als Arnold von Melchthal, zum ersten Mal in Kontakt mit der Heldensage. Am Mittwoch, 15. August 1934, hatte im Kurtheater «Lanzelot und Sanderein»58 Premiere. Das Badener Tagblatt schrieb dann gleich von einem gelungenen «Bunten Abend», da das Stück gemeinsam mit Kleists «Der zerbrochene Krug» aufgeführt wurde. «Den Lanzelot spielte eine neue Kraft: Franz Schnyder, wahrscheinlich ein guter Eidgenosse. Er spielte sehr aus- und eindrucksvoll und gab dann übrigens im nachfolgenden ‹Zerbrochenen Krug›, das sei vorweggenommen, in seiner Rupprechtrolle alle Beweise eines soliden Könnens.» Obwohl Lanzelot, Fürst von Dänemark, das Bürgermädchen Sanderein innig liebt, gehorcht er seiner Mutter und verstösst das Mädchen. Sanderein heiratet einen vorbeiziehenden Ritter, und Lanzelot wird reuig. Das kurze Stück wurde des Öfteren wieder hervorgeholt, so auch Ende März 1935, als es an einem Abend zum Thema «Volksspiele des Mittelalters» gemeinsam mit «Der Ackermann und der Tod» zur Aufführung kam, erneut mit Schnyder in der Titelrolle. «Lanzelot (Franz Schnyder) glich ganz und gar den Königssöhnen, wie wir sie aus den alten Büchern kennen», schwärmte die Zeitung Ostschweiz am 30. März 1935.
Franz Schnyder als Lanzelot in «Lanzelot und Sanderein» 1935 am Stadttheater St. Gallