Greta R. Kuhn

Saarland-Connection


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sie gehabt hatten. Den Maulwurf hatte eine Kugel tödlich getroffen, aber nach dem, was sie im Nachhinein über ihn und sein Leben herausgefunden hatten, dachte Veronika insgeheim, dass es für ihn vielleicht die beste Exit-Strategie gewesen war. Er wäre für seine Vergehen sicherlich ins Gefängnis gewandert, und sie wusste, dass Polizisten dort keinen leichten Stand hatten.

      Nachdem sie unzählige Hände geschüttelt und Kurzberichte abgegeben hatte, ließ sie sich auf den Ledersessel hinter ihrem Schreibtisch gleiten. Sie atmete tief durch. Diesen Platz hatte sie sehr vermisst. Der Stuhl hatte eine besondere Bedeutung für sie, denn er hatte schon ihrem Vater gehört. Ein Metalldrehstuhl mit abgewetzten dunkelbraunen Lederpolstern und speckigen Armlehnen, der sie bisher überall auf ihrer beruflichen Laufbahn begleitet hatte – auch wenn sie für ihn bereits viel Spott geerntet hatte. Schon als kleines Mädchen hatte sie den Stuhl geliebt, war stundenlang auf ihm herumgeturnt oder hatte auf dem Schoß ihres Vaters gesessen und ihn angefleht, sich noch einmal mit ihr um die eigene Achse zu drehen. Der Geruch war für sie ein Stück Heimat. Gab ihr Kraft und Inspiration.

      Die Tür ging auf und Sven Becker steckte den Kopf rein:

      »Bist du bereit für deinen großen Auftritt heute Abend? Ich habe gehört, ihr seid da in illustrer Runde unterwegs. Was wirst du denn anziehen?«

      Veronika verdrehte die Augen. Er wusste genau, dass sie solche Veranstaltungen nicht ausstehen konnte. Abgesehen davon war bekannt, wie unwohl sie sich in festlicher Garderobe fühlte, die so gar nicht zu ihrer Standardausstattung gehörte.

      »Und wie. Hab heute früh noch was drüber gelesen, wird bestimmt suuuper!«, frotzelte sie. »Ich bin mir noch nicht sicher, vielleicht kannst du mich da beraten, als einziger Mann in eurem Haushalt und mit deiner Affinität zu Mode«, fügte sie hinzu. Ihre Stimme triefte vor Ironie, beide lachten.

      »Was steht denn zur Auswahl?«

      »Hmm, ich schwanke zwischen meinem Kommunionkleid, das müsste ich allerdings noch etwas abändern, ist Größe 134. Und dann habe ich da noch so ein pinkes Stretchkleid, das ich mir mit 17 mal für eine unglaublich angesagte Party gekauft und mich damit furchtbar blamiert habe, weil ich mir den hinteren Teil in die Strumpfhose gesteckt hatte.«

      »Ich würde an Ihrer Stelle zum Kommunionkleid tendieren, Sie wollen sich doch nicht noch einmal blamieren?«

      Das war nicht Beckers Stimme, die ihr antwortete, sondern die von ihrem Chef Lothar Klein, der im Türrahmen stand. Für dessen Ohren war dieses Gespräch nicht bestimmt gewesen, zumal sie ihn heute Abend zu der Vernissage begleiten würde. Sie lächelte verlegen.

      »Keine Sorge, ich mache nur Spaß. Ich habe selbstverständlich etwas Ordentliches zum Anziehen, machen Sie sich keine Sorgen, Herr Klein.«

      Die beiden Männer lachten und sie stieg mit ein. Es würde schon nicht so schlimm werden. Jetzt musste sie sich erst einmal einen Überblick verschaffen, um schnellstmöglich die Leitung der Abteilung wieder zu übernehmen.

      6.

      Zufrieden blickte er sich um. In den vergangenen Stunden hatte sein Team noch einmal alles gegeben, um die Location auf Hochglanz zu bringen, spröder Industriecharme inklusive. Die Techniker hatten alles mehrfach durchgeprobt, alle Mikrofone getestet und sogar die Lichtshow, die dieser Pausini für heute Abend konzipiert hatte, einmal durchlaufen lassen. Achim Denkert, der Manager des Künstlers, hatte die finale Abnahme gemacht. Paulo Pausini sei dazu so kurz vor der Eröffnung nicht in der Lage, hatte er ihm erklärt und schien das für völlig normal zu halten. Er konnte da nur den Kopf schütteln, diese Kunstszene war einfach eine Welt für sich.

      Plötzlich verstummten die leisen Gespräche der Mitarbeiter im Raum sowie jegliche Hintergrundgeräusche. Jahnke schaute auf und beobachtete, wie Paulo Pausini den Raum betrat. Seine Haare hatte er zu einem Dutt hochgebunden, wie ein Samuraikrieger. Dazu passte der rot-graue Seidenkimono, den er wehend über einem schwarzen Outfit trug, das ihn ebenfalls an alte japanische Filme erinnerte. Fehlte nur noch, dass er so steife Holzpantoletten trug, und man hätte ihn glatt als Geisha verkaufen können. Gut, ohne Schminke.

