verliess Deutschland 1938 ebenfalls, ging zuerst nach Frankreich und ein Jahr später in die USA, wo sie in mehreren nazikritischen Filmen mitspielte, unter anderem auch in Michael Curtiz’ «Casablanca» als Frau Leuchtag, ein Flüchtling.
Das erste Engagement: Mainz 1932/33
Wie viele Theater in Deutschland zu dieser Zeit steckte auch das Mainzer Stadttheater in einer Krise. Die Stadt am Rhein sah sich gezwungen, dem Bühnenpersonal Ende der Spielzeit 1931/32 zu kündigen, um eine Neuorganisation aufzugleisen. Der bisherige Intendant wurde nach Kassel berufen, und nun galt es, für die kommende Spielzeit einen Nachfolger zu finden, der die Qualität der Aufführungen wahren, aber wirtschaftlicher arbeiten konnte, da drastische Einsparungen notwendig waren. Der Mainzer Anzeiger vom 6. Mai 1932 warnte vor «Freundschafts- und Parteikandidaten», und so wurde ein Intendant gewählt, der zuvor in Zürich gearbeitet hatte, Paul Trede. Schnyder, von Trede engagiert, spielte am 18. September in Gerhard Hauptmanns «Florian Geyer» und tags darauf in Friedrich Schillers «Kabale und Liebe».
Die beiden Premieren waren für ihn persönliche Erfolge. Doch die Presse hatte nicht viel Lob übrig: «Der Ferdinand Franz Schnyders gefiel sich in übermässig lauter Deklamation. Seine Leidenschaft schien forciert, sein Schmerz und seine Verzweiflung wirkten unecht, und sein Zorn gegenüber dem grausamen Vater äusserte sich in wildem Schreien», kritisierte die Mainzer Tageszeitung.
«Hurra, ein Junge» (1932) mit Franz Schnyder im oberen Bild links sowie unten in der Mitte in «Der Bauer geht um» (1933).
Im Monatsrhythmus wurden neue Stücke einstudiert. So hatte Schnyder ab dem 6. Dezember in «Die endlose Strasse»39 eine Nebenrolle als Musketier Müller. Sie erforderte eine intensive und lange Bühnenpräsenz, da es sich um ein Ensemblestück handelte, das eine komplette Truppe während des Ersten Weltkriegs zeigte.
Ein Schauspieler wurde jedoch nicht nur jeweils in einer Inszenierung eingesetzt, sondern spielte zur gleichen Zeit in mehreren Stücken, solange sie erfolgreich besucht wurden. So hatte Schnyder beispielsweise am Dienstag, 13. Dezember sowohl die 16. Vorstellung von «Der Tor und der Tod» zu meistern als auch «Hoffmann in Bamberg».40 Die beiden Stücke wurden oft zusammen als «Kammerspiel-Abend» vorgeführt. Bei «Hoffmann» übernahm Franz Schnyder dann gar zwei Rollen: jene des Hausdieners und eines Gasts in der «Rose». Zur selben Zeit standen «Die endlose Strasse» und «Katte», worin Schnyder ebenfalls eingebunden war, noch immer auf dem Spielplan.
Auf die Festtage hin wurde «Dornröschen» ins Programm genommen, worin Franz in die Rolle des Prinzen schlüpfte. Die Prinzessin an seiner Seite war Erika Seibert. Sie hatte ihre Karriere 1928 als Tänzerin in Darmstadt begonnen und stiess bereits in der Vorsaison zum Mainzer Ensemble. Und wie im Märchen, so kamen sich die beiden auch im privaten Leben näher. Auf der Bühne waren sich Franz und Erika sehr nah, so in «Der Bauer geht um» (Franz und Christl), im Molière-Doppelprogramm «Tartuffe» (Dorine und Damis) oder in «Der Geizige», in dem Erika die Elise spielte und Franz deren Liebhaber Valère. Kein Wunder, sprang die Leidenschaft der Bühne auf die beiden über, und sie wurden auch im wahren Leben ein Liebespaar. In «Robinson soll nicht sterben»41 übernahm Seibert eine männliche Rolle und mimte einen der Kameraden von Franz Schnyders Figur Jim Drinkwater.
Seit Schnyders Ausbildungszeit hatte die Macht der Nationalsozialisten stetig zugenommen. Der Nationalsozialismus infizierte sukzessive auch Bereiche des täglichen Lebens. So musste das Stadttheater in Mainz für riesige Feiern zu Ehren Adolf Hitlers und für Spezialvorführungen für NS-Formationen wie der «Stahlhelm» herhalten. Man gründete die «Kampfbund-Bühne», eine Besucherorganisation für Mainzer, die den kostengünstigen Zutritt zu Vorstellungen des Stadttheaters ermöglichte und Ausdruck «einer Theatergesinnung des deutschen Volkes» werden sollte.42 Stücke mit propagandistischem Charakter wurden häufig in geschlossenen Veranstaltungen für Erwerbslose aufgeführt oder als Sondervorstellungen mit der hessischen Landesregierung als Gäste und in Anwesenheit der Gauleitung der NSDAP, was als besondere Attraktion in Anzeigen so vorangekündigt wurde.
