Ursula Kähler

Franz Schnyder


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schrieb Vater Schnyder an das Schauspielhaus Düsseldorf, dass er seinen Sohn in Deutschland ausbilden lassen wolle, «da er in der Schweiz sich die Weichheit der deutschen Sprache nicht aneignen könne, indem diese Weichheit in seinem täglichen Umgange wieder verdorben würde», und wies nochmals auf die für die Deutschen ungewohnte Aussprache seines Sohnes hin, die für einen Schweizer ganz natürlich sei und die Franz dank seines grossen Eifers sicherlich rasch korrigieren werde.

      Sowohl er wie auch seine Eltern hätten damals nicht abschätzen können, was ihn erwartete, erinnerte sich Schnyder in reiferem Alter. Hätten sie gewusst, dass nur ein kleiner Teil der Schauspielschüler mit Erfolg von diesem Beruf würden leben können, hätten sie ihn nicht gehen lassen. «Die Nervenprobe ist sehr gross, und man muss gutes Glück haben», sagte er im Jahr 1965.24

      Franz Schnyder 1930, am Anfang einer verheissungsvollen Theaterkarriere in Deutschland. Experimentelle Mehrfachbelichtung vor der Tonhalle Düsseldorf.

      Die Schauspielschule in Düsseldorf

      Sein Vorsprechen war erfolgreich, und so zog Schnyder am 2. Januar 1930 an die Kronprinzenstrasse 18 in Düsseldorf und trat drei Tage später in die Hochschule für Bühnenkunst am Düsseldorfer Schauspielhaus ein. Die Ausbildung dauerte zwei Jahre und wurde in den Fächern Sprechtechnik, Rhythmik, Rezitation, Rollenstudium, Dramaturgie, literarische Besprechung der Schauspielwerke, Gesichtspunkte der Regie, szenische Improvisationen, Theater- und Kunstgeschichte, Unterricht im Schminken und Französisch erteilt.25 Im Februar 1930 schrieb er seiner Tante Johanna, dass er sehr beschäftigt und Düsseldorf eine schöne, grosse Stadt sei. Nur die Luft sei sehr schlecht, wobei er sich zwar sehr gut fühle, aber «trotz Ortswechsel nun 2 kg abgenommen» habe.26

      Die Schauspielschule von Dumont und Lindemann schien Schnyder dann doch nicht besonders zu entsprechen, weshalb auf ihn wenig Verlass war und es vorkommen konnte, dass er gar nicht zu Aufführungen erschien. Am 2. Juni erhielt er eine erste Verwarnung: «Sehr geehrter Herr Schnyder! Es wird gemeldet, dass Sie in der Aufführung am 30.5. so spät in die Garderobe kamen, dass es Ihnen nicht möglich war, in Ihrem Auftritt im 3. Akt mitzuwirken. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir im Wiederholungsfalle nach den Bestimmungen der Hausordnung handeln werden und Sie die Konsequenzen dann tragen werden müssen. Wir können es nicht verantworten, Schüler für die Bühne vorzubereiten, die nicht im Vollbesitz des hier notwendigen Verantwortungsgefühls sind.»

      Gemeinsam mit einem Schweizer Studienkollegen reichte Schnyder ein Gesuch ein, im Juli schon etwas früher in die Ferien verreisen zu dürfen, da sie eine weite Reise auf sich nehmen müssten und überzeugt seien, dass die Schule gut auf sie beide verzichten könne. Im Verzeichnis der Schüler der Hochschule für Bühnenkunst steht, dass Franz auf den 1. September 1930 ausgetreten sei. Dennoch musste er weitere Auftritte wahrnehmen. Mitte Monat wurde er erneut ermahnt, weil er bei einer Vorstellung von «Sturm im Wasserglas» gefehlt hatte.27 Dies schien wohl der Moment gewesen zu sein, in dem sich Schnyder definitiv zum Verlassen der Schule entschieden hatte. Am 25. September verabschiedete er sich schriftlich beim Intendanten Lindemann. «Wollen Sie meine grosse Dankbarkeit entgegennehmen: ich habe an Ihrem Institut ausserordentlich viel gelernt und gesehen; was ich von Düsseldorf mitnehme wird [mir] für mein ganzes Leben wichtig und notwendig sein. Mit grösster Hochachtung Ihr ergebener Fr. Schnyder.»28

      Zum ersten Mal in Berlin

      Anschliessend zog Schnyder in die deutsche Hauptstadt, wo er an der Witzlebenstrasse 20 wohnte. Zu seiner Vermieterin Gertrud Grünbaum, einer älteren Dame, pflegte er eine enge, persönliche Beziehung. Zunächst nahm er privaten Schauspielunterricht und traf auf Ellen Widmann,29 eine Schweizerin, deren Theaterlaufbahn ebenfalls in Deutschland begonnen hatte.30 Mit ihr arbeitete er später in der Schweiz noch oft zusammen, sowohl im Theater als auch im Film.