      Würde also ein japanischer Abend werden, na herrlich, dachte sich Gerrit Jahnke sarkastisch. Denn weder das Catering, die Tischdeko noch sonstige Details waren darauf abgestimmt. Aber das war ihm jetzt egal, er hoffte nur, dass es Pausini nicht auffallen würde. Tat es nicht. Der Künstler war wie ausgewechselt. Trotz seines eindrucksvollen Auftritts schien er nervös zu sein. Nach einem kurzen Rundgang mit seinem Manager verschwand er direkt in den Backstagebereich. Nach dem, was Jessica ihm ein paar Minuten später zuflüsterte, lag er dort wohl auf der Couch und hatte die Hände über dem Oberkörper gefaltet. »Wie tot«, sagte sie. »Fast unheimlich.«

      In 15 Minuten würden sie die Türen öffnen, die ersten Gäste scharrten davor schon mit den Hufen. Er rief alle Mitarbeiter noch einmal zu einer großen Runde zusammen. Ein letzter Motivationsschub, bevor sie in einen langen Abend starteten.

      »Meine Herrschaften, gleich geht es los. Wir haben bis hierher einen super Job gemacht. Schaut euch um, es sieht top aus. Draußen warten 500 Gäste, die wir heute nach allen Regeln der Kunst verwöhnen werden. Es soll ihnen an nichts fehlen. Die Völklinger Hütte ist ein hervorragender Gastgeber, lasst es uns denen da draußen zeigen. Uns allen viel Glück!«

      7.

      Das Kribbeln in ihm war kaum auszuhalten. Er musste sich große Mühe geben, um nicht laut zu schreien oder wie ein Derwisch herumzutanzen. Er war früh da gewesen, hatte länger noch im Auto gesessen und versucht, sich mit einem Winzerpodcast abzulenken. Dann hatte er sich zu den bereits Wartenden gesellt, von denen er niemanden kannte. Als er die Ausstellung betreten hatte, war er einer der ersten 20 Gäste gewesen. So blieb ihm genug Zeit, herumzuschlendern, den einen oder anderen Bekannten zu begrüßen, etwas Small Talk zu machen und sich dann wie zufällig einen Platz mit der perfekten Aussicht zu sichern. Er liebte es, wenn Pläne aufgingen. Und gerade sah alles danach aus.

      8.

      Veronika nestelte gerade zum gefühlt einhundertsten Mal an ihrer Bluse herum. Als sie sie in einem Laden am Sankt Johanner Markt gekauft hatte, war die Verkäuferin wegen der kessen Schlaufe am Hals fast ausgeflippt, das wäre der letzte Schrei. Nach Schreien war Veronika auch gerade zumute, denn die einst so voluminöse Schleife hing wie ein schlaffer Strick um ihren Hals. Das dezente Blumenmuster machte das Ganze nicht besser, ihre Bluse sah mehr nach einem Unfall als nach einem gelungenen Outfit aus. Und die beige Chinohose mit trendigem Paperbag-Bund, die sie im Geschäft noch richtig gut gefunden hatte, ließ ihre Hüften jetzt doppelt so breit erscheinen. Auf jeden Fall kam es ihr so vor, gefangen in einer ausgestellten Clownshose. Veronika wäre am liebsten im Boden versunken oder mit einer fadenscheinigen Entschuldigung nach Hause verschwunden, aber der Blick von Lothar Klein ließ keinen Rückzug zu. Als sie am Treffpunkt angekommen war, hatte er sie von oben bis unten gemustert und ein Gesicht gemacht, als hätte er sich auf die Lippe und gleichzeitig in eine Zitrone gebissen. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Seitdem fühlte sie sich unwohl und fragte sich, ob sie in diesem Outfit überhaupt bei so einer exklusiven Veranstaltung reingelassen werden würde.

      Vor ihrem inneren Auge wurde sie bereits vom Security-Mann abgewiesen wie von einem Türsteher vor der Disco.

      »Sorry, aber so kommst du nicht rein. Heute nur gut angezogene Gäste.« Vorsorglich bekam sie schon einmal hektische Flecken am Hals, obwohl sie sich immer noch im Auto auf dem Weg nach Völklingen befanden. Lothar Klein, der auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich zu ihr.

      »Frau Hart, der neue Staatsanwalt wird heute Abend auch da sein. Kennen Sie den schon? Soll ein junger, aufstrebender Jurist sein. Aus München, wenn ich mich richtig erinnere. Kirschmann oder Kirschmeier.«

      Auch das noch. Ja, sie hatte von Sebastian Kirschmeier in der Zeitung gelesen. Auf dem Foto hatte er ausgesehen wie ein typischer Jurastudent. Babyface, Lockenkopf und Poloshirt, dazu ein wissendes Grinsen, das ihm ins Gesicht getackert schien. Diese Typen hatte sie eigentlich gefressen. Sie unterstellte ihnen einfach, dass sie vom richtigen Leben keine Ahnung hatten – sondern nur ihre Paragrafen und das Leben auf dem Golfplatz kannten.