es in der Zwischenzeit geschafft, den Nebenraum zu evakuieren, lediglich Paulo Pausini, sein Manager und Sebastian Kirschmeier hatten sich vor der Kunstinstallation versammelt, als Veronika und Jahnke dazustießen.
Pausini lehnte gehockt gegen die Wand, das Gesicht in seinen Händen vergraben. Sein Manager stand neben ihm und tätschelte ihm den Kopf, als wäre der Künstler ein alternder Schäferhund, der seine Dienste getan hatte. Klein und Kirschmeier tauschten sich murmelnd aus und öffneten ihren kleinen Kreis für die beiden Neuankömmlinge.
»Verstärkung habe ich angefordert, ebenso die Spurensicherung. Die sollten jeden Moment da sein. Wie läuft es am Ausgang?«
»Herr Jahnke hier ist der verantwortliche Eventmanager, er hat seinen Mitarbeitern Anweisung gegeben, jeden einzelnen Gast zu registrieren«, informierte Veronika ihren Chef.
»Das stimmt, allerdings habe ich gerade die Info über Funk bekommen, dass es schon erste Kandidaten gibt, die über Personalausgänge nach draußen gelangt sind. Bei dem Chaos hier ist das nicht auszuschließen. Die Leute wollen einfach nicht länger in der Schlange stehen, es gibt bereits handfeste Diskussionen im Ausgangsbereich.«
»Okay, darum müssen wir uns später kümmern. Am wichtigsten ist zu klären, mit wem wir es hier zu tun haben.«
Veronika deutete auf das Opfer. Hautfarbe, Totenflecken und der starre Blick machten eine Überprüfung der Vitalfunktionen überflüssig. Dieser Mensch war schon länger tot. Je weniger sie am vermeintlichen Tatort berührten, desto besser war es für die Spurensicherung später.
Das Opfer war männlich und übergewichtig, die angegrauten Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht. Er kniete in einer betenden Pose, die Hände und Füße hatte jemand mit Kabelbindern zusammengebunden, seine Augen waren starr auf die ineinander gefalteten Finger gerichtet.
»Da hat sich aber einer mit dem Anrichten wirklich Mühe gegeben«, durchbrach Kirschmeier die Stille. Veronika zuckte bei dem Wort zusammen, es gehörte aus ihrer Sicht nicht zum respektvollen Umgang mit Toten. Anrichten, er war doch kein Spanferkel. Sie stöhnte leise und suchte den Blick ihres Chefs, der immer noch mit gerunzelter Stirn vor dem Kunstwerk stand.
Doch der Staatsanwalt ließ sich nicht beirren.
»Irgendwie kommt mir der Kollege bekannt vor. Auch wenn der Tod bereits seine Spuren hinterlassen hat. Herr Klein, sagt Ihnen das Gesicht nichts? Ich könnte wetten, dass ich den schon auf diversen Empfängen gesehen habe. Aber ein Name?«
Veronika platzte der Kragen. »Herr Staatsanwalt, es wäre gut, wenn wir hier nicht von Kollegen und Anrichten sprechen könnten. Wir befinden uns an einem Leichenfundort, da erwarte ich einen etwas respektvolleren Ton, bitte.«
Kirschmeier schaute sie verdutzt an und wollte gerade etwas entgegnen, als Lothar Klein die beiden unterbrach.
»Das ist Hartmann, Benno Hartmann. Er ist Bauunternehmer, und wenn mich nicht alles täuscht, wohnt er auf dem Bübinger Berg. Er ist bei den Rotariern, wahrscheinlich haben Sie ihn dort gesehen, Herr Kirschmeier.«
Ihr Opfer hatte einen Namen.
»Und Kirschmeier, Frau Hart hat recht. Überdenken Sie bitte Ihre Wortwahl.«
12.
Was machte dieser Mann in seiner Installation? Als der Polizist, der sich ihm als Lothar Klein vorgestellt hatte, den Namen des Toten nannte, war er zusammengefahren. Er wusste, wer er war, aber er konnte sich nicht erklären, was er hier verloren hatte. Sie würden ihn verdächtigen, das getan zu haben. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen.
»Ich kenne ihn nicht. Was soll das alles?«, presste er mit zusammengeschnürter Kehle hervor. Tränen traten ihm in die Augen.
Die kleine Gruppe vor ihm verstummte und sah ihn an. Er fühlte sich elend und hätte sich am liebsten in einer Mauerritze verkrochen. Wie sagte Achim immer? Wer hoch flog, konnte auch tief fallen. Und es war ein verdammt harter Aufprall gewesen. Zitternd und voller Adrenalin und Endorphine hatte er vor wenigen Minuten, kurz vor der Enthüllung, die Reißleine in der Hand gehalten. Monatelange harte Arbeit an diesem Werk lag hinter ihm.
