Wenigstens nicht gegen ihren Willen. Ich heiße übrigens Inge Weber.«
»Angenehm, Dorothee Wenzel.«
»Dorothee Wenzel... Ach, Sie sind D & D?«
»Ein Teil davon.«
»Mein Kompliment. Die Steinbergs können stolz auf ihr Haus sein.«
»Vielen Dank.« Eine Frau, die nicht viel aus sich machte, urteilte Dorothee geringschätzig. Aber ganz nett. Und eine gute Tarnung dafür, dass sie weiterhin in den Garten schauen und das Paar beobachten konnte, das äußerst lebhaft diskutierte.
Weinert las den Bericht zwei Tage später und hatte die Blätter schon vor Wut zusammengeknüllt, als er sich besann, sie glättete und in die Akte heftete. Was Dieter Wenzel über Achim Schönborn rapportierte, war längst bekannt, und diese dumme Gans von Doro hatte überhaupt nicht geschnallt, mit wem sie da ins Gespräch gekommen war. Stattdessen kaum kaschierte Anspielungen auf Georg von Neumühl und Marga; er musste den offensiven Offizier einmal anrufen und ihn warnen, dass man ihm eine Beziehung zu Margarete von Wengern andichtete. Einem Kollegen vom MAD half er gerne und ganz und gar nicht uneigennützig.
Also ein Schuss in den Ofen! Und den musste er zum Teil auf sein eigenes Konto verbuchen, weil er Informationen zurückgehalten hatte.
Samstag, 16. September
Die schwarze Schönheit brachte Rogge den Kaffee und sah ihn zum ersten Mal offen an. »Guten Morgen, Herr Rogge.«
»Guten Morgen, Frau Lohse.«
Seine private Neugier hielt sich in Grenzen, aber Rogge hätte doch gern einmal Mäuschen gespielt, um zu hören, wie die Eheleute miteinander umgingen. Die Moralvorstellungen auf einem Dorf mochten noch fester, rigider sein als in der Stadt, aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass eine Frau ihres Kalibers sich mit einem widerlichen Grobian wie Olli verheiraten ließ, nur weil sie ein Kind erwartete. Vor hundert Jahren - vielleicht, doch nicht heute. Ob Gertrud ihm dieses Rätsel erklären konnte?
Der Motor hustete und protestierte, nach so langer Ruhezeit wollte er erst nicht anspringen, Rogge trat der Schweiß auf die Stirn. Er fuhr nicht über die Feltenwiese, sondern benutzte brav die reguläre Autobahnauffahrt Dreschbach/Bellhorner Berge.
Die Freifrau bestaunte ihn wie den Mann vom Mond: »Dich gibt’s noch?«
»In voller Größe und Schönheit. Ich wollte nur meinen Glückwunsch abladen.«
»Für das Urteil gegen Gillbrecht? Dann komm mal rein.«
Im Wohnzimmer umkreiste sie ihn und lobte: »Das trifft sich gut. Du hast zu- und ich hab abgenommen.«
»Was?«
»He? Bist du blind für die schlanke Schönheit, die vor dir steht?«
»Ich will nicht bestreiten, nicht einmal anzweifeln, dass du abgenommen hast, aber ich soll zugenommen haben?«
»Und ob. Es steht dir gut!«
»Dir auch. Aber ansonsten spinnst du wie immer.«
»Nix. Dieser Rock hat zwölf traurige Monate im Kleiderschrank verbracht, weil ich den Nähten und dem Reißverschluss nicht mehr trauen konnte, und nun sieh selbst!«
»Er sitzt so, dass man ihn gerne beseitigen möchte«, antwortete er listig, aber sie schwenkte den ausgestreckten Zeigefinger vor seiner Nase hin und her: »Erstens kommst du zu spät, ich habe eine Verabredung, und zweitens mag ich keine anzüglichen Komplimente.«
Rogge durfte den Verweis nicht schweigend wegstecken: »Alle Menschen werden prüder.«
»Dichtete Schiller und übersah auf der Korrekturfahne den Druckfehler.«
Dass Rogge es vier Tage im Stockauer Bären ausgehalten hatte, beeindruckte Dörte, aber bei der Begründung für seinen Recherchenurlaub schüttelte sie zweifelnd den Kopf: »Das ist verdammt weit hergeholt, lieber Jens.«
»Kein Widerspruch. Aber alles andere hat Grem wirklich gründlich untersucht. Bis eben auf diesen Punkt: Kann es Zeugen auf dem Parkplatz gegeben haben?«
»Und du hoffst...«
»Hoffen ist der richtige Ausdruck.« Jetzt schwenkte Rogge seinen Zeigefinger vor ihrer Nase: »Alles verrate ich nicht, Frau Staatsanwältin.«
»Aber hoffentlich, wie lange du da noch rumhängen willst.«
»Erst mal die nächste Woche noch. Wenn das Wetter so schön bleibt.«
Die Unterredung mit Simon verlief nicht so erfolgreich, wie Rogge sich das vorgestellt hatte. Der Kriminalrat musterte ihn kühl und hörte wortlos zu; dass Rogge sich einfach so für eine Woche verabschiedet hatte, wurmte ihn.
