einem Affentempo an ihm vorbei, sein Haarschopf wehte regelrecht hinter ihm her. Ein alter Bekannter!
In Stockau begegnete Rogge ihm wieder, diesmal schob er manierlich sein Rad und redete eifrig auf eine junge Frau ein, die kannte Rogge auch, sie war von dem Quartett mit offener Missachtung begrüßt worden. Beide waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihn gar nicht beachteten; Rogge musterte die beiden unauffällig. Er war etwa 1,75 Meter groß, wog um die siebzig Kilo, braune Haare, schmales Gesicht. Sie hatte ein herzförmiges, puppenhaftes Gesicht, brünette, halblange Haare, 165 Zentimeter, um die sechzig Kilo. Braune Augen, wie Rogge feststellte, als sie ihn flüchtig ansah. Rein äußerlich passten sie gut zusammen.
Wibbeke hatte Rogge daran erinnert, dass Kühe kein Wochenende kannten, der Bauer also jeden Tag zum Melken recht früh aufstehen musste, und deswegen stockte er einen Augenblick, als er die Gaststube betrat. So voll hatte er den Bären noch nicht erlebt, Gertrud stellte neue Rekorde auf und die Wirtin half beim Servieren aus. Rechts, auf den Junggesellen-Radaubrüder-Bänken, hatte sich das Quartett niedergelassen und schien fest entschlossen, Gertrud zur Verzweiflung zu bringen. Olli zapfte und spülte pausenlos und stützte sich ausnahmsweise nicht mit einer Hand ab. Unter der Decke bildete sich bereits der schmutzig blaue Baldachin aus Zigaretten- und Pfeifenrauch. Bald würde es heiß und stickig werden, Rogge schauderte und zwang sich zu einem Lächeln, als Gertrud ihm eine Kusshand zuwarf. Und wieder erhaschte er einen hasserfüllten Blick des Hinkenden, der ihn, wahrscheinlich vom Bier beflügelt, sekundenlang böse anglühte.
Rogge bestellte Heringsstip nach Art des Hauses und befolgte die Regel, dass Fisch schwimmen müsse, aber der immer noch zunehmende Lärm und die schlechte Luft gingen ihm schwer auf den Geist. Verstimmt brach er bald auf und atmete vor der Tür tief durch.
Danach wusste er selbst nicht, warum er wieder zur Feltenwiese hinaufbummelte, vielleicht, weil er den Weg kannte und seine Lungen lüften wollte. Alle, die ihm vorwarfen, er rauche zu viel, begriffen nicht, dass Raucher besonderen Wert auf frische Luft legten. Der Halbmond wurde von Wolken bedeckt, es war unangenehm dunkel und Rogge trat vorsichtig auf, um nicht in einem der Löcher umzuknicken.
Das Auto entdeckte Rogge nur durch Zufall, weil plötzlich seitlich ein roter Punkt aufleuchtete. Irritiert blieb er stehen, der Punkt wurde dunkler, verschwand aber nicht, und dann schaltete Rogge: Da hatte sich jemand eine Zigarette angezündet. Der dunkle Streifen vor ihm musste schon der Buschsaum sein, das Auto parkte keine zwanzig Meter neben dem Wirtschaftsweg. Unschlüssig zupfte Rogge an seinem Ohrläppchen, es sah ganz so aus, als vergnüge sich da ein Pärchen, und Voyeurismus verabscheute er. Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen, im Auto leuchtete die Innenlampe auf, weil eine Tür geöffnet worden war, und fast hätte der Hauptkommissar vor Überraschung gepfiffen. Die junge Frau, die da ausstieg, war nackt, bückte sich nach hinten zur Rückbank und holte ein Bündel heraus, das sie auf die Motorhaube legte. Ihre Kleidung, im Stehen zog es sich bequemer an.
Rogge klemmte die Mundwinkel ein und schlich noch etwas weiter in den Schatten der Büsche. Striptease paradox bekam er nicht alle Tage geboten. Jetzt stieg auch der Mann aus. Er schien wesentlich älter zu sein und holte seine Brieftasche hervor, ging um den Wagen herum und gab ihr etwas, das sie in den Ausschnitt stopfte. Nun ja, eindeutiger ging’s nicht. Der Mann versuchte, die Frau zu umarmen, was sie mit einer obszönen Geste abwehrte, daraufhin ließ er sie rasch stehen und flüchtete hinter das Steuer. Der Motor sprang an, die Scheinwerfer leuchteten auf und Rogge klopfte sich innerlich auf die Schulter: Die jetzt angestrahlte junge Frau kannte er, die Kassiererin aus dem Supermarkt. Das Auto wendete, im letzten Moment duckte der Hauptkommissar sich vor dem Licht, der Kegel wanderte weiter und Rogge richtete sich schnell auf, um das Kennzeichen zu lesen. Landkreis Neuenburg. Knapp vierzig Kilometer über die Autobahn. Liebe und Triebe überwanden auch lange Strecken.
Als sich seine Augen wieder auf die Dunkelheit eingestellt hatten, sah er gerade noch, dass die Frau dem Auto Richtung Parkplatz folgte, also nicht ins Dorf hinunterlief. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
Rogge ließ ihr zwei Minuten Vorsprung, bevor er in bester Indianermanier hinter ihr herpirschte. Unter den Bäumen konnte er nichts sehen und die Autobahn übertönte ihre Schrittgeräusche. In der letzten Kurve vor dem Parkplatz blieb er stehen, überlegte und tastete sich dann nach links zwischen den Stämmen durch. Es war finster, dazu knackten pausenlos trockene Zweige unter seinen Schuhen, zum ersten Mal dankte er für den Lärm der Autos, es rauschte gleichförmig. Die Menschheit eilte freitags heim ins Wochenende und endlich erkannte Rogge auch zwischen den Stämmen und dem Krüppelgehölz die vorbeigleitenden Lichtpunkte.
Aber wo war die Frau abgeblieben?
Fast hätte Rogge sich zu weit vorgewagt und huschte erschrocken zurück hinter einen Baum. Sie saß allein auf einer der Bänke und rauchte, das Glutpünktchen hatte ihn gerade noch rechtzeitig gewarnt. Was zum Teufel trieb sie hier um diese Zeit? Wartete sie auf jemanden? Die beiden Abstellstreifen waren leer.
Nach einer halben Stunde kniffen seine Waden, er konnte nicht mehr still stehen. Die Frau hatte sich noch nicht gerührt und die Frage, warum er sich hier wie ein Sittenstrolch versteckte und lauerte, beschäftigte ihn immer mehr, während die Rechtfertigung, eben hier habe vor einem Jahr auch Inge Weber regungslos gesessen, allmählich fadenscheinig erschien. Fünf Minuten noch, schwor Rogge sich, und nach zwei Minuten wurde er erlöst. Ein Auto rollte mit hoher Geschwindigkeit auf den Parkplatz und bremste, dass die Reifen quietschten; der Fahrer sprang heraus, die Frau war aufgestanden, ging ihm entgegen, und als sie sich begrüßten, zweifelte Rogge keinen Moment, dass die beiden sich kannten. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz, der Mann warf sich auf den Fahrersitz und dann bekam Rogge den Mund nicht mehr zu: Kurz vor der Ausfahrt bog der Wagen mit Frankfurter Kennzeichen in den Wirtschaftsweg ab; an dem zittrigen Scheinwerferlicht konnte Rogge verfolgen, dass er bis zum Buschsaum weiterschaukelte, dort erloschen die Lichter.
Prima, Jens, du kannst bei der Sitte anfangen!, lobte er sich sarkastisch. Was die beiden trieben, konnte er sich ausmalen. Die moralische Seite entrüstete ihn nicht, allenfalls gab ihm die Sorglosigkeit zu denken, mit der die junge Frau zu Werke ging. Und natürlich die Frage, wie oft sie hier oben ihren Nebenjob ausübte. Auf dem Rückweg verzichtete er darauf, den Wagen zu finden.
Im Bären brannte noch Licht, nach kurzem Zögern trat Rogge noch einmal ein und stellte verblüfft fest, dass die meisten Gästen bereits gegangen und viele Lampen schon ausgeknipst waren. Ein kluger Kopf hatte Fenster geöffnet, der schlimmste Mief war abgezogen. Rechts, auf der Krakeeler-Bank, saßen noch drei junge Männer; zwei beschimpften sich, drohten mit den Fäusten und lallten gewaltig herum, viel zu betrunken für eine ordentliche Prügelei, bei jeder heftigen Bewegung schwankten sie, dass sie von der Bank zu stürzen drohten. Dabei waren sie so mit sich beschäftigt, dass sie den dritten gar nicht beachteten, der Hinkende brütete über einem fast leeren Bierglas und stieß nur ab und zu einen seiner Kumpel in den Rücken, wenn der so weit nach hinten kippte, dass er den Hinkenden berührte. Am Tresen hingen zwei alte Männer, die leise miteinander redeten, Gertrud hatte sich zu einem jungen Paar gesetzt, das Rogge auf den ersten Blick wieder erkannte, der junge Mann mit dem Zopf und die junge Frau, die von dem Quartett so geschnitten worden war; beiden war er auch heute Nachmittag begegnet.
»Hei, Herr Rogge!« Gertrud winkte ihm so energisch zu, dass er zu ihrem Tisch hingehen musste; der Hinkende hob schwerfällig den Kopf und stierte ihn an, sagte aber nichts.
»Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?«
»Gerne«, antwortete er gleichmütig; eigentlich wäre er lieber wieder gegangen.
»Das ist Herr Rogge. Das ist meine Freundin Monika.« Ein schneller, bittender Blick streifte ihn und er nickte rasch, versprochen war nicht vergessen. »Monikas Freund, Johann Thelen.«
»Guten Abend.«
Der junge Mann brummte etwas Unverständliches, seine verkniffene Miene signalisierte, dass er über Rogges Anwesenheit alles andere als erfreut war. Dagegen musterte Monika ihn unsicher und Rogge ahnte, dass Gertrud seinen Beruf ausgeplaudert hatte.
»Was trinken Sie? Noch ein Bier?«
»Gerne. Ein großes bitte.«
»Ist