      Im November 1930 begann er das Studium bei Ilka Grüning und Lucie Höflich. Es gab daneben noch zwei andere Theaterschulen in Berlin: die Schauspielschule des Deutschen Theaters, gegründet 1905 von Max Reinhardt, und die Berliner Schauspielschule des Deutschen Bühnenvereins und der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger. Grüning und Höflichs Schule war unabhängig und deshalb nicht als solche offiziell im «Deutschen Bühnenjahrbuch» registriert. Jedes Jahr wählten die beiden Lehrerinnen zwölf junge Damen und Herren aus, die sie zwei Jahre lang unterrichten würden. Eine davon war die deutsche Schauspielerin Lilli Palmer. In ihrer Autobiografie «Dicke Lilli – gutes Kind» schrieb sie, dass es in ihrer Klasse ein Mädchen gab, das ihr «in puncto Talent das Wasser reichen» konnte. Es war Juana Sujo, die zehn Jahre zuvor mit ihren Geschwistern von Buenos Aires nach Berlin gekommen war, ehe sie auf Schnyder und Palmer traf.

      «Der Lehrplan war einfach. Jeder Schüler hatte seine wöchentliche Privatstunde, das heisst, man spielte seine Rolle, während jemand die Stichworte las, und die anderen sahen zu. Frau Grüning oder Frau Höflich unterbrach oder machte ihre Bemerkungen hinterher. Dadurch lernten wir aus dem Unterricht der anderen genau so viel wie aus dem eigenen. Natürlich wussten wir in kürzester Zeit, bei wem sich das Zusehen lohnte. […] Juanitas Unterricht war immer überfüllt. Sie war allen weit voraus», erinnerte sich Palmer.31

      Die Sommerferien verbrachte Franz meistens in der Heimat. Im August 1931 hatte er viele Proben für «Jedermann», ein Stück aus der Feder Hugo von Hofmannsthals, das seit 1920 jedes Jahr bei den von Max Reinhardt und von Hofmannsthal gegründeten Salzburger Festspielen aufgeführt wurde. Nun sollte es auch in Burgdorf unter freiem Himmel zur Aufführung kommen. Franz hatte sich bereit erklärt, während der Sommerferien unter der Regie der lokalen Theatergrösse Franz Della Casa senior mitzuspielen. Er fand es jedoch «eine langweilige Sache – es wäre gescheiter gewesen, ich hätte es nicht gemacht», schrieb er an Tante Johanna.

      Im Herbst fuhr Schnyder wieder nach Berlin, wo ihn Mitte September eine Angina plagte. In einem Brief an Johanna, den er krank aus dem Bett schrieb, kam er auf etwas Ernstes zu sprechen: «Hier in Berlin steht es gegenwärtig mies und es scheint immer schlechter zu werden: Letzte Woche haben sie mit einer Judenverfolgung auf offener Strasse begonnen – na, ich bin ja kein Jude, mich geht die Sache ja nichts an.» Dass diese Entwicklungen aber bald auch gravierende Folgen für die Theaterwelt und seine Kolleginnen und Kollegen haben würden, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausmalen.

      Franz Schnyder schrieb in hohem Alter einmal, dass er noch während der Ausbildung bei Grüning und Höflich von Max Reinhardt entdeckt worden sei.32 «Im prächtigen Salon der guten Lucie [Höflich] hockte ein älterer Mann … Wie angewachsen … guckte auf mich … Mich störte das. Aber einmal in Fahrt, legte ich los. Der Monolog vom bedauernswerten Melchthal ist ja kein Geheimnis. […] Erschöpft – doch höchst zufrieden – beäugte ich die erstaunte Höflich … ‹Begabt, … schon, aber, …› Da winkte der Alte in der Ecke … ‹Hocken! Und wie heissen Sie doch?› ‹Schnyder […]› ‹Schnyder? So, so […] Haben … solche überhaupt nicht … Weder in Berlin noch in Wien … Aber …› Und er hob seinen linken Zeigefinger. Prophetisch … ‹So lange dauert es nicht … und dieser kuriose Name ‹Schnyder› […] Werden ihn bald kennen … die Leute … Bleiben Sie geduldig, wenn Neid auf Ihren Spuren auftaucht …› Dann machte er sich auf den Weg zur Tür …» Es kam aber nicht direkt zu einem Engagement am Deutschen Theater, wie Schnyder später erzählte, sondern er schloss zuerst gemeinsam mit den anderen die Ausbildung ab.

      Am Abend des 23. April 1932 trat die Schauspielklasse im Schubert-Saal an der Bülowstrasse 104 zur Studio-Prüfungsaufführung an. Dargeboten wurden Szenen aus unterschiedlichen Werken. Jeder Darsteller musste in mindestens zwei verschiedene Rollen schlüpfen, um Vielseitigkeit zu beweisen. Schnyder spielte Figuren aus Gerhard Hauptmanns «Rose Bernd» sowie, gemeinsam mit Lilli Palmer, aus Victorien Sardou und Emile de Najacs «Cyprienne». Von der Presse wurde er aber besonders für seine Darbietung als Peer Gynt an der Seite von Juana Sujo gelobt. «Sujo zeigt als Aase […] drastische Bühnenbegabung, nach der derben und nach der humoristischen Seite hin […], Franz Schnyder treibt als Peer Gynt die Sprache so auf die Spitze, dass er schon wieder undeutlich wird. […] Er ist jedoch heute schon