Wachstum und Blüte zu bringen, blieben erfolglos. Ich bin mittelgroß, war bis vor Kurzem ziemlich mollig, in mein stumpfbraunes Haar hatten sich bereits graue Fäden gemischt, was ich eine Weile lang – ohne überzeugendes Ergebnis – mit einer selbst aufgelegten kastanienfarbenen Tönung zu überdecken versuchte. Ich hatte, frei heraus gesagt, nie den Ehrgeiz, mich hübsch zu machen, denn wenn ich mich im Spiegel betrachtete, schien mir, dass es ohnehin vergebliche Liebesmüh wäre.
Vielleicht neigte ich jedoch dazu, meine Träume besonders ehrgeizig auszugestalten, denn – so fantasierte ich zuweilen – wenn mir irgendwann etwas Großartiges, Einmaliges gelingen würde, dann wäre mein ganzes Leben gleichsam auf ein höheres Niveau gehoben, herausgelöst aus dem Klima der Mittelmäßigkeit und Erfolglosigkeit, in dem es sich seit jeher bewegt hatte. Mag sein, dass es im Grunde genommen diese entschlossene Sehnsucht war, die mich dazu antrieb, ein Verbrechen zu begehen.
Ich lebe in Zürich, an der Röschibachstrasse, in einer kleinen Wohnung, zwei Zimmer, 50 Quadratmeter. Von der Rosengartenstrasse her ist unablässig Verkehrslärm zu hören, den Balkon kann ich kaum benützen. Wegen der Hellhörigkeit des alten Hauses bekomme ich auch unweigerlich mit, wenn die Zweijährige im oberen Stock in einem Trotzanfall explodiert. Aber ich fand die Wohnung, ohne lange suchen zu müssen, sie ist bezahlbar, und ich habe sie nett eingerichtet.
Vor drei Jahren verließ mich mein Mann, nach vierzehn Jahren Ehe. Marc ging nicht einmal wegen einer Jüngeren, nein, sie war sogar ein Jahr älter als ich: Madeleine. Ein affiger Name, wenn man mich fragt, und Marc sprach ihn immer übertrieben betont französisch aus. Ich heiße Edith – wie soll man da mithalten, fragte ich mich erbittert. Die Scheidung ging schnell und zivilisiert über die Bühne, ich machte kein Theater. Marc und mich hatten, wie soll ich sagen, bestenfalls lauwarme Gefühle verbunden, mein Liebeskummer hielt sich in Grenzen. Aber sein Ausstieg aus unserer Ehe verletzte meinen Stolz, ich fühlte mich verraten; meine geheime Wut richtete ich gegen meine Nebenbuhlerin. Ich wusste praktisch nichts von ihr. Ein einziges Mal sah ich sie, und zwar als Marc und ich nach vollzogener Scheidung aus dem Gerichtsgebäude traten. Damit hatte ich halb gerechnet und war vorbereitet auf einen feindseligen oder triumphierenden Blick. Was jedoch geschah, war fast noch schlimmer: Sie übersah mich komplett. Sie streckte die Arme nach Marc aus, formte ihre pink angemalten Lippen zu einem süßen Lächeln – ich wandte mich augenblicklich ab und machte mich davon. So ersparte ich mir, den offiziellen Auftakt zu Marcs und Madläääns Liebesglück mitansehen zu müssen. Dennoch, diese Szene bildete eine solide Basis für meinen Hass. Ich schwor mir, diese Frau zu töten. Zunächst war es nur eine Gewaltfantasie, ein hasserfüllter Gedanke, ein ohnmächtiger Wunsch nach Rache, doch ganz langsam wandelte er sich zu einer Absicht, zu einem Plan.
Natürlich sah ich mich vor immense Schwierigkeiten gestellt. Als Erstes musste ich mich für eine Mordmethode entscheiden. Mich entscheiden – das klingt, als ob ich vor einer Auswahl gestanden hätte. Aber dem war ganz und gar nicht so. Es war eher eine Art Ausschlussverfahren. Erschießen, das wäre eine elegante Methode gewesen, kam jedoch für mich nicht in Frage. Ich hatte nie in meinem Leben eine Schusswaffe in den Händen gehalten. Ich wusste vage, dass man eine Pistole oder einen Revolver (Was war überhaupt der Unterschied zwischen den beiden Dingern?) vor dem Schießen entsichern musste und dass das präzise Zielen eine Kunst darstellte, die geübt werden sollte. Ich erinnerte mich an die Filmversion eines meiner Lieblingskrimis, in dem die Heldin – nun ja, die Mörderin – in ihrem paillettenbesetzten Abendhandtäschchen eine zierliche Waffe mit sich führte, mit der sie die Kontrahentin sauber erledigte. Hübsch, aber das musste ich mir aus dem Kopf schlagen, wie ich bedauernd einsah. Die Idee, Marcs Neue zu erwürgen beziehungsweise zu erdrosseln (Machte man das eine mit bloßen Händen, das andere mit einem Hilfsmittel, etwa einem Seidenschal oder einer Nylonschnur?), stieß mich ab. Eigentlich wollte ich sie lieber gar nicht anfassen. Die unbehagliche Vorstellung beschlich mich, wie ich ihren Hals zudrücken würde und sie würde einfach nicht sterben – stattdessen widerwärtige Geräusche von sich geben, mit den Armen fuchteln, mich womöglich aus hervorquellenden Augen vorwurfsvoll anschauen. Was für eine grässliche Vorstellung! Auch Erstechen und Vergiften schieden aus mehreren Gründen aus.
Schließlich entschied ich mich für Erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand. Das hat mir in den Kriminalromanen immer gut gefallen. Ein stumpfer Gegenstand, das kann vieles sein, es ist ein Ausdruck, der Bilder von einer vagen Gefährlichkeit, aber auch einer beruhigenden Anonymität evoziert.
Problem Nummer zwei: mit welchem stumpfen Gegenstand? Ich erinnerte mich an eine Story, in der eine Frau ihren Mann mit einer tiefgefrorenen Lammkeule erschlug, die dann im Backofen weich vor sich hin brutzelte, während die Polizisten die Wohnung nach einem passenden stumpfen Gegenstand absuchten. In einem anderen Roman schraubte der Täter aus einem Messingbettgestell eine Verzierung heraus, eine Messingkugel, die er nach getaner Arbeit gelassen wieder hineinschraubte. Ich besaß kein Messingbett mit massiven Verzierungen, sondern nur eine einfache, schmale Liege mit elastischem Lattenrost, die ich mir nach der Scheidung gekauft hatte. Unser Ehebett ließ Marc von einem Gebrauchtmöbelhändler abholen; auch er hatte – aus naheliegenden Gründen – kein Interesse daran. Ich trieb mich ratlos in Warenhäusern, Sportgeschäften und Do-it-yourself-Shops (»do it yourself«, kicherte ich in mich hinein) herum und entschied mich schließlich für einen einfachen Hammer.
Schritt Nummer drei bestand in der Auskundschaftung des Opfers. Hier griff ich zu einer List. Marc und ich pflegten einen losen telefonischen Kontakt. Alle paar Monate einmal rief er mich an, fragte, wie es mir ginge, erzählte so dies und das, Belanglosigkeiten aus seinem Alltag. Diese Gespräche waren meistens eher kurz, da ich keine besondere Lust hatte, mir sein ödes Geplauder anzuhören. Und mit Neuigkeiten aus meinem doch eher ereignislosen Leben aufzuwarten, nein, darauf konnte ich verzichten. Aber nun sagte ich mir, weshalb nicht einmal selbst zum Hörer greifen und, die Konversation unauffällig steuernd, ganz bestimmte, für mich nun höchst interessante Belanglosigkeiten abhören? Ich erwischte ihn in einem günstigen Moment. Madeleine war weg, in einem Italienischkurs, den sie, so hörte ich mit Wohlgefallen, jeden Donnerstag von acht bis zehn Uhr abends in der Migros Klubschule Wengihof besuchte. Mehr brauchte ich nicht.
Nun wurde es langsam ernst. Am nächsten Donnerstagabend rekognoszierte ich die Situation vor Ort – Zielperson, Weg, den sie einschlug, Ausmaß der Belebtheit des Gebiets, Festlegung des geeignetsten Tatortes –, dann ging es an die Detailplanung. Ich beschloss, mich wie eine strenggläubige Muslimin zu kleiden, mit langem Regenmantel und Kopftuch. Beides kriegte ich für wenig Geld in einem Warenhaus. Ich ging absichtlich nach Feierabend hin; in dem Gewusel von Kundinnen, die sich umschauten, Sachen anprobierten und an der Kasse über den Tresen schoben, konnten die Verkäuferinnen garantiert keine einzelnen Gesichter im Gedächtnis behalten. Eine solche Verkleidung macht einen unkenntlich, und Madeleine würde sich garantiert nicht bedroht fühlen und davonrennen, wenn eine unauffällig wirkende Frau hinter ihr herging.
Ich geriet in jener Zeit in einen eigenartigen Zustand von höchster Konzentriertheit. Im Büro tat ich mechanisch meine Arbeit, aber innerlich war ich stets bei meinem Vorhaben. Meine übliche Unsicherheit, überhaupt alles Gefühlsmäßige, war weg, nur das logische Denken war da, kühl wägte ich Details und Eventualitäten ab.
Dann war der Tag da. Kurz vor zehn Uhr war ich auf dem Posten. Mein Opfer ließ auf sich warten. Gruppen von Schülern strömten aus dem Gebäude und entfernten sich in alle Richtungen; Madeleine war nicht darunter. Sieben Minuten nach zehn sah ich sie endlich herauskommen. Sie bog in den schmalen, kurzen Fußweg ein, der in die Engelstrasse führte. Ich näherte mich von der Wengistrasse her und achtete darauf, dass sie mich – und damit meine Harmlosigkeit – bemerkte. Es klappte. Hinter ihr hergehend, den Hammer fest in der rechten Hand, beschleunigte ich auf dem ansonsten menschenleeren Fußweg, schloss auf und schlug zu. Aber richtig! In dieser einen Sekunde war nichts anderes in mir als Hass, Gewalt und Triumph. Ohne einen Ton von sich zu geben, brach die Frau zusammen. Augenblicklich legte sich mein innerer Aufruhr, ich fühlte mich ganz ruhig und wusste genau, was zu tun war. Ich ging weiter, bog in die Engelstrasse ein, entsorgte den Hammer in einem Abfallsack, den ich fest zuband und in einen Container warf, und machte mich auf den Heimweg; am Hardplatz nahm ich den 33er. In weniger als einer halben Stunde war ich zu Hause. Den wichtigsten Teil hatte ich geschafft. Alles war nach Plan verlaufen, keine Störung von außen hatte mein Unternehmen