Film von den 1940er- bis in die 1960er-Jahre und zog ein heute kaum vorstellbares Millionenpublikum in die Lichtspielhäuser. Er gilt weithin als erfolgreichster Schweizer Filmemacher, war ein Mann mit Vision, Überzeugungskraft und Talent – ob als Theaterschauspieler, Regisseur für Bühne und Film, Filmproduzent, Drehbuchautor oder Konzertorganisator. Er beherrschte sein Metier, war ein exzellenter Schauspielerführer, entdeckte Talente wie Hannes Schmidhauser («Uli der Knecht», 1954) und Elisabeth Berger («Geld und Geist», 1964) und versuchte, so lang es ihm möglich war, das grosse Publikum zu erreichen und sich für seine Idee von einem «Nationalen Kino» einzusetzen. Doch nach dem letzten, erfolglosen Kinofilm und der ebenfalls daraus entstandenen, jedoch populären TV-Serie «Die 6 Kummer-Buben» (1968) gelang es ihm nicht mehr, finanzielle Mittel für weitere Projekte zu erhalten. Die 1963 eingeführte staatliche Filmförderung bevorzugte den Neuen Schweizer Film, deren jüngere Vertreter mit ihren Autorenfilmen kommerzielle Produktionen verdrängen wollten.4 Mit Schnyders Werk konnte der Nachwuchs wenig anfangen und stempelte es lange als antiquiert und reaktionär ab. Da diese Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, wählte Schnyder den Rückzug ins Private, von wo aus er zwar noch Drehbücher verfasste, aber vor allem wütende Briefe an Bundesräte und Filmfunktionäre verschickte. Seine zuvor in kreativen Schaffensprozessen entladene positive, kraftvolle Energie wandelte sich in eine bittere, destruktive, die langsam aber stetig dazu führte, dass der einstige Filmkünstler und tüchtige Kaufmann seinen Platz in der – seiner Meinung nach dem Untergang geweihten – modernen Gesellschaft nicht mehr finden konnte. Altersstarrsinn, Zorn und Einsamkeit überschatteten die letzten Lebensjahre.
Nach seinem Tod begann eine neue Rezeption von Schnyders Produktionen. In der Presse blieben die Konflikte mit Filmpolitik und Filmszene zwar nicht unerwähnt, doch schien man sich in einem Punkt einig: Ein Grosser war gegangen. Jemand, der mit Leib und Seele Filme über die Schweiz und für die Schweiz gemacht hatte. Franz Schnyder ist und bleibt auch heute noch präsent. Zu bedeutend ist der Grossteil seines Werks, das eine persönliche künstlerische Handschrift trägt und sich in das kulturelle Gedächtnis der Schweiz eingraviert hat. Das Schweizer Fernsehen zeigt es weiterhin regelmässig, und man gedenkt Schnyders runden Geburtstagen. Zum 40. Jubiläum von «Uli der Knecht» erschien 1995 ein Bildband,5 Schnyders 100. Geburtstag wurde 2010 in Burgdorf mit einem Festival gefeiert, und 2014 widmete das Gotthelf Zentrum in Lützelflüh dem ersten «Uli»-Film eine Sonderausstellung.
Fast zeitgleich kamen wir, Autorin und Autor, auf die Idee, eine Biografie über Franz Schnyder zu schreiben. Sie sollte eine Kombination von persönlicher Lebens- und Schweizer Filmgeschichte sein. Dass bisher noch keine auf unabhängigen Recherchen beruhende Darstellung existiert, ist verblüffend, besticht doch seine Vita über eine relativ lange Zeitspanne hinweg durch vielseitige künstlerische, unternehmerische sowie private Höhen und Tiefen. Trotz dünner Quellenlage versuchten wir, in diesem Buch den Fokus auf die persönliche Entwicklung zu richten, vom einst so lebenslustigen, jungen, talentierten Mann – wie etwa in seinen Ausbildungsjahren in Deutschland oder später als Leiter der Migros-Klubhaus-Konzerte – zum grollenden, sich nach Aufmerksamkeit sehnenden, kranken Greis. Bald wurde uns bewusst, dass lediglich eine Annäherung an den Menschen und Filmemacher Schnyder gelingen kann. Das Ziel, eine vollständige Abbildung seines Wesens und die Gesamtheit aller auffindbaren Fakten wiederzugeben, hätte den Blick auf das Wesentliche versperrt. Die entscheidenden Fragen lauteten: Woher kam Franz Schnyder? Welches waren die wichtigsten Stationen in seinem Leben? Was und wer hat ihn geprägt? Auf der Suche nach den Antworten bildeten sein Werk und dessen Wirkung und, soweit wir es einschätzen konnten, einige wenige ihm nahestehende Personen zentrale Motive.
Neben der Aufarbeitung aller in diversen Archiven in Deutschland, Polen, der Schweiz sowie im digitalen Umfeld auffindbaren Dokumente führten wir auch Interviews mit Zeitzeugen und versuchten so, ein möglichst genaues Bild eines in vielerlei Hinsicht extremen und widersprüchlichen Lebens entstehen zu lassen – unter besonderer Berücksichtigung von Schnyders Filmen, die seinen persönlichen Erfolg, aber letztlich auch seinen Niedergang verursachten. Sich diese anzusehen, wird sicherlich auch in Zukunft ein anregendes Vergnügen bleiben, nicht nur für Fans, sondern auch für den filmischen Nachwuchs.
