der Hinkende: »Noch ein Bier.«
Gertrud ließ sich nicht beeindrucken, auch die beiden Männer am Tresen reagierten nicht und Rogge murmelte, scheinbar besorgt: »Der hat den Kanal eigentlich schon voll.«
»Benno?«, schnappte der junge Mann. »Der hört erst auf, wenn ihm das Bier aus den Ohren tröpfelt.«
»Benno? Und wie weiter?«
»Brockes.« Nach kurzem Zögern setzte der junge Mann hinzu: »Benno der Kotzbrocken.«
»Jo!«, mahnte Monika.
»Ist doch wahr.«
Thelen zuckte die Achseln. Rogge ließ absichtlich eine halbe Minute verstreichen, bevor er gleichmütig fortfuhr: »Es muss auch solche Typen geben.«
Monika griff nach Thelens Hand, der sie zuerst zurückziehen wollte, dann aber tief Luft holte, weil er sich unter Rogges forschendem Blick zu einer Art Erklärung genötigt fühlte: »Benno und seine so genannten Freunde machen uns das Leben schwer, wo sie nur können.«
»Warum denn das?«
»Ich wohne auf dem Scherkenhof.«
»Tut mir Leid, das sagt mir nichts.«
»Ein Ökohof.« An der Art, wie Thelen die beiden Wörter herausstieß, war leicht zu erkennen, dass der junge Mann Kritik oder Spott erwartete und deshalb wie ein Igel in Verteidigungsstellung gegangen war.
Den Gefallen würde Rogge ihm nicht tun.
»Seit wann hat der Bauer umgestellt?«
»Seit vier Jahren.« Rogges Frage hatte Thelen verblüfft und Rogge meinte gutmütig: »Dann haben Sie ja das Schlimmste hinter sich.«
Auch Monika staunte ihn an. Aus den Augenwinkeln verfolgte Rogge, wie Gertrud dem Hinkenden das Glas hinknallte, als würde sie es ihm am liebsten an den Kopf schmeißen.
»Verstehen Sie was von ökologischer Landwirtschaft?«
»Nein. Wenigstens nicht viel. Eine Bekannte hat Landwirtschaft studiert und einen Hof im Münsterland übernommen, den sie umgestellt hat. Von ihr weiß ich etwas über die Schwierigkeiten.«
Thelen entspannte sich, auch Monika atmete auf, und als Gertrud sich wieder zu ihnen setzte, schaute sie erleichtert von einem zum anderen.
»Zum Wohl.« Er trank langsam, die drei jungen Leute hatten nicht zufällig zusammengesessen, das war ihm klar, und nun musste Rogge noch herausfinden, warum Gertrud ihn an den Tisch eingeladen hatte.
»Nee, über den Berg sind wir noch nicht«, sagte Thelen plötzlich. »Aber es sieht so aus, als würden wir es schaffen.«
»Wir?«
»Wir sind eine Kommune.« Wieder zeigte Thelen diese aggressive Abwehr, als wolle er sich im Voraus jede hämische oder kritische Bemerkung verbitten. Doch Rogge hatte ihm mindestens dreißig Lebensjahre und fünfundzwanzig Berufsjahre bei der Kripo voraus, komplizierte Gesprächspartner beeindruckten ihn nicht.
»Ja, so was kenne ich.« Er lächelte flüchtig. »Irgendwann wird sich die EU überlegen müssen, ob der bäuerliche Familienbetrieb neben den Agrarfabriken wirklich das A und O ist.«
Irgendwie schien Thelen enttäuscht, dass er auf Verständnis stieß. Auf Rogge machte er den Eindruck eines anständigen, aber ziemlich unreifen jungen Mannes, dem zum stoßfesten Selbstvertrauen noch viel fehlte.
»Sind Sie Landwirt?«
»Nein, gelernter Elektriker.«
»Aha. Und Sie, Frau ...«
»Ziegler.«
»Leben Sie auch auf dem Hof?«
»Nein, ich bin Arzthelferin.« Ein merkwürdiger Stolz klang durch. Sie stand auf eigenen Füßen und das schien sie bei aller Liebe auch von ihrem Freund zu erwarten, der den versteckten Vorwurf sofort parierte: »Moni, noch drei Jahre, dann haben wir’s gepackt.«
»Hoffentlich!«, versetzte sie spitz. Gertrud hüstelte nervös und ihr zu Gefallen meinte Rogge bedächtig: »Warum nicht? Meine Bekannte hat sich auch durchgebissen, allerdings war und blieb das größte Problem für sie die Direktvermarktung.«
»Für uns auch«, gab Thelen zu, vielleicht nur erleichtert, dass er einen uralten Streit mit seiner Freundin in Gegenwart eines Fremden nicht aufwärmen musste.
