rutschen. Da hatte sie gar nicht mal so unrecht, wie ich zugeben musste.
Doch diesmal nicht! Nie wieder!
Ich lief nicht mehr blind jedem Rock hinterher.
Höchstens sehenden Auges.
Nun bin ich, daran hatte sich nichts geändert, der Letzte, der sich darüber beschwert, wenn eine Frau sich so aufbrezelt, dass die weiblichen Reize bestens zur Geltung kommen. Aber so ein Aufzug mitten im Matschewinter?
Und warum am Oma-Tag, wo doch jeder andere Tag ungestörter gewesen wäre?
Aber dann hätte die Kleine nicht im richtigen Moment losbrüllen und für einen unvermittelten Abgang der Oma sorgen können. War sie gezwickt worden?
Eines wenigstens hatte Elisabeth erreicht mit ihrem kalkulierten Auftritt: Sie hatte mich neugierig gemacht.
Ich sah das nicht als Rückfall in alte Verhaltensmuster an, sondern eher als Test.
Plötzlich hatte ich es eilig.
Ich hastete weiter, nicht bis zum Ende des Weges, der mich fast direkt zu einem unserer Sterne-Restaurants geführt hätte, nein, ich widerstand der Verlockung eines gemütlichen Mittagessens, bog schon vorher ab und ging auf dem schnellsten Weg hinab zu meinem Büro.
So war das mit dem Flanieren. Ab und an kamen einem komische Gedanken dazwischen.
Ich musste mich auf meinen Besuch bei Elisabeth gründlich vorbereiten. Da waren Disziplin und Fingerspitzengefühl gefordert, was beides nach der fiesen Meinung Sonjas nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört.
*
Über das Bauunternehmen Schindel wusste ich nur, was ich im Nachruf des Lokalblatts gelesen hatte. Und das war nicht unbedingt die ergiebigste Quelle. Weil man ja über Tote nichts Schlechtes sagen soll, höchstens hinter vorgehaltener Hand, würde man beispielsweise nie lesen können, dass es sich bei dem teuren Verblichenen um einen Erzlumpen gehandelt hatte, über dessen Ableben alle heilfroh waren.
Vielleicht nicht alle. Nur einer. Wenn man Elisabeths unausgesprochene Vermutung zugrunde legte, dass der Tod Frieder Schindels kein Unfall war.
Was macht man als Erstes heutzutage, wenn man Informationen sucht? Man schaut im Internet nach.
Seinen Webauftritt hatte sich das Bauunternehmen Schindel zweifelsohne etwas kosten lassen. Bilder von gut gelaunten Menschen poppten auf, Schlagzeilen huschten über den Monitor, die Texte brachten werbemäßig auf den Punkt, wofür die Firma stand: Wir sind nicht nur gut, wir sind die Besten, vertrauen Sie uns.
Alles sehr professionell gemacht. Ich musste das mal meinem Haus- und Hofprogrammierer Rolf zeigen, vielleicht konnte er sich davon inspirieren lassen und meine eigene Webseite etwas aufmöbeln.
Ich konnte mir vorstellen, wie er darauf reagieren würde. Kein Problem, würde er sagen, wenn du mir genauso viel zahlst wie die ihrer Agentur. Oder noch besser, würde er sagen, du engagierst gleich diese Agentur, dann müssen die sich mit dir rumärgern und nicht ich.
Zugegeben, das Leistungsspektrum eines Versicherungsvertreters ist übersichtlich und bei jeder Spezies meiner Zunft ungefähr gleich, weshalb wir uns bei den Internetauftritten nur optisch unterscheiden. Das Bauunternehmen Schindel hatte da schon mehr zu bieten. Es betätigte sich im Hoch- und Tiefbau, lieferte schlüsselfertige Gebäude jedweder Art, vornehmlich im Industriebau, wie es schien, bot sich aber auch jedem Häuslebauer an, der Wert auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit legte.
Und außerdem engagierte sich die Firma als Bauherr. Sie errichtete Häuser auf eigene Rechnung und verkaufte die Wohnungen dann als Eigentum. Ein einträgliches Geschäft, wenn es lief und wenn die Wohnungen, wie es die Absicht war, bereits vor Baubeginn an den Mann oder die Frau gebracht wurden. Und offensichtlich gab es genug Menschen, die sich nur nach Plänen und schönen 3D-Modellen für den Rest ihres Lebens zu verschulden bereit waren, denn bei den meisten Projekten, die derzeit in Planung oder im Bau waren, hieß es, dass nur noch wenige Wohnungen frei waren.
Sollte ich mir auch mal überlegen: »Greifen Sie schnell zu, nur noch wenige Autoversicherungen verfügbar.«
Wollte man den Hochglanzseiten glauben, war das Bauunternehmen Schindel ungemein erfolgreich, hatte tolle Referenzen, nur zufriedene Kunden und weitreichende Pläne. Aber das war ja nicht anders zu erwarten. Reine Public Relation.
Wie bei solchen Werbepräsentationen üblich, zeigte sich auch Firmenchef und Geschäftsführer Frieder Schindel im Bild. Er versuchte sich an einem Schauspielerlächeln, das allerdings etwas bärbeißig ausfiel.
Kein Wort darüber, dass der Herr Firmenchef seit einiger Zeit nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Was hatte das zu bedeuten?
Ich schaute im Impressum nach. Hier fungierte ein Eduard Poschinski als Geschäftsführer. Da hatte jemand schnell geschaltet. Eine Firma mit einem nicht mehr existenten Verantwortlichen wäre ein gefundenes Fressen für jeden Abmahnungsanwalt gewesen.
Aber wer war Eduard Poschinski?
ZWEI
Es war nicht zu erahnen, wo Helmar Haag, der Reporter der Lokalzeitung, seinen Morgenkaffee zu sich nahm, wenn das Wetter so mistig war, dass sogar ein so hartgesottener und abgehärteter Pfeifenraucher wie er ins rauchfreie Innere flüchten musste.
Nun ja, trotz der erfreulich vielen Cafés in Schwäbisch Hall blieben die Möglichkeiten überschaubar, und ich hatte schon beim zweiten Versuch Glück. Der massige Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart rührte gedankenverloren in seinem Kaffee und nuckelte an der kalten Pfeife. Ein verkannter Dichter bei der Arbeit.
»Ich störe ja nur ungern«, sagte ich und rutschte auf die Bank an seinem Tisch.
»Du störst immer, nur merkst du das nicht.«
»Sagen wir so, ich lasse es mir nicht anmerken. Das ist etwas, was unsere beiden Berufe gemeinsam haben, sonst kämen wir nie auf einen grünen Zweig. Worüber sinnierst du?«
»Ich habe eine interessante Sache erfahren und grüble, ob sie von so hohem öffentlichem Interesse ist, dass ich damit einigen Leuten auf die Füße treten darf, sie vielleicht sogar unglücklich mache.«
»Worum geht es?«
»Netter Versuch, aber vergiss es.«
Die Bedienung kannte mich und stellte mir unaufgefordert einen Cappuccino hin.
Wie süß. Den Milchschaum zierte ein Herzchen aus Kakao.
Er nuckelte an seiner Pfeife, produzierte imaginäre Rauchwolken und fragte: »Also, welche Infos brauchst du?«
Ich tat erstaunt. »Wie kommst du darauf, dass ich irgendwelche Infos will?«
»Weil du mich nur dann mit deiner Gegenwart beehrst.«
»Stimmt. Wir wollten uns schon lange mal wieder auf ein Bier zusammensetzen, aber du hast ja nie Zeit.«
Er zuckte mit den Schultern. »Der Job. Die Familie. Und wenn ich mal Zeit habe, lässt du dich niederschießen. Und als ich dich im Krankenhaus besuchen wollte, haben sie mir den Wein abgenommen.«
»So sind die dort. Stehen nicht so auf alternative Medizin.«
»Also?«, fragte er erneut.
»Frieder Schindel.«
»Friede seiner Asche. Das war die erste Info: Er lebt nicht mehr.«
»Das weiß ich. Erzähl mir über ihn.«
»Hättest du meinen Nachruf gelesen, der wie immer äußerst eloquent geschrieben war, müsstest du nicht fragen.«
»Ich habe ihn gelesen, aber nicht auswendig gelernt. Hilf mir auf die Sprünge.«
»Ich kann ihn auswendig. Ich kann alle meine Artikel auswendig. Aber wie ich dich kenne, du Banause, willst du nur die Kurzfassung hören.«
»Kürzestfassung bitte.« Das war