Familie Schnyder
1910–1929
«Oh Vaterli, Vaterli!», hörte man öfters im Hause Schnyder eine weibliche Stimme rufen.6 So nannte Fanny Louise Schnyder ihren Ehemann Maximilian, genannt Max, Ingenieur und Lehrer am Burgdorfer Technikum. Der bärtige, stattliche und liebenswürdige Ingenieur aus Kriens im Kanton Luzern und die so hübsche wie intelligente Primarlehrerin Louise aus Aarau heirateten im Jahr 1905. Bald darauf kamen ihre drei Söhne in Burgdorf zur Welt: am 16. Juni 1906 Konradin Wolfgang und am 5. März 1910 die Zwillinge Felix und Franz.
Die Familie wohnte im bürgerlichen Wohnquartier Gsteig, auf einem der drei Burgdorfer Hügel, zunächst an der Pestalozzistrasse 21, wo Felix und Franz geboren wurden, und zog bald darauf in eine repräsentative Villa mit grossem Garten an der Jungfraustrasse 28.7 Ein Fotoalbum zeigt Aufnahmen des Wohnzimmers im Erdgeschoss, behaglich eingerichtet, mit hohen Vitrinenschränken, kleinen gerahmten Bildern, Polstermöbeln, Teppichen und zahlreichen, kleinen und grossen Topfpflanzen. Zum Aussenbereich gehörte eine Terrasse mit Sitzgruppe und Sonnenschirm sowie ein Garten mit einem rechteckigen Wasserbecken mit Seerosen, einem Gemüsebeet sowie einer Rasenfläche – sicherlich zur Freude der Kinder und Haustiere. In diesem Haus wohnte Franz Schnyder phasenweise auch wieder nach dem Tod seiner Eltern im Jahr 1965 bis zu seinem Münsinger Klinikaufenthalt, meistens allein. Über der Haustüre befindet sich noch heute ein Wappenportal, in das er die Initialen «FRS» hat eingravieren lassen, wobei das «R» für keinen weiteren Vornamen steht; er hatte es eher des harmonischeren Dreiklangs wegen hinzugefügt.
Eine Schulkameradin der Schnyder-Brüder, Elsa Rickenbacher, erinnerte sich in ihrem Text für das Burgdorfer Tagblatt zum 80. Geburtstag von Felix und Franz Schnyder: «Man war damals begeistert von der Familie Schnyder, weil sie für uns das Aussergewöhnliche verkörperte. Der Vater, Dipl. Ing. ETH und ‹grand Seigneur›, der stets eine weisse Nelke im Knopfloch trug; die Mutter, grosszügig, gediegen, für mich die erste emanzipierte Frau, die ich kannte; die drei Söhne, die sich individuell stark voneinander unterschieden und sich grundlegend doch so ähnlich waren.»
Louise – Gattin und Mutter
Kindheit, Jugend und Erziehung der Buben wurde vor allem durch die Mutter geprägt. Zu ihr hatte Franz stets ein enges Verhältnis. Briefe, welche er während seiner Engagements an verschiedenen deutschen Theaterhäusern an sie schickte, beendete er häufig mit «Ich liebe Dich sehr und grüsse Dich herzlichst mit guten Gedanken immer Dein Franz». Louise, geboren am 28. September 1882, war eine gebildete Frau, die sich für Kunst interessierte, Fremdsprachen beherrschte und sehr belesen war. Zu ihren Lieblingsautoren gehörte der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung. Aufgewachsen mit drei Schwestern und drei Brüdern in Aarau, als Tochter eines Grossbauern, zog es sie nach der Ausbildung zur Lehrerin in die Westschweiz. An der Universität Lausanne studierte sie 1902/03 Französisch, was neben Sprache und Lesen auch Übersetzen, Philosophie, Kunstgeschichte und Literatur beinhaltete. Anschliessend entfernte sich Louise noch weiter von ihrer Heimat: In Belfast, das im damals noch ungeteilten Irland lag, besuchte sie ein Jahr lang das Internat The Lodge, eine Art Höhere Töchterschule. Hier lernte sie neben der englischen Sprache kochen sowie Handarbeit und nahm an Kursen in Geografie, Geschichte und Botanik teil.
Louise Schnyder, Anfang der 1940er-Jahre. Die studierte Lehrerin hatte stets ein enges Verhältnis zu ihrem Sohn Franz. Die Rolle als Hausfrau und Mutter entsprach jedoch nicht ihrer Vorstellung von Selbstverwirklichung.
Das Reisen im In- und Ausland gehörte auch in späteren Jahren zu Louises Lieblingsbeschäftigungen, wobei sie besonders gerne Kunstmuseen besuchte. Ihre Beziehung zu Franz war vertraut und herzlich. Er unternahm mit seiner Mutter nach Beginn der ersten beruflichen Erfolge oft Ausflüge oder Kurzreisen, zum Beispiel nach Venedig, und verwöhnte sie mit Aufenthalten in den schönsten Hotels. Gerne hätte Louise in ihrem Beruf weitergearbeitet, doch wurde Lehrerinnen damals bei