»Sie haben mir den Fall aufgedrängt.«
Nach einer Weile zuckte Simon mit den Schultern.
»Ich decke auch nicht immer alle Karten gleich auf, aber mich stört, dass Sie nicht einmal zugeben wollen, dass Sie noch Karten in der Hinterhand haben.«
»Das vermuten Sie nur«, berichtigte Simon höflich.
Darauf antwortete Rogge nicht und für drei lange Minuten trat ein unbehagliches Schweigen ein. Beide beherrschten sie die Kunst, den Mund zu halten und sich nicht nervös machen zu lassen. Im Präsidium war Simon immer äußerst korrekt gekleidet, Anzug, einfarbiges Hemd und dezente Krawatte; mit Sakko und Hose fiel er schon auf. Nun hatte Rogge an der Tür geblinzelt: Den Kriminalrat in Kordhosen und Sweatshirt hatte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Auch nicht, dass sein Chef einem Hobby frönte. Aber Simon hatte ihn ohne jede Erklärung in den Keller des Reihenhauses geführt, wo eine riesige Modelleisenbahn aufgebaut war, an der er gerade bastelte. Die Platte für den großen Rangierbahnhof füllte fast einen ganzen Raum und aus diesem Raum liefen Schienen in die Nachbarkeller, auf schmalen Brettern montiert, die mit Winkeleisen an den Wänden befestigt waren. Das Ganze wurde digital gesteuert, Simon hatte an einer Platine gearbeitet und mit einem leisen Seufzer den Lötkolben ausgeschaltet, auf den er immer wieder sehnsüchtig schielte, während Rogge seine Geschichte vortrug und seinen Wunsch äußerte: »Das ist nicht mehr unser Bezirk und Sie müssten klären, wer den Einsatz übernimmt.«
Die Eisenbahn imponierte Rogge. In der Anlage mussten einige zehntausend Mark stecken.
»Also gut«, urteilte Simon schließlich knapp. »Wenn Sie meinen, es sei einen Versuch wert ...«
»Ich möchte noch die nächste Woche im Bären bleiben. Auf der Feltenwiese werde ich mich nicht mehr blicken lassen, die Amateurprostituierten interessieren nicht.«
»Aber ihre Freier ...«
»Nur so weit, wie man sie befragen könnte.«
»Schön. Sie vermuten Hehlerei?«
»Wenn dieser Junge von dem Ökohof nicht übertrieben hat ja. Aber auch das raubt mir nicht den Schlaf.«
»Mit anderen Worten - Sie glauben, dass diese Inge Weber nicht zufällig auf diesem Parkplatz gestrandet ist?«
»Glauben wäre zu viel gesagt. Aber ich akzeptiere Grems These von der zufälligen Strandung nicht mehr ohne Vorbehalt.«
»Eine solche Formulierung würde Ihre Staatsanwältin begeistern«, kommentierte Simon trocken. »Aber nach meiner Aktenkenntnis scheint Inge Weber nicht in das Schema einer Gelegenheitsnutte zu passen.«
»Nein, das unterstelle ich auch nicht. Aber was, wenn sie Zeugin einer Straftat geworden ist?«
»Sicher, möglich ist fast alles. Aber die Amnesie ist damit noch immer nicht erklärt.«
»Ich bin noch keine Woche dran, Herr Simon.«
Der Einwand vergrätzte den Kriminalrat, weil er nicht widersprechen konnte. »Na schön, ich will sehen, was ich tun kann.«
»Gut, danke,