das waren übrigens Haak und Strickle, die du ja schon kennengelernt hast, handelte es sich um einen von einer Jugendgang verübten Mord.«
Der Holograf zeigte einen untersetzten Beamten, der sich über eine am Boden liegende Gestalt beugte.
»Haak?«
Hensen nickte und spulte zurück.
»Die Satellitenüberwachung lieferte keine brauchbaren Bilder. Aber wir haben Bilder von einer alten Überwachungskamera. Nur HD-Format.«
Der Holograf zeigte einen knapp 30-jährigen dünnen Mann in Hawaiihemd und Cordhose, der – offenbar leicht angetrunken – durch die Gasse schlenderte.
»Jetzt pass auf!«
Aus dem Halbdunkel eines Hauseingangs trat eine füllige Frau mit kurzem Rock, großer Sonnenbrille und toupierten wasserstoffblonden Haaren.
»Pass auf, die Frau hat wohl gewusst, wo die Kamera installiert ist. Ihr Gesicht ist kein einziges Mal in der Frontaleinstellung zu sehen.«
Die Frau folgte dem Mann. Dieser drehte sich irritiert um. Als er sah, dass es sich bei seinem Verfolger um eine Frau handelte, nickte er ihr freundlich zu. Plötzlich rannte die Frau auf ihn zu und schien ihn zu umarmen. Der Mann brach zusammen, um seinen Kopf bildete sich eine Blutlache.
Hensen zoomte auf den Mann. Seine Augen waren weit aufgerissen, er hatte eine klaffende Wunde am Hals. Die Frau war so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
Hensen stoppte die Aufnahme.
Jetzt räusperten sich schon mehrere der Gäste an den Nachbartischen.
Hensen ignorierte sie. »Und?«, fragte sie Babic.
»Das ist wahrscheinlich keine Frau.«
»Warum? Das Gesicht ist doch kaum zu sehen?«
Babic lehnte sich zurück. »Drei Punkte. Spul mal kurz zurück … Ja, halt.
Schau mal, wie sich die angebliche Frau bewegt. Sie geht breitbeinig. Hier, schau, greift sie sich an den Po, als ob der Rock sie stört. Stopp …«, sagte Babic. Hensen hielt den Film an.
Di Marco kniff die Augen zusammen und nickte dann. »Dass mir das vorher nicht aufgefallen ist.«
Hensen räusperte sich. »Hey, könnt ihr mich mal aufklären?«
Di Marco wandte sich ihr zu. »Schau mal auf die Bewegung der Brust beim Niederbeugen. Das sieht doch nicht echt aus?«
Hensen sah genauer hin. »Tatsächlich.«
Babic fuhr fort: »Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Indikatoren, wie zum Beispiel das Unterschenkel-Hüft-Verhältnis. Aber egal, das ist keine Frau. Außerdem, da ist noch was anderes.«
Sie holte einen bleistiftförmigen Stick aus der Tasche, steckte ihn in den Holografen und gab ein paar Befehle in ihr Visiophone ein. Im Bild erschien ein roter Pfeil, der vom Kopf der Frau zum Seitenrand des Hologramms reichte.
»Passt auf. Es sieht so aus, als ob die Frau immer wieder zur gleichen Stelle schaut.«
Sie schaltete den Film wieder an, und der Pfeil bewegte sich hin und her. Sie wandte sich an Hensen.
»Mit absoluter Sicherheit kann ich das natürlich nicht sagen, weil wir das Gesicht nicht richtig auf dem Schirm haben. Habt ihr Bilder von der Stelle, wohin die Pfeile zeigen?«
»Nein, die müssen irgendeinen Störsender eingesetzt haben, sodass wir in diese Ecke keinen Einblick haben.«
Hensen schaltete den Holografen aus und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Habt ihr schon herausbekommen, welche Personen hinter den wieder auferstandenen Identitäten stecken?«, fragte Babic.
»Da sind wir gerade dran«, erläuterte Di Marco. »Es gibt aber ein Problem. Die anderen Kontrolleure der Netzverwaltung geben an, dass sich die Gesamtzahl der Netzidentitäten nicht verändert habe, und weigern sich deshalb, Auskunft zu geben, wem die vernichteten Netzidentitäten gehörten.«
»Und warum?« Bei Babic hatte es noch nicht geklickt.
»Wir haben keine Berechtigung, die Identitäten der realen Personen zu erfahren, denen die Netzidentitäten gehörten …«
»… weil die Gesamtzahl der Netzidentitäten ja gleich geblieben ist, das Problem für die Verwaltung somit ein nur bürokratisches ist und die Netzverwaltung deshalb keine Aufhebung des Datenschutzes erlaubt.« Jetzt hatte Babic kapiert, worum es ging.
»Aber wie kann man dann überhaupt herausbekommen, zu wem die Identitäten gehören?«
»Es gibt mehrere Möglichkeiten. Die erste funktioniert nur, wenn die Netzidentitäten, die ermordet wurden und wieder auferstanden sind, schon mal im Netz straffällig geworden sind«, erklärte Hensen.
Die Netzverwaltung musste gegenüber einem Beamten der Bundespolizei, einem Beauftragten einer staatlichen Organisation oder einem Sicherheitsangestellten der European Assurance die reale Identität eines Networkers trotz Datenschutz dann offenlegen, wenn diese Person im Netz, in ihrer Netzidentität also, einmal straffällig geworden war.
»Also versuchen wir zu überprüfen, ob die ermordeten und wieder auferstandenen Identitäten schon mal im Netz straffällig geworden sind, dann erhalten wir die Namen der Besitzer und können schauen, ob mit der Auferstehung alles koscher war.«
Mia Babic erwärmte sich zusehends für Arbeit, die auf sie zukam. »Aber wenn dies nicht der Fall ist, dann stehen wir auf dem Schlauch. Welche Möglichkeiten gibt es noch?«
»Ins Netz gehen und mit den wiederauferstandenen Netzidentitäten Kontakt aufnehmen, um mehr zu erfahren«, erklärte Di Marco. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, dachte er sich und sah Babic an. Sie schien die Geiselnahme gut verkraftet zu haben, ihrem ironischen Lächeln nach zu schließen. Ihre weißen Zähne kontrastierten schön mit dem sonnengebleichten Haar, das ihr ovales Gesicht umrahmte.
»Di Marco, konzentrier dich«, murrte Hensen. »Es gibt eine Sache, die alles noch zusätzlich erschweren könnte.«
»Komm, mach’s nicht so spannend.«
»Die Netzidentitäten könnten alle auch von nicht-netzarbeitspflichtigen Personen stammen.«
»Und die sind anonym«, schloss Babic, die langsam das Gefühl hatte, dass ihre grauen Zellen wieder funktionierten wie früher.
Sie wusste, dass man sich als Arbeitsloser, wenn man über ein entsprechendes Vermögen verfügte, mit der einmaligen Zahlung einer auf 250.000 Euro festgelegten Summe an die Bundesstaatliche Netzverwaltung und mindestens einer 1,000.000 Euro liquidem Privatvermögen, das jährlich nachgewiesen werden musste, von der virtuellen Arbeitspflicht befreien lassen konnte. Man verlor dabei nicht die Berechtigung, virtuell zu arbeiten oder die Möglichkeiten virtueller Freizeitgestaltung zu nutzen. Man wurde aber nicht mehr kontrolliert.
Babic hatte gehört, dass die von der Netzarbeitspflicht befreiten Reichen deshalb regelrechte Narrenfreiheit im Netz genossen. Sie hatten sogar das Recht auf absolute Anonymität. Beantragte eine solche Person beispielsweise eine Netzidentität, um sich im Netz zu amüsieren oder einer virtuellen Arbeit nachzugehen, dann durfte diese Identität nicht mehr zum Besitzer zurückverfolgt werden, außer die Netzverwaltung hob die Immunität auf, was so gut wie nie geschah.
Die Anonymität ermöglichte den Reichen natürlich einen großen Handlungsspielraum zum virtuellen Ausleben sexueller Neigungen und krimineller Energien. Vor diesem Problem stand die SBBK immer wieder, wenn virtuelle Vergewaltigungen, Körperverletzungen oder Belästigungen auftraten, die nicht zu realen Personen zurückverfolgt werden konnten und die daher nach gängigem Recht ungeahndet bleiben mussten.
»Okay«, Babic fasste zusammen, »wenn wir die Namen der Personen nicht kriegen, dann könnten es entweder unauffällige Networker oder aber Netzarbeitsbefreite sein, die sich im Netz amüsieren wollen. Für unsere Ermittlungen wird dies aber wohl bedeutungslos sein. Oder?«
Sie