geht es gut in Indien, aber ich glaube er leidet an Heimweh. Er ist doch noch gar jung für so weit fort zu sein. Vielleicht schreibst Du ihm auch einmal eine Karte, er freut sich.»
Auf Besuch bei seiner Familie in Burgdorf brachte Conrad ein besonderes Geschenk mit. Neben Disziplin und Strenge wurde erfreulicherweise auch eine gewisse Libertinage zugelassen, jedenfalls was das Halten von Tieren, genauer gesagt mehreren Hunden und zeitweilig bis zu 30 Katzen, betraf. Barbara Lamparter amüsierte diese Erzählung als junges Mädchen, und sie erinnert sich auch heute noch gerne an sie: «Conrad war in jungen Jahren in Afrika gewesen und hat von dort ein Puma-Baby nach Hause mitgebracht. Mit dem sind sie spazieren gegangen. Irgendwann hat es dann der Milchfrau, die immer die Milch gebracht hat, ein Ohr und den Sonntagshut angefressen. Und dann mussten sie es in einen Wanderzirkus geben. Dort hat es aber nicht gut gefressen. Huscheli haben sie es genannt. Huschi heisst auf Schweizerdeutsch ‹kleines Ding›. Weil es nicht gefressen hat, mussten die Jungs dem Wanderzirkus nachreisen, jeden Sonntag, und es füttern.»
«Spiegelbild» schrieb Franz auf die Rückseite dieser Aufnahme, die ihn als 19-Jährigen zeigt. In einem Waschraum entstanden, zeugt sie von seiner frühen künstlerischen Experimentierlust.
Im Jahr der Weltwirtschaftskrise, 1929, bestand Franz am Burgdorfer Gymnasium die Matura. Er legte die Prüfungen ein Jahr nach seinem Bruder Felix ab, da er 1923/24 ein Schuljahr am Progymnasium hatte wiederholen müssen. Das Gymnasium an der Pestalozzistrasse 17, gegründet 1873 als grösste Maturitätsschule im Kanton Bern, befindet sich noch heute unweit des Elternhauses, die Buben hatten also keinen weiten Schulweg. Sie waren nun stattliche junge Männer geworden, die endlich die Welt ausserhalb Burgdorfs kennenlernen wollten. Aus der Zeit existieren zwei Porträtfotos der Zwillingsbrüder, auf denen die unterschiedlichen Charaktere deutlich erkennbar sind. Während Felix in einem Fotoatelier abgelichtet wurde, in Anzug und Krawatte, die dunklen Haare streng nach hinten gekämmt, selbstbewusst in die Kamera blickend, handelt es sich bei Franz’ Foto um ein Selbstporträt, das er vor einem grossen Wandspiegel, vermutlich in einem Waschraum, aufnahm. Die Kamera mit beiden Händen haltend, ebenfalls in Anzug und Krawatte gekleidet, blickt er prüfend von unten in sein Antlitz im Spiegel.
Die Tanten Ida, Hanni und Frieda
Gewissenhaft sorgte Louise dafür, dass ihre Söhne bereits in jungen Jahren die schulischen Pflichten sorgfältig erfüllten, um später die besten beruflichen Chancen zu erhalten. Im Januar 1920 schrieb sie an ihre Schwester Ida: «Es geht ihm [Konrad] nun gut in der Schule, aber mit den Kleinen muss ich tapfer lernen, denn sie müssen im Frühjahr die Prüfung ins Gymnasium machen.» Eine ständig beschützende, kontrollierende Mutter war Louise dennoch nicht. Sonst hätte sie ihre Kinder nicht so häufig in die Obhut einer ihrer drei Schwestern gegeben, um ihren Mann auf beruflichen Reisen ins Ausland, etwa nach Lemberg oder Wien, zu begleiten, sich auf diese Weise von ihren familiären Aufgaben zu erholen und Anregungen zu finden, die ihr in Burgdorf fehlten. Verschiedenen Briefen und Postkarten kann man entnehmen, dass das Verhältnis der gesamten Familie Schnyder zu Louises drei Schwestern, insbesondere zu Ida und Johanna, sehr gut war und diese beiden Tanten Vertrauenspersonen für Franz und seine Brüder waren.
Als die Schnyder-Zwillinge sieben Monate und Konrad vier Jahre alt waren, kümmerte sich Ida Steiner, die damals in Aarau wohnte, um ihre Neffen. In einem Brief vom 8. September 1911 schrieb ihr Louise: «Gellt, liebes Idali, Du schaust lieb zu den Kindern, ich bringe Dir dann in 14 Tagen eine Ferienchrömli mit. Ich möchte diese Zeit wäre vorüber und ich könnte dann bei Euch sein, aber ich sehe gut, dass es Zeit ist, für mich etwas zu tun. Der Winter ist wieder lang, und die Haushaltung erfordert viel Kraft von mir. […] Konradli war im Zuge sehr müde und wollte nachher sofort schlafen, er war furchtbar müde. Die Kleinen werden nun auch süss schlafen. Idali, tu sie aufs Häfeli morgens, wenn sie erwachen, dann ist es ihnen wohl, nachher noch ein wenig im Trockenen zu ruhen.» Im Jahr darauf schrieb sie ihrer Schwester: «Franzeli spricht immer von Dir, der hat dich so lang er lebt in sein Herz geschlossen.»