Diese Installation sollte ihn auf die nächste Ebene in der Kunstszene katapultieren. Eine Hommage an Joseph Beuys, als Einheit von Formen, Materialien und praktischem sowie theoretischem Handeln, gemischt mit Einflüssen des japanischen Installationskünstlers Jun’ichi Kakizaki, von dem er die natürlichen Materialien übernommen hatte. Er hatte es geschafft, Metallartefakte der letzten Jahrzehnte, welche die Industrialisierung und Mechanisierung des menschlichen Lebens symbolisierten, mit echten Schlingpflanzen zu einem komplexen, sich selbst aufrechterhaltenden Kunstwerk zu kombinieren. Hierbei wurden die Gebrauchsgegenstände von Lianen und Efeu so eingefasst, dass diese die Überhand zu gewinnen schienen. Sein Ziel, den täglichen Kampf zwischen Natur und Zivilisation zu zeigen, hatte er damit aus seiner Sicht voll erreicht. Unter dem Titel »Strike back – Die Natur schlägt zurück« wollte er ein Zeichen gegen die Naturzerstörung und die menschliche Hybris gegenüber der Umwelt setzen. In der Mitte hatte er einen Freiraum gelassen, ein Fenster in die Dunkelheit als symbolischer Ausblick in die Zukunft. Und in diesem Fenster kniete jetzt dieser Fremde. Nackt, mit gefalteten Händen und starrem Blick. Als würde er um Vergebung bitten.
Im ersten Moment hatte ihn ein Schauer der Erregung durchlaufen. Diese Ergänzung hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausdenken können, aber sie war perfekt. Er hatte sich dabei ertappt, das Gesamtbild in sich aufzusaugen, durchzuatmen. Bis ihm bewusst wurde, dass dies alles zerstörte. Dass es nicht er gewesen war, der diesen Menschen dort platziert hatte. Dass es nicht rechtens war. Dass es sich um ein Verbrechen handelte. Ein Verbrechen, das seine Arbeit zunichtemachte. Sein Kunstwerk zu einem Tatort. Seine Aussage zu einem müden Appell neben dem Tod. Mit dem ersten Aufschrei aus der Besuchermenge hatte er Achim angeschaut, der kalkweiß neben ihm stand. Er war einige Schritte rückwärts gewankt bis zur kühlen Wand, an der er ruckelnd herunterrutschen konnte.
Dort saß er immer noch, als er sich mit den Polizisten unterhielt.
»Herr Pausini, wir möchten Sie bitten, erst einmal in der Nähe zu bleiben. Es wäre gut, wenn wir morgen früh auf dem Präsidium Ihre Aussage aufnehmen könnten. Wäre 9.00 Uhr für Sie in Ordnung?«
Die Kommissarin schaute mit fragendem Blick in Achims Richtung, als er sich nicht rührte. Der nickte kurz und murmelte: »Kein Problem, ich werde mich darum kümmern. Komm, Paulo, lass uns zurück ins Hotel fahren. Es wäre sicher gut, wenn wir hier weg wären, bevor die Presse davon Wind bekommt.«
Nur widerwillig konnte er seinen Blick von seinem Werk lösen.
Die Natur schlug zurück.
13.
Allein dafür, die Gesichter aus nächster Nähe zu sehen, als sie seine Botschaft entdeckten, hatte sich der ganze Aufwand gelohnt. Er selbst hatte die Spannung kaum ausgehalten, dann noch diese dramatische Musik als Einleitung der Enthüllung. Pausini und sein Manager-Schatten waren mit der Moderatorin erst von der Bühne und dann durch die Menge gelaufen, die sich vor ihnen geteilt hatte wie das Meer vor Moses. Irgendwie bekam er diese religiösen Bilder nicht aus seinem Kopf. Aber es passte auch einfach zu gut.
Hätte er den Arm ausgestreckt, hätte er Pausini berühren können, als er an ihm vorbeischritt, den Kopf erhoben, den Blick verklärt nach vorn gerichtet. Was für ein Theater. Als der Vorhang dann fiel und Pausini entdeckte, dass sein Werk verändert, ja verbessert worden war, war seine Fassade, mit etwas Zeitversatz zwar, aber in Sekundenschnelle gebröckelt. Sein Körper war in sich zusammengefallen und sein Blick ungläubig, wie ein kleines Kind vor dem reich geschmückten Weihnachtsbaum, auf seinem Beitrag haften geblieben. Regungslos. Unter Schock.
Und auch im Publikum war nach und nach der Groschen gefallen. Spitze Schreie, Panik, rauschendes Gemurmel waren wie Musik in seinen Ohren gewesen. Ein Crescendo der Erkenntnis, Gläser fielen zu Boden, man schob sich in Richtung Ausgang, angsterfüllte Blicke auf allen Seiten. Nur er blieb ruhig und beobachtete.
Als er vor wenigen Wochen die Einladung zu der Vernissage in den Händen gehalten