensstandard oder dem Ort, an dem sie leben. Ebenso außergewöhnlich ist, dass die Methode die Zeit überdauert hat – sie ist heute genauso aktuell wie vor hundert Jahren, weil Kinder ab der Geburt immer dieselben Bedürfnisse haben. Man muss verstehen, dass die Montessori-Methode auf einem tiefen Respekt vor dem Rhythmus des Kindes und seiner eigenen Persönlichkeit basiert, sodass sein ganz eigener Charakter zum Vorschein kommen kann. Maria Montessori zeigt, dass sich das Kind, wenn sein Rhythmus respektiert wird, als ruhig, gelassen, mutig und fleißig erweist. Es wird alles getan, um diesen Rhythmus zu schützen und die Entwicklung des Kindes zu fördern.
Von 0 bis 99!
Die Montessori-Methode hat die großartige Eigenschaft, dass sie für alle Altersstufen geeignet ist. Es gibt immer mehr Montessori-Kitas, -Kindergärten, -Schulen und sogar -Gymnasien. Und schon zu Zeiten Maria Montessoris wurde darüber nachgedacht, sogar Montessori-Universitäten zu gründen!
Heute erzielt die Methode sehr gute Ergebnisse und funktioniert sogar bei älteren Menschen. In der Tat ist der Begriff »Methode« nicht wirklich angemessen, um all das zu beschreiben, was Maria Montessori aufgebaut hat. Man könnte vielmehr, wie sie es vorschlägt, von einer »Hilfe für den Menschen zur Eroberung seiner Selbstständigkeit« sprechen. Und wir wollen doch alle unabhängig sein!
Der Ausgangspunkt ist die Persönlichkeit aller Menschen, über die einfache Erziehungsmethode hinaus, was erklärt, warum diese Pädagogik nicht auf ein bestimmtes Alter beschränkt ist. Alle Männer und Frauen waren einmal Kinder, jene vollwertigen Wesen, auf denen die ganze Persönlichkeit aufbaut. Wenn wir die Erziehung von Kindern und Jugendlichen untersuchen, erhalten wir ein besseres Verständnis für die vielen menschlichen Tatsachen in allen Lebensaltern.
Die großen Lernbereiche
Die Montessori-Pädagogik kann in fünf große Lernbereiche unterteilt werden. Im Klassenzimmer werden diese verschiedenen Richtungen in jeweils in sich abgeschlossenen Bereichen angeordnet. Auf diese Weise kann sich das Kind unter den besten Bedingungen zurechtfinden.
Übungen des praktischen Lebens
Dies betrifft die alltäglichen Aufgaben, die von den Familienmitgliedern bewerkstelligt werden. Außerdem fallen alle Aktivitäten innerhalb des Hauses und in der unmittelbaren Umgebung darunter. Dank der Materialien für das praktische Leben lernt das Kind ab dem Alter von 2 Jahren, sich zu konzentrieren, nachzudenken, seinen Arbeitsbereich zu organisieren und in einer festgelegten Ordnung Handlungen durchzuführen, um ein Ergebnis zu erzielen. Beispiele: einen Stuhl tragen, Gießübungen, Pflege von Pflanzen und so weiter.
Sensorische Materialien
Hier geht es um die Ausbildung der fünf Sinne, die in der Montessori-Pädagogik sehr wichtig sind. Dazu wird geeignetes pädagogisches Material verwendet (Würfel, Zylinder, Tafeln mit Aussparungen, Stoff, bewegliche Buchstaben und vieles mehr). Das Kind lernt schrittweise Farben, Volumen, Körper, Gewicht und Material kennen. Das sensorische Montessori-Material hilft dem Kind, zu unterscheiden, zu klassifizieren und neue Informationen in den Rahmen einzuordnen, den es bereits kennt. Nach Maria Montessori ist dieser Prozess der Beginn eines bewussten Wissens.
Sprachmaterial
Hierbei handelt es sich um alle mit dem Wort und dann mit der Schrift verbundenen Tätigkeiten. Die Sprache ist Teil des menschlichen Lebens, und zu sprechen, ist von Geburt an ein interner Mechanismus. Kurze Zeit später untersucht das Kind, woher diese »Musik« kommt, die den Lippen des Mundes entspringt. Es will unbedingt die Bewegungen untersuchen und sie später nachmachen. Maria Montessori hat entdeckt, dass ein Kind, damit es sprechen kann, Klänge hören und Erfahrungen mit der Sprache machen muss.
Mathematikmaterial
Dazu zählt alles, was mit Abstraktion und Mathematik zu tun hat. Die Montessori-Pädagogik schlägt eine Vielzahl praktischer Aktivitäten vor, um das Interesse für die Mathematik zu wecken. Alle Konzepte werden anhand konkreter Lernmaterialien betrachtet, womit das Verständnis erleichtert wird und solide Grundlagen geschaffen werden. Die Pädagogik basiert außerdem darauf, das Kind