auf die Ambitionen ihrer Söhne kommentierte Felix anschliessend: «Die Mutter selbst war auch von einem unbändigen Willen beseelt, immer wieder mehr zu erleben, mehr zu erfahren, mehr zu wissen. Sie hat uns sicher Ehrgeiz mitgegeben, vielleicht aber eher eine Unternehmungslust, die uns das ganze Leben begleitet hat. Der Franz hat sicher davon mehr mitbekommen als ich.» Barbara Lamparter empfand ihren Vater als «brav und angepasst», also völlig anders als Franz, der auch noch ziemlich «dickköpfig» war. Ausserdem soll Franz mehr Geld ausgegeben haben, etwa für modische Kleidung, denn er war «sehr eitel». Dagegen war Lamparters Vater ausgesprochen sparsam. Franz bezeichnete seinen Bruder in diesem Zusammenhang gerne als «Eichhörnchen, das Nüsse verscharrt», denn Felix war finanzielle Sicherheit sehr wichtig.
Die heranwachsenden Brüder Franz und Felix (rechts), aufgenommen in einem Burgdorfer Fotoatelier in den 1920er-Jahren. Äusserlich ähnlich – in Anzug und Krawatte –, waren die beiden jungen Männer in ihrem Wesen sehr unterschiedlich.
Im Gegensatz zu Franzens verlief Felix’ berufliche Laufbahn geradlinig steil nach oben: Nach dem Rechtsstudium in Bern war er ab 1938 zunächst in der Privatwirtschaft tätig. Zwei Jahre später begann er für das Eidgenössische Politische Departement18 zu arbeiten, was seine diplomatische Karriere einleitete. Zahlreiche Auslandseinsätze folgten: Moskau, Berlin, Washington, Tel Aviv. Von 1958 bis 1961 war Felix Schnyder als ständiger Beobachter der Schweiz bei den Vereinten Nationen (UN) in New York und als Vertreter der Schweiz bei der Unicef tätig. In den Jahren 1961 bis 1965 wirkte er als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge in Genf und von 1966 bis zu seiner Pensionierung 1975 als Schweizer Botschafter in Washington. Verheiratet war er mit Sigrid Bucher; die gemeinsame Tochter, Barbara Lamparter, wurde 1943 geboren. Die Ärztin und Bildhauerin lebt heute in Zürich und im Tessin.
In einem Nachruf in der Neuen Zürcher Zeitung von 1992 steht geschrieben: «Die Aufzählung der beruflichen Stationen, so eindrücklich sie auch ist, vermag aber der Statur von Felix Schnyder nicht voll gerecht zu werden, wenn nicht auch sein Wesen und seine Persönlichkeit gewürdigt werden. Wer ihn kannte, weiss – über das Professionelle hinaus – um seine lebendige Vielseitigkeit, seine Offenheit den Mitmenschen gegenüber, seine geistige Beweglichkeit, die Originalität seines Denkens. Dazu kamen seine Führungsqualitäten, gepaart mit dem Enthusiasmus, den er seinen Mitarbeitern […] einzuflössen vermochte. Nie war es eintönig in seiner Gegenwart. Geist, Ideenreichtum und Initiative begleiteten ihn bis ins hohe Alter.»19
In Franz Schnyders Nachlass befindet sich ein Tagebuch seines älteren Bruders Konrad, das dieser 1927 im Alter von 21 Jahren zu schreiben begann. An diesem fällt zunächst auf, dass der Verfasser seinen Vornamen hier nicht mehr mit «K», sondern mit «C» schrieb – wahrscheinlich, weil es ihm schlichtweg besser gefiel. Später wurde diese Schreibweise auch im Namen seiner Firma CWS (Conrad Wolfgang Schnyder) berücksichtigt. An die Geburt seiner Brüder erinnert er sich im November 1927 folgendermassen: «Ich war 4 Jahre alt, damals, als meine Brüderlein auf die Welt kamen. Nicht, dass mir dieser Umstand selbst einen tiefen Eindruck gemacht habe – Nein, nur ein Bild des Zimmers, wo die Neugeborenen schliefen (später befand sich im Raum das Bureau) ist mir geblieben. Dunkel, Betten, ein breites Nachtgeschirr, und eine einäugige, hässliche Hebamme …»20 Offenbar beeindruckte ihn die Ankunft der Zwillinge weniger als die Umgebung und das Aussehen der Geburtshelferin.
Eine Passage in Franz’ Autobiografie dokumentiert, dass das Verhältnis zu Conrad während der Kindheit problematisch war: «Und wir liebten uns innig, Felix der ältere, und Franz der jüngere … Doch da zeigte sich noch einer: Conrad Wolfgang … volle 4 Jahre älter …: Felix, der ältere und Franz, der jüngere: unbarmherzig verdrosch er uns … schrien, wimmerten, klagten, litten stumm … unmenschlich, ganz ohne Mitleid …» Louise schrieb an ihre Schwester Ida im Januar 1920 über den 14-jährigen Sohn: «Er [Konrad] ist stark und gross und hat, wenn es ihm nicht darauf ankommt noch ein böses Maul!» Dennoch war Conrad ihr Lieblingssohn. An zweiter Stelle folgte Franz, zuletzt kam Felix. Barbara Lamparter bezeichnete Conrad als «originell», als jemand, «der immer ganz verrückte Sachen» machte. Der Vater trug in seinem Portemonnaie eine Fotografie seines Ältesten bei sich, auf dem sich dieser mit nur einem Arm an der Regenrinne des Burgdorfer Gymnasiums festhält.
Dort hing der junge Conrad in luftiger Höhe so lange er konnte und zur Freude eines staunenden Publikums. Diese auch heute noch spektakulär wirkende Aufnahme zeigte Max Schnyder gerne und voller Stolz jedem, der sie sehen wollte.
Conrad Wolfgang Schnyder, der spätere Gründer der Firma CWS, als junger Mann am Dach des Burgdorfer Gymnasiums hängend. Ein waghalsiger Stunt oder eine Fotomontage?
Im Jahr 1927 verbrachten die Schnyders ihre Sommerferien in der französischen Hafenstadt St. Malo. Ein aussergewöhnlicher Urlaub, da solche Reisen zur damaligen Zeit eher wohlhabenden Familien vorbehalten waren. Zwei Wochen danach schrieb der 21-jährige Conrad – vermutlich hatte er gerade seine kaufmännische Ausbildung absolviert – in sein Tagebuch, dass es während der Ferien zu Spannungen zwischen der Mutter und einem seiner Brüder gekommen war. Selbstkritisch reflektierte er sein eigenes damaliges Verhalten: «Vor 14 Tagen bin ich aus den Ferien in St. Malo zurück gekehrt. Trotz dem ich viel Vergnügen gehabt habe – und noch mehr hätte haben können – so verursacht mir die Erinnerung an die 14 Tage Bretagne schmerzliche Gefühle; Gefühle, die bei mir nur entstehen können, wenn ich mich selber anzuklagen habe. Ich klage mich an einer schlechten Aufführung, Nervosität und Ungeduld der Mutter, dem Bruder gegenüber. Da, sogar als es regnete, wo ich Sonnenschein wollte, habe ich den Weltorganismus verflucht! Nicht genug damit dauerte der Zustand der Halt- u. Würdelosigkeit drei Wochen nach den Holidays an. Jetzt erst habe ich den Faden wiedergefunden.»
Conrad schrieb ausserdem, dass es ihm ein Bedürfnis sei, den Grund dieser Vorfälle zu ermitteln, und dass er diesen zunächst in seiner eigenen, zu hohen Erwartungshaltung an die Ferien sah. «Ich sagte zu mir: Ich will geniessen wenigstens 14 Tage im Jahr. Gut. Der in der Vorstellung blaue Himmel war nun grau – ich fluchte. Der vermutete reibungslose Verkehr mit Mutter und Bruder wurde in Wirklichkeit anders – weil es eben andere Naturen als ich sind und auch persönliche Willensäusserungen haben. Sie wollten Dinge, die ich im Programm nicht vorgesehen hatte, so war ich ungehalten. Ich beachtete nicht, dass die Mutter von der Arbeit auch ermüdet war und deshalb manchmal nervös wurde, dass der Bruder aber noch ein Kind ist und von ihm nicht eine meiner Leistung entsprechende erwartet werden kann. Und ferner wolle ich nun einmal sehr viele Liebschaften in dieser kurzen Zeit durchbringen – das brachte auch wieder eine Abhängigkeit in dieser Frage mit sich.»
Sein Resümee fiel bitter aus, und die Analogie zur pessimistischen Geisteshaltung der Mutter, wie etwa im zuvor zitierten Brief an die Schwester Ida beschrieben, ist auffällig: «Das Ziel darf nie aus dem Auge verloren werden. Das Ziel bedeutet wachsen. Wenn ich also wieder in die Ferien gehen werde so werde ich vorher zu mir sagen: ‹ich gehe in die Ferien. Es wird der Zug vor der Nase wegfahren, ich werde die Brieftasche verlieren, ich werde mich erkälten […].› Doch ich werde die Haltung nicht verlieren, denn ich werde zu mir sagen: ich ging nicht nur in die Ferien, um mich zu freuen, sondern auch um meine Haltung zu bewahren. […] Gewöhne Dich daran zu sagen: der Wille befiehlt nur dies und jenes. Dies nun ist nun zu tun; denn ich habe gar keine Möglichkeit mich dem Befehl zu widersetzen. Du sagst Dir jeden Tag: Dein Wille ist heilig, dein Wille ist heilig. Und wenn der Körper in der Entwicklung nicht schritthalten will, so heisst es: Befehl – widerspruchslos!! […] Bewahre die Haltung, schweige, und sei genügsam.»
Conrad verliess sein Elternhaus endgültig im März 1928, um nach Karatschi in Indien zu reisen. Dort arbeitete er fünf Jahre lang bei der Firma Gebrüder Volkart, die damals das in der Schweiz führende Unternehmen im Handel mit Kolonialwaren und Baumwolle war und weltweit 7600 Mitarbeitende zählte. Der Stammsitz befand sich in Winterthur, Zweigstellen gab es neben mehreren in Indien auch in London, New York und Singapur. Für Louise Schnyder bedeutete dieser Schritt eine schwierige Trennung. Am 13. März 1928 schrieb sie ihrer Schwester Johanna: «Heute segelt Konrad von Venedig ab und ist ca. 3 Wochen