A. F. Morland

Extra Krimi Paket Sommer 2021


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      »Wohnt sie hier in Stockau?«

      »Ja. Sie ist Arzthelferin.«

      »Ach, und dann war dieser Doktor, der eben gegangen ist, der Arzt?«

      »Fuhrmann heißt er, ja.«

      »Wollen Sie mir erzählen, was mit Monika los ist?«

      Obwohl Rogge ganz neutral gefragt hat, schaute sie ihn unruhig an. Noch hatte sie sich nicht entschieden. Er bot ihr eine Zigarette an, die sie ungeschickt nahm, gab ihr Feuer und wappnete sich mit Geduld.

      »Es hat - es hat - mit der Feltenwiese zu tun.«

      Wenn Kili sich über Rogge geärgert hatte, was häufig geschah, giftete er herum, der Chef müsse Weltmeister im Angeln werden; niemand könne so lange so regungslos sitzen wie Rogge, bis der misstrauischste Fisch auf den Köder beiße. Während Kili solche Sottisen verbreitete, zappelte er vor Ungeduld und Rogge konterte gelegentlich gemütlich, auch Kilis Technik sei nicht zu verachten; er mache jeden Verdächtigen so nervös, dass der nur gestehe, um von Kilis Gegenwart befreit zu werden.

      Auch Gertrud konnte Rogges Schweigen nicht länger ertragen, sie holte schließlich tief Luft: »Monika ist - man hat - sie ist belästigt - man hat sie vergewaltigt.«

      »Ja«, sagte er neutral. »Weiß man, wer’s getan hat?«

      »Nein«, antwortete sie hastig und Rogge ließ sich nicht anmerken, dass er ihre Lüge durchschaut hatte.

      »Und wo ist das passiert?«

      »Auf der Feltenwiese.«

      Rogge lächelte insgeheim. Ein Kriminalbeamter, der sich in Stockau einquartierte, wo abends die Straßen hochgeklappt wurden, und dann zur Feltenwiese spazierte. Kein Wunder, dass sie kombiniert hatte.

      »Da oben passiert viel«, fuhr sie plötzlich fort, als wollte sie von dem Namen Monika ablenken.

      »Wie meinen Sie das?«

      »Da prügeln sich Männer. Und manchmal parken da ganz komische Kerle. Aus dem Dorf geht abends keiner gern da rauf.«

      »Ja, ich verstehe.«

      »Aber Sie dürfen Monika nicht sagen, dass ich Ihnen das verraten habe, das mit - mit ...«

      »Nein, keine Sorge, Gertrud.«

      »Sie will nämlich nicht .,.« Die Röte schoss ihr ins Gesicht, als sie abbrach.

      »Versprochen ist versprochen.«

      »Danke!«, flüsterte sie erleichtert. Wahrscheinlich hatte Gertrud Erfahrung mit Männern, doch ihr Äußeres und ihr lebhaftes Auftreten täuschten über ihre Naivität hinweg, erwachsen war sie noch nicht.

      Unwillkürlich fragte Rogge: »Wie alt sind Sie, Gertrud?«

      »Zweiundzwanzig.«

      »Ein Jahr jünger als meine Tochter«, zwinkerte er ihr zu und damit verblüffte er sie so sehr, dass sie die Feltenwiese vergaß.

      VII.

      Von der Weser her wehte es scheußlich kalt herauf, obwohl keine Wolke am hellblauen Himmel zu sehen war. Die vier Männer auf dem Kai drängten sich enger zusammen, um den Wind abzuwehren, der durch ihre zu dünnen Mäntel blies. Die beiden großen waren unzweifelhaft Brüder, bei flüchtigem Hinschauen konnte man sie glatt verwechseln. Der einzige Uniformierte hob das Sprechfunkgerät an den Mund: »Alles auf Position?«

      »Alles klar!«, schnarrte es zurück.

      Der kleine Frachter glitt im Zeitlupentempo auf die Mauer zu. Breite Rostbahnen an der Seite und ein notdürftig festgelaschter Baum zeugten davon, dass die Kolotai ihre beste Zeit hinter sich hatte und die Reederei an Reparatur und Unterhalt sparte. An der Reling lehnten mehrere Männer, andere liefen nach achtern und zum Bug, um die Leinen klarzumachen. Hinter dem Schlepper quirlte es jetzt gewaltig auf, die Trosse spannte sich und die Kolotai wurde noch langsamer.

      Gönter saß auf dem anderen Ufer in einem Auto und beobachtete das Anlegemanöver im Fernglas. Ein Seelenverkäufer, dachte er traurig. Es war schon arg, was da unter der russischen Flagge herumschipperte, manchmal nur durch Farbe und Hoffnung zusammengehalten. Jede Wette, dass so ziemlich jede Sicherheitseinrichtung marode war, aber er hatte durchgesetzt, dass niemand an Bord ging, um zu kontrollieren.