Für ihre Ausbildung zur Krankenschwester zog Ida Steiner 1917 nach Lausanne, wo sie am Institut de gardemalades La Source eine dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte. Anschliessend folgten berufliche Aufenthalte in Belgien und England. Doch dann erkrankte sie an Tuberkulose, weshalb sie 1922 einen Kuraufenthalt in einem Davoser Sanatorium verbrachte. Ein Jahr später verstarb Ida Steiner mit nur 29 Jahren.
Die Verbindung zu Tante Johanna (1887–1968), genannt Hanni, war offenbar noch wichtiger und enger als die zu Ida, was in zahlreichen Briefen aller drei Schnyder-Söhne sowie von Louise ersichtlich wird. Auch Johanna war Lehrerin und wohnte zunächst wie Ida in Aarau, später dann im nahe gelegenen Gränichen. Bei ihr verbrachten die drei Buben häufig die Ferien. Die Besuche sollten auch im Erwachsenenalter nicht enden. Als 18-Jähriger schrieb ihr Franz: «Es hat mich gefreut, dass ich Dich besuchen konnte, hoffentlich hat Dich unser Geplauder nicht angestrengt. Im Sommer, wenn es etwas wärmer ist, werde ich Dich wieder einmal besuchen, wenn Du es erlaubst.» Auch als Felix und Franz bereits gestandene Männer waren, schrieben sie ihrer Tante weiterhin, erkundigten sich nach ihrem Gesundheitszustand und erzählten von ihrer Arbeit, dem damit verbundenen Heimweh (Franz), und versprachen, bald wieder zu ihr zu reisen.
Frieda Steiner (1886–1931) war Louises dritte Schwester. Auch sie wird in Louises Briefen, etwa an Johanna, erwähnt – doch eher im Zusammenhang mit der elterlichen Erbschaft und Friedas Spitalaufenthalten ab 1928. Frieda gehörte zu den wenigen Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Schweiz ein Medizinstudium absolvierten. 1918 legte sie an der Universität Genf ihr Examen ab, zwei Jahre später erlangte sie an der Universität Lausanne den Doktorgrad. Über ihre weitere berufliche Tätigkeit ist nichts bekannt. In einem 1928 verfassten Brief von Louise an Johanna steht, dass Frieda damals Patientin im Kantonsspital Zug war, wo Louise sie auch besuchte. Frieda Steiner starb 1931 – genau wie acht Jahre zuvor ihre Schwester Ida – an Tuberkulose.
Die Theaterjahre
1929–1940
Den mutigen Schritt zum Künstlertum und damit auch zu seiner Selbstverwirklichung beschrieb der alte Franz Schnyder rückblickend: «1929 im Herbst … Seltsam: über eine unendliche Zahl von Kilometern findet sich kein Beispiel … Wie kam denn ich dazu, nach Berlin zu wallfahren, um mich mit dem Leben des Theaters und schliesslich der Filmwelt vertraut zu machen? Der innere Kern liegt in meiner charakterlichen Anlage … Seit ich bewusst lebe, lehne ich mich gegen jegliche Bevormundung auf … Sicherlich zu unrecht … Keiner meiner Lehrmeister hatte im Sinn, mich zu unterdrücken, zu liebesdienerischem Gehorsam zu bewegen … So kam für mich ein bürgerlicher Beruf nicht in Frage … Es war wohl ‹Glück› …»21
Die Matura in der Tasche, ging Schnyder ohne Umweg an das nächstgelegene Bühnenhaus. Am Stadttheater Bern begann er, als Assistent in der Bühnendekorationsmalerei von Ekkehard Kohlund, dem Vater des bekannten Schauspielers und Regisseurs Erwin Kohlund, zu arbeiten. Gleichzeitig nahm er Phonetikstunden bei Paula Ottzenn, die festes Ensemblemitglied des Stadttheaters war.
Schnyders Arbeit in Kohlunds Maleratelier dauerte jedoch nur wenige Monate. Auf Empfehlung von Kohlund, Ottzenn und Hans Kaufmann, Direktor des Stadttheaters, beschloss Max Schnyder, seinen Sohn für die Schauspielschule von Louise Dumont und Gustav Lindemann in Düsseldorf anzumelden. Dumont und Lindemann waren die Gründer und Leiter des Schauspielhauses Düsseldorf, dem auch die renommierte Schauspielschule angeschlossen war, zu der nur noch «ganz hervorragende Begabungen» zugelassen wurden: «Wenn Ihr Sohn auf diese Gefahr hin die Reise hierher machen will, kann er an der nächsten Prüfung am 3. Januar nachmittags 5 Uhr teilnehmen und zu diesem Zwecke einige dramatische Scenen oder Monologe vorbereiten.»22 Ottzenn unterstützte Schnyders Bewerbung mit einem Empfehlungsschreiben an Dumont, in dem sie am 30. Dezember 1929 über ihn berichtete: «Franz Schnyder wollte hier als Voluntär anfangen […]. Es ist aber für den Schweizer, der in der Umgangssprache le patois spricht, auch bei grösster Begabung fast unmöglich, den dialektischen Beiklang abzulegen. Deshalb riet ich den Eltern des sehr begabten – sprachlich aber sehr gehemmten Franz Schnyder, keine Zeit zu