Eva Reichl

Mühlviertler Kreuz


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wenn der Frühling in den Sommer überging, entschied sich der Kollege für einen Beinahe-Kahlschlag. Dieser sei in den heißen Monaten besser zu pflegen, und er brauche sich ja keine Gedanken mehr über sein Aussehen zu machen, war er der Meinung. Schließlich würde er bald Grünbrecht heiraten.

      »Schwierig, aber es geht«, pflichtete ihm seine Verlobte bei. Stern wartete darauf, dass wieder ein angedeuteter Kuss durch die Luft geflogen käme, so wie es die beiden seit der Bekanntgabe ihrer Verlobung hielten, doch der blieb aus. Anscheinend wirkte sich der Fall der toten Braut dämpfend auf ihre Liebesbekundungen aus.

      »Die Spurensicherung soll sich das Brautkleid genau ansehen, ob Spuren darauf sind, die belegen, dass jemand nachgeholfen hat«, sprach Grünbrecht aus, was Stern gerade hatte sagen wollen.

      »Ja, das soll sie machen, obwohl ich mir sicher bin, dass so ein Abend nicht ohne Spuren auf dem Kleid vorübergeht«, fügte er an und dachte dabei vor allem an das Hochzeitsessen und das Gemenge beim Tanzen.

      »Ob es einen Kampf gegeben hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Hier sind unzählige Leute herumgetrampelt. Bei so einem Fest will man ja auch mal ungestört sein.« Kolanski deutete auf ein benutztes Kondom, das mehrere Meter weiter vorne neben der Burgmauer lag, und einige Zigarettenstummel. »Die Spurensicherung soll alles eintüten.«

      Stern blickte durch das Gitter auf jene Stelle, wo die Braut gerade vom Baum geholt wurde. Sehr tief ging es da hinab, und er konnte sich kaum vorstellen, dass eine junge Frau am schönsten Tag ihres Lebens – wie man es ja oft zu hören bekam, dass die Hochzeit dies sein sollte – in den Freitod sprang. Was war vorgefallen, dass Selbstmord der letzte Ausweg für sie gewesen war? Oder was war geschehen, dass jemand sie dort hinuntergestoßen hatte?

      »Seht mal!«, rief Mara Grünbrecht. Sie stand vor einem Fragment der Burgmauer, das zum Teil in die Hochburg ragte.

      »Was ist?« Stern, Kolanski und Mirscher traten näher.

      »Da ist Blut.« Grünbrecht deutete auf die Überreste der Mauer. Daran befand sich eine eingetrocknete braune Masse.

      »Sie könnte sich den Kopf gestoßen haben und war daraufhin vielleicht bewusstlos. Dann wäre es für den Täter ein Leichtes gewesen, sie über das Gitter zu heben und in die Tiefe zu stoßen«, spekulierte Mirscher.

      »Oder sie hat sich das Genick gebrochen und war schon tot, bevor man sie hinuntergeworfen hat«, zeigte Kolanski eine weitere Variante auf, wie es abgelaufen sein könnte.

      »Oder das Blut stammt von jemand anderem, der in diese Sache verwickelt ist«, ergänzte Grünbrecht die Liste der möglichen Szenarien, was passiert sein könnte.

      »Okay. Hiermit erkläre ich den Todesfall offiziell zu einem Mord oder den Versuch, einen Unfall zu vertuschen, warum auch immer. Selbstmord war es mit größter Wahrscheinlichkeit nicht«, kam Stern zu dem Schluss. »Wir müssen die Gäste befragen, die bei der Hochzeit anwesend waren. Wir fangen mit dem Bräutigam an. Mich interessiert, warum er seine Frau nicht als vermisst gemeldet hat. Oder vielleicht hat er es getan und wir wissen nur noch nichts davon. Klärt das bitte ab! Anschließend nehmen wir uns die Brauteltern, die Schwiegereltern, die Zubraut und den Zubräutigam vor. Ich hoffe, dass wir dadurch ein Bild davon erhalten, was gestern hier vorgefallen ist. Gebt der Spurensicherung Bescheid, dass sie alles gründlich absuchen soll.« Stern warf wieder einen Blick durch das vergitterte Fenster hinab auf die Baumwipfel. Die Tote war bereits aus dem Geäst geholt worden und lag auf einer Plastikplane am Boden neben der Straße, die für den Verkehr wegen des Einsatzes vorübergehend gesperrt worden war. Weber kniete neben ihr und begutachtete den Leichnam.

      »Wer nimmt sich wen vor?«, wollte Grünbrecht wissen.

      »Du und ich, wir beide befragen den Bräutigam«, antwortete Stern.