      Die vier Männer warteten immer noch, traten manchmal von einem Fuß auf den anderen, um sich aufzuwärmen. Kreutzer hatte jetzt auch, ein Glas an den Augen und grunzte zufrieden vor sich hin: »Deckladung. Hinter der ersten Luke, wie gemeldet.«

      Die Leinen flogen, das Schiff kam zur Ruhe, die Gangway wurde ausgeschwenkt. Hinter dem Heck bewegte sich ein Gittergerüst, der Kran rollte schon heran. Zwei Männer bogen um die Ecke eines Schuppens und marschierten zügig auf die Gangway zu, als wollten sie unbedingt die Ersten sein, die an Bord gingen. Die Brüder drehten sich ein wenig, einer hielt eine Videokamera in der Hand, die er auf der Schulter des anderen abstützte, der ihm zugleich Deckung bot. Die beiden Eiligen achteten nicht auf die Vierergruppe. An Deck erschien ein Trumm von Mann, zwei Meter groß und fast genauso breit, mit einem riesigen Vollbart, der dringend nach Kamm und Schere verlangte. Er winkte den an Bord Kommenden zu, schüttelte dem vorderen begeistert die Hand, als wolle er ihm den Arm ausreißen, und umarmte ihn dann. Den zweiten Mann begrüßte er weniger stürmisch. Danach verschwanden die drei Männer.

      »Also dann!«

      Die vier Männer setzten sich in Bewegung; auf dem anderen Ufer legte Gönter das Glas zur Seite und ließ den Motor an. Jetzt dauerte es noch knapp eine Stunde, bis die Formalitäten erledigt waren und die ersten Ladungsstücke an Land gehievt wurden. Frühestens am Nachmittag würden der Ladungskontrolleur und die Zöllner die Kisten öffnen können; sie wussten, wo sie suchen mussten, und hatten sich heute Morgen noch einmal die Dias angesehen, um sich alle Einzelteile einzuprägen. Achttausend Verzögerungszünder für Granaten aus alten sowjetischen Beständen, vielleicht zerlegt und als technisches Material deklariert; eigentlich unverständlich, warum Eschenbach sie hier in Bremerhaven Zwischenlagern wollte. Es sei denn, die Zünder wurden umgerüstet - dazu würden die Federn und Teleskopstifte passen, die er aus Tschechien bezogen hatte.

      Ungeduldig wartete Gönter in seinem Hotelzimmer, bis Kreutzer anrief und im vereinbarten Code meldete: »Wir sind auf Öl gestoßen.«

      »Dann bohrt mal schön vorsichtig weiter«, empfahl Gönter heiter. Es traf sich gut, jetzt erreichte er ohne Hast noch die letzte Maschine nach Köln. Eschenbach würde sich nicht herausreden können, damit hatten sie ein Glied aus der Kette herausgesprengt, und mit den Zündern konnten sie ihn legal wegen der in Rotterdam aufgespürten Chemikalien, mit denen sich Sprengsätze herstellen ließen, unter Druck setzen. Hoffentlich! Denn seit ihre Quelle versiegt war, fehlten ihnen Tipps und der Gegner lernte dazu. Wer telefonierte oder faxte noch, seit es Internet und E-Mail gab? Weinert würde fluchen, wenn er erfuhr, dass Zoll und BND eng zusammenarbeiteten und den Verfassungsschutz von dieser Aktion ausschlossen. Selbst vom Mailen machten die Burschen immer weniger Gebrauch, sie verließen sich auf mündliche Absprachen, weil sich alle aus diesem oder über diesen Verein kannten. Vorgestern hatten sie in Frankfurt am Flughafen einen Kurier aus Athen gefasst, der in seinem Koffer 500.000 Dollar transportiert und ihnen allen Ernstes versichert hatte, er wüsste nicht, für wen das Geld bestimmt sei; sein Auftrag lautete, mit dem Koffer so langsam, dass man ihn verfolgen konnte, in ein x-beliebiges Hotel zu gehen, dort zwischen 18 und 22 Uhr sein Zimmer nicht zu betreten und mit einem anderen Koffer am nächsten Morgen abzureisen. Es klang abenteuerlich, aber leider sehr wahrscheinlich.

      Die kleine Turbo-Prop-Maschine schaukelte und tanzte. Viele Jahre war Gönter selbst geflogen, seine CPL war noch gültig, aber im Amt sah man es nicht gerne, wenn er sich an den Knüppel setzte. Wenn er in der Kabine hockte, flog er mit dem Arsch mit, Turbulenzen störten ihn nicht, sein Magen hatte sich daran gewöhnt; Jets mit ihren Reisehöhen über dem Wetter lagen ihm zu ruhig in der Luft.

      Also würden sie ihr Computersystem