»Mein Eindruck ist, dass die Ökologen eine Menge vom Anbau verstehen, zu lang aber zu stolz waren - oder zu große Individualisten -, um eine ertragreiche Vermarktungsorganisation aufzubauen. Haben Sie denn einen festen Großabnehmer?«
»Einen. Ein Golfhotel.« Thelen verzog das Gesicht und Rogge erlaubte sich zum ersten Mal etwas Spott: »Wissen Sie, es gibt den schönen Spruch: Wenn du sie nicht unterkriegen kannst, verbünde dich mit ihnen.«
Darauf seufzte Thelen schwer und Gertrud kicherte: »Jo will den Bären beliefern, weigert sich aber, einmal eine Preiskalkulation für unsere Speisekarte zu machen. Wir müssen schließlich auch leben.«
»Olli schwimmt doch auf Bier.«
»Klar, mit dem Essen kämen wir nicht über die Runden.«
»Ihr müsstet ja nicht sofort alles umstellen ...« Auch dieser Streit schien nicht neu zu sein, Gertrud wehrte sich gelassen und nach einiger Zeit tauschte Rogge einen amüsierten Blick mit Monika. Sie tat zwar so, als langweile sie dieser Disput, aber den Stolz auf ihren Freund konnte sie nicht verhehlen. Ihre Nervosität hatte sich gelegt und Rogge würde sich hüten, von sich aus das Thema Vergewaltigung anzuschneiden.
»Wenn Sie gestatten, würde ich Sie alle zu einer Runde einladen. Gertrud, Sie auch.«
Gertrud, so stellte sich heraus, mochte keinen Alkohol, die beiden anderen nahmen wie er noch ein Bier, und als Gertrud zum Tresen lief, wachten alle Durstigen auf und bestellten Nachschub.
Zu Rogges Verblüffung nutzte Thelen die Gelegenheit, ihn direkt zu fragen: »Gertrud hat uns erzählt, dass Sie bei der Kripo sind.«
»Ja.«
»Sind Sie eigentlich dienstlich hier?«
»Halb und halb.« Antworten musste er und lügen wollte er nicht. »Sie lesen doch Zeitung?«
»Na klar.«
Vor dem nächsten Satz wurde Rogge unterbrochen, eine junge Frau betrat den Bären und Rogge hielt unwillkürlich die Luft an. Die Verkäuferin aus dem Supermarkt, die er oben auf der Feltenwiese bei ihrem Nebenerwerb beobachtet hatte. Auch Thelen und Monika Ziegler ließen sich ablenken und schauten zu ihr hin; sie warf den Kopf in den Nacken und setzte sich zu dem Hinkenden, zu Benno Brockes, der aus seinem Bierdunst auftauchte und sie abschätzig musterte.
»Wer ist denn das?«, fragte Rogge leise und Monika Ziegler antwortete ebenfalls unterdrückt: »Sie heißt Andrea Wirksen.«
»Sie arbeitet hier im Supermarkt, nicht wahr?«
»Ja.«
Benno runzelte die Stirn, während Andrea sich an ihn drängte und ihm etwas zuflüsterte. Die beiden Betrunkenen neben dem Paar hatten das Interesse an Andrea Wirksen schon wieder verloren und vertieften sich erneut in ihren sinn- und ziellosen Streit.
»Was trinkst du, Andrea?«, rief Gertrud, mit dem Zapfen beschäftigt.
»Auch ein Bier.«
Rogge hätte das Paar gern weiter beobachtet, Andrea schien ziemlich gereizt auf Benno einzureden oder ihm Vorwürfe zu machen, der Riese verzog verächtlich den Mund; was er hörte, gefiel ihm nicht, doch sie schien entschlossen, sich nicht unterbrechen zu lassen. Ob sie gerade erzählte, was sie oben auf der Feltenwiese getrieben hatte? Leider räusperte sich in dem Moment Thelen, der für Andrea Wirksen so wenig Sympathie und Interesse aufbrachte wie für Benno Brockes, und Rogge musste sich notgedrungen wieder ihm zuwenden.