      »Damit bleiben für uns entweder die Brauteltern oder die Eltern des Bräutigams«, sagte Kolanski. »Die Zubraut und den Zubräutigam erledigen wir später.«

      »Wir übernehmen die Schwiegereltern der Toten«, entschied Mirscher. »Eltern zu sagen, dass ihr Kind tot ist, ist eindeutig Chefsache.«

      Stern seufzte. Todesnachrichten zu überbringen war etwas, an das sich kein Ermittler gewöhnen konnte, auch er nicht. Dennoch musste es erledigt werden.

      »Haben wir schon eine Adresse?«, wandte er sich Grünbrecht zu.

      »In fünf Minuten«, antwortete die Gruppeninspektorin, die ihr Handy zückte, um die gewünschte Information in Erfahrung zu bringen.

      »Ich rede einstweilen noch mal mit Weber, vielleicht weiß er inzwischen ein wenig mehr über den Todeszeitpunkt oder die Todesursache.« Stern drehte dem vergitterten Fenster den Rücken zu und verließ die Hochburg.

      Auf dem Weg nach unten musste er das Burgmuseum passieren. Dort stand ein Herr neben einer Schautafel, der jedoch nicht diese, sondern den herbeieilenden Chefinspektor auffallend musterte. Stern beschloss herauszufinden, ob ihm der Mann etwas sagen wollte, und blieb stehen.

      »Chefinspektor Oskar Stern vom Landeskriminalamt Oberösterreich«, stellte er sich vor.

      »Nikolaus Brandtner.« Der Mann streckte Stern die Hand zum Gruß entgegen, was wegen der Corona-Pandemie zu einer seltenen Geste geworden war. Dann fügte er erklärend hinzu: »Ich bin der Museumsführer.«

      »Waren Sie gestern auch bei der Hochzeit?«, wollte Stern von ihm wissen.

      Der Mann um die 50 schüttelte den Kopf. »Nein, war ich net. Da war’n nur die Familie und die Verwandten eing’laden. Ich gehör ja quasi zum Burgpersonal.«

      »Wie läuft das eigentlich ab? Wenn jemand auf der Burg heiraten will, was muss er da tun?«

      »Sie meld’n sich bei mir und wir such’n einen freien Termin. Wenn der für Sie passt, können S’ hier heiraten«, erwiderte Nikolaus Brandtner. »So einfach geht das.«

      »Ist in diesem Offert die ganze Burg inbegriffen?«, hakte Stern nach.

      »Wir haben verschiedene Angebote. Die reichen von der kirchlichen Trauung in der Burgkapelle mit anschließender Agape im Burghof bis hin zur kompletten Hochzeitsfeier in der Burg. Da dürfen S’ natürlich sämtliche Räume benutzen. Wie es das Geldbörserl halt zulässt oder die Wünsche der Brautleute es verlangen.« Nikolaus Brandtner verschränkte zufrieden die Arme von der Brust. Er war sichtlich stolz auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, die er den Heiratswilligen bieten konnte. Trüge er statt des legeren Anzuges eine Ritterrüstung, käme sich Stern in die Zeit des Mittelalters zurückversetzt vor. Der Mann war unrasiert und seine Haare waren zu lang, ähnlich wie die von Kolanski. Vielleicht war das aber auch die heutige Mode für Männer mittleren Alters, was wusste Stern schon.

      »Und die Hochzeit gestern? Welches Arrangement war dafür gebucht?«

      »Äh … Sie wiss’n, Datenschutz und so …«, stammelte der Mann herum, weil es ihm sichtlich schwerfiel, dem Chefinspektor diese Frage nicht zu beantworten.

      »Wir haben eine Tote, Herr Brandtner. Mit großer Wahrscheinlichkeit war es kein Selbstmord. Also, wenn Sie mir die Auskunft nicht geben, kehre ich mit einem Gerichtsbeschluss zurück und nehme Ihre Burg auseinander«, stellte Stern klar.

      »Natürlich.« Brandtner räusperte sich. »Die Gesellschaft gestern hat die Burg im Gesamten g’mietet. Das sind keine einfachen Leut’, wenn S’ versteh’n, was ich mein.«

      »Nein, das tue ich nicht. Also könnten Sie das …«

      »Die hab’n Geld wie Heu, Geschäftsleute mit Beziehungen bis ganz nach oben«, erläuterte Nikolaus Brandtner, noch bevor Stern zu Ende geredet hatte. »Und er, der alte Hallsteiner, der das alles bezahlt hat, ist ein ziemlich schwieriger Mann, mit dem man sich besser net anlegt.«

      »Und wenn er der Kaiser von China wäre, ist mir das egal. Für mich ist er wie jeder andere, dessen Hintergrund ich durchleuchten muss. Wir untersuchen hier einen Mordfall«, erwiderte Stern energisch. Diese Obrigkeitshörigkeit ging ihm auf die Nerven. Gerade er mit seinem Job wusste, dass Reichtum und Ansehen niemanden davon abhielt, ein Verbrechen