Greta R. Kuhn

Saarland-Connection


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blätterte gelangweilt in der Mittwochsausgabe der Saarbrücker Zeitung. Vor ihr dampfte ein großer Milchkaffee, den Francesco ihr zubereitet hatte, bevor er zur Arbeit gegangen war. Sie selbst hatte noch etwas Zeit, bis sie ins Präsidium musste. Es war ihr erster Tag nach der Zwangspause, die sie nach ihrer Armverletzung und den Strapazen des letzten Falls hatte einlegen müssen. Der Streifschuss am Oberarm war gut verheilt, sie hatte nur wenige Tage im Krankenhaus bleiben müssen. Bei den seelischen Narben hatte es etwas länger gedauert. Bis sie sich wieder einigermaßen sicher fühlte, waren Wochen vergangen. Es war ihr anfangs schwergefallen zu akzeptieren, dass sie es überstanden hatte. Ihr Freund Francesco, der ja selbst in Mitleidenschaft gezogen worden war, hatte alles versucht, um sie wieder aufzubauen. Noch nie hatte sich jemand so um sie bemüht. Das rechnete sie ihm hoch an.

      Doch jetzt hatte er sich in den Kopf gesetzt, mit ihr zusammenzuziehen. Damit hatte er ihre inneren Alarmglocken ausgelöst. Sie hatte noch nie mit jemandem zusammengewohnt, seit sie von zu Hause ausgezogen war. Außerdem liebte Veronika ihre Zweieinhalb-Zimmer-Altbauwohnung am Daarler Markt in St. Arnual, einem Stadtteil von Saarbrücken. Die Wohnung war gut geschnitten, gemütlich, mit niedrigen Decken und offenen dunklen Holzbalken, und versprühte noch den Charme des alten Bauernhauses, aus dem die Vermieter mehrere Wohnungen gemacht hatten. Doch für zwei Personen war sie einfach zu klein.

      Lustlos überflog sie den Immobilienteil in der Zeitung. Francesco schwebte eine Erdgeschosswohnung mit Gartenanteil in einem der gehobeneren Viertel am Rotenbühl oder am Triller vor oder eine Wohnung mit großer Dachterrasse. Oder gleich ein Häuschen in der französischen Grenzregion, da stand momentan vieles günstig zum Verkauf. Dort würde er mit seinem neuen Job, den er vor wenigen Wochen bei dem Getriebebauer ZF angetreten hatte, auch noch ordentlich Steuern sparen können. Veronika war von der Vorstellung wenig begeistert. Sie sah sich nicht in einem akkurat gepflegten Garten unter dem Sonnenschirm sitzen, vor einer mit kleinen kirschförmigen Gewichten beschwerten Plastiktischdecke, während sie ihrem Mann beim Rasenmähen zuschaute.

      Sie blätterte weiter und blieb an einem Artikel über einen Performancekünstler hängen, dessen Ausstellung am Abend in der Völklinger Hütte vor geladenen Gästen eröffnet werden sollte. Auch sie würde vor Ort sein müssen, Anweisung von ganz oben. Als Teil des Frauenförderprogramms des Innenministeriums hatte man sie für solche Anlässe fest eingeplant. Sie würde unzählige Hände schütteln, Namen, die sie sich nicht merken würde, hören und sich schließlich zu Hause aus den unbequemen Absatzschuhen und der engen Hose schälen, die sie zu solchen Anlässen trug – auch wenn sie sich damit verkleidet fühlte. Obwohl Kunst für sie meistens nur buntes Gekleckse war, welches sie nicht auseinanderhalten konnte, hatte sie den Namen Paulo Pausini schon einmal irgendwo gehört oder gelesen. In welchem Zusammenhang? Sie kramte in ihrem Gedächtnis. Da war irgendein Störgefühl, das sie mit dieser Person verband. Aber welches? Auf dem Foto sah er zumindest ziemlich durchgeknallt aus. Vielleicht würde es ja wirklich ein spannender Abend werden.

      Sie trank ihren Milchkaffee aus, der mittlerweile nur noch lauwarm war, und blickte auf die Uhr. Verdammt, Viertel vor neun. Wo war die Zeit geblieben? Sie warf sich am Waschbecken etwas Wasser ins Gesicht, schlüpfte in ihre Klamotten und schwang sich aufs Fahrrad. Wenn es darauf ankam, konnte sie schnell sein. Um halb zehn hatte sie einen Termin bei ihrem Chef Lothar Klein, der sie nach ihrer Zwangspause über den letzten Fall informieren wollte, bei dem sie selbst ins Visier der Täterin geraten war. Auch wenn sie bereits von den Kollegen ein paar Hinweise unter der Hand bekommen hatte, war sie schon sehr gespannt auf den Abschlussbericht – und hoffte, damit selbst mit den Erlebnissen abschließen zu können.

      Sie trat fest in die Pedale ihres Rennrads, denn sie wollte noch beim Konditor in der Mainzer Straße vorbeifahren und Croissants für die gesamte Mannschaft kaufen. Es war ja quasi ihr zweiter Einstand.

      4.

      Er würde es niemals zugeben, aber er war nervös. Nur noch wenige Stunden bis zur Eröffnung seiner Ausstellung. Achim, sein Manager, hatte Gott und die Welt eingeladen. Journalisten und Kritiker aus ganz Europa würden heute ins kleine Saarland reisen, nur um seine Ausstellung anzuschauen. Aber auch jeder, der im Saarland Rang und Namen hatte, stand auf der Gästeliste. Insgesamt 550 Personen, plus diejenigen, die live zugeschaltet waren. Ob es eine Vernissage in dieser Größenordnung überhaupt schon einmal gegeben hatte? Er, Paulo Pausini, setzte Maßstäbe. Das hatte ihm Achim immer versprochen. Seit drei Jahren war er bereits sein Manager und tat alles, um ihn groß rauszubringen. Beschweren konnte er sich in jedem Fall nicht. Alles, was Achim ihm vorgeschlagen hatte, hatte voll eingeschlagen. Auch wenn es ihn Überwindung kostete, sich so zu inszenieren: Jeder noch so kleine Skandal hatte seine Bekanntheit gesteigert, die Preise seiner Bilder waren in schwindelnde Höhen geschossen.

      Dennoch plagten ihn, wie vor jedem größeren Event, massive Selbstzweifel. Der Spagat zwischen seinem inszenierten Ego und seiner wahren Persönlichkeit war riesig. Das merkte er besonders in solchen Situationen. Was, wenn es ein Reinfall wurde? Wenn er bei seiner Rede keinen Ton rausbekam oder sich ständig verhaspelte? Wenn die Journalisten nur gehässige Fragen stellten, die seinen Ruf in kürzester Zeit demontierten? Es gab einige in der Szene, die ihm das mehr als wünschen würden. Je größer sein Erfolg wurde, desto schärfer wurden seine Kritiker.

      Entsprechend gelaunt hatte er heute Morgen Achim seine Hotelzimmertür geöffnet. Dieser hatte ihn im La Maison Hotel in Saarlouis eingebucht und fläzte jetzt auf dem grünen Samtsofa, das inmitten seiner Suite stand, während er hektisch auf seinem Handy herumwischte.

      Paulo betrachtete ihn mit Abscheu. Wenn man ihn nicht kannte, wirkte Achim auf den ersten Blick abstoßend. Er schwitzte immer, vor allem auf seiner Glatze, und schnaufte laut, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit. Das lag nicht zuletzt an seinem hohen Übergewicht und dem ungesunden Lebensstil. Da er recht klein war, sah er aus wie eine Kugel auf zwei kurzen Beinen, die permanent entweder rauchte oder Schokoriegel in sich hineinschob. Doch wenn man Achim näher kennenlernte, dann entpuppte er sich als der loyalste und engagierteste Partner, den man sich wünschen konnte. Er war unglaublich gut vernetzt, vor allem im Saarland, aus dem er ursprünglich stammte, und ein absoluter PR-Profi. Er war kreativ und mutig und kannte die Branche wie seine Westentasche. Paulo vertraute ihm als Einzigem und hatte deshalb auch nachgegeben, als Achim unbedingt hier die große Vernissage veranstalten wollte.

      »Ich lege mich noch einmal für eine halbe Stunde in den Whirlpool und will dann etwas essen, sonst wird es zu spät, und mit vollem Magen gehe ich dort auf keinen Fall hin«, informierte Paulo seinen Manager. Dieser nickte nur und nestelte einen weiteren Schokoriegel aus seiner Tasche. Als er Paulos entgeisterten Blick auffing, beeilte er sich zu antworten. Eine Eskalation so kurz vor der Vernissage konnten sie jetzt nicht gebrauchen.

      »Ist gut, ich organisiere dir etwas.«

      Paulo nickte nur, warf seine schulterlangen Haare zurück, band seinen Bademantel fester um die Taille und trat auf seine Terrasse.

      Achim Denkert atmete auf. Das war knapp gewesen. Er beeilte sich, die Essensbestellung für seinen Schützling durchzugeben, und widmete sich dann wieder seinen Mails.

      5.

      Im Büro hatten sich die Kollegen für Veronikas Rückkehr richtig Mühe gegeben. Ein kleines Willkommensbanner und drei leuchtend bunte Luftballons hingen an ihrem Schreibtisch. Auf dem Flur gab es bereits ein großes Hallo. Ob diese Herzlichkeit nur an ihr oder doch an den zwei großen Tüten mit der verräterischen Aufschrift lag, in denen sie die leckersten Croissants und Blätterteigteilchen der Stadt transportierte? Doch die vielen Fragen nach ihrer Gesundheit, nach Francesco und ihrem gemeinsamen Urlaub sowie die ersten spitzen Randbemerkungen zu ihrer längeren Abwesenheit zeigten ihr, dass hier alles beim Alten und sie weiterhin Teil des Teams war. Alle, die im Rahmen des letzten großen Einsatzes verletzt worden waren, waren wieder an Bord. Zum Glück hatte es, bis auf eine Ausnahme, nur leichtere Schussverletzungen und Schürfwunden gegeben. Jetzt ging es darum, auch die psychische Gesundheit der Mitarbeiter wiederherzustellen. Veronika hatte sich aus dem Krankenstand vehement dafür eingesetzt, dass ausnahmslos alle an dem Einsatz Beteiligten eine vollumfängliche psychologische Betreuung bekamen.

      Damals hatte sie ein Kollege, der als