Die Spielpläne wurden auf politischen Druck hin angepasst, Werke unerwünschter Autoren oder Komponisten mussten aus dem Repertoire gestrichen werden. Viele Künstler verloren vom einen Moment zum anderen ihre Anstellung. Dies schlug sich in der Qualität des Dargebotenen nieder, da die deutschen Bühnen auf namhafte Sänger, Schauspieler, Musiker und Dirigenten verzichten mussten. Stellvertretend soll ein Aushang des Hessischen Staatstheaters im nahe gelegenen Wiesbaden vom 8. April zitiert werden: «In der heutigen Besprechung […] wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass auch im deutschen Kultur- und Theaterleben, entsprechend dem Programm des Reichskanzlers Adolf Hitler, eine Säuberung im nationalen Sinne erfolgen muss. […] Es wird […] Vorsorge getroffen werden, dass auch in allernächster Zeit das wesensfremde Geistesgut in den Theatern recht bald beseitigt wird.»43
Umgehend vom Mainzer Spielplan abgesetzt wurden Giacomo Meyerbeers «Die Afrikanerin», Jacques Offenbachs Stücke «Hoffmanns Erzählungen» und «Die Blume von Hawaii», worin Erika Seibert einen Kadetten spielte. Der Mainzer Regisseur Siegfried Nürnberger wurde als politisch unzuverlässig entlassen, weil er eine Hakenkreuzfahne vom Dach des Theaters hatte entfernen lassen.44 Am 30. März 1933 sah sich Intendant Trede schliesslich gezwungen, im «Auftrage des Führers des Kampfbundes für deutsche Kultur in Mainz» Angehörigen der jüdischen Konfession die Kündigung nahezulegen.
Das nationalsozialistische Schauspiel «Der 18. Oktober» von Walter Erich Schäfer, das anlässlich der neuen Session des Reichstags am 21. September 1932 am Mainzer Stadttheater Erstaufführung feierte, spielte auf dem Schlachtfeld der Leipziger Völkerschlacht gegen Napoleon in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1813. Schnyder spielte anfangs noch nicht mit. Erst ab der Wiederaufnahme des Stücks am 21. März 1933 gab er den Premierleutnant Linnemann. Aus unerklärlichen Gründen tauschte er Anfang April die Rolle mit Hans Joachim Schifferdecker und übernahm dessen Fabricius; nach ein paar Vorführungen tauschten sie die Rollen wieder zurück.
Schnyder, mit der Lage in Mainz wohl nicht mehr so glücklich, bewarb sich am 8. März 1933 wieder in Düsseldorf. Nach Louise Dumonts Tod45 wurde das Schauspielhaus unter eine neue Leitung gestellt. Sein Vorsprechen beim neuen Generalintendanten blieb jedoch ohne Erfolg. Anfang April wurde in Mainz das Stück «Der Bauer geht um» von Eugen Ortner eingeführt, worin Schnyder den Sohn der Hauptfigur, den jungen Möhlbauern, spielte. Es wurde von der Presse als Volksstück abgetan, nur Franz Schnyder wurde vom Mainzer Journal gelobt: «Eine Leistung, die […] das Beste war, was unter den noch zu nennenden Namen geboten wurde, einzig und allein darum, weil hier der angehende Künstler sich einmal […] so geben konnte, wie es ganz offensichtlich seinem Sein entspricht.»
Anlässlich der Festivitäten zu Adolf Hitlers Geburtstag am 20. April 1933 nahm die Dekoration der Mainzer Innenstadt ausserordentliche Ausmasse an. Das Stadttheater veranstaltete bereits am Vorabend gemeinsam mit dem Kampfbund für deutsche Kultur eine Vorfeier. Man begann mit der Jubel-Ouvertüre von Carl Maria von Weber, danach hielt der Führer des Kampfbunds eine Festrede. Nach dem gemeinsamen Gesang des Horst-Wessel-Lieds ging «Es brennt an der Grenze», ein deutsches Schauspiel in fünf Akten von Hans Kyser unter der Regie von Paul Trede, als Erstaufführung über die Bühne. Darin ging es «um das Schicksal der deutschen Menschen, die durch die polnische Grenzziehung heimatlos, rechtlos und im Innersten in ihren Gefühlen verwirrt sind».46 Die propagandistische Darbietung wurde in den zwei folgenden Tagen wiederholt, verschwand danach vom Spielplan, bis am 13. und 19. Mai 1933 der «Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten» in das Stadttheater einlud und das Stück wieder aufführen liess. Die «Mitglieder und Freunde des Bundes [waren] der Einladung so zahlreich gefolgt, dass die Veranstalter über ein ausverkauftes Haus quittieren konnten», schrieb das Mainzer Journal. Die Aufführungen wurden mit einem festlichen Rahmenprogramm ergänzt, worin rund 100 neue Mitglieder in den Bund aufgenommen wurden, Heeresmärsche aus dem 18. und 19. Jahrhundert von der «Stahlhelm»-Kapelle vorgetragen und nach der Fahnenweihe und -übergabe eine «bemerkenswerte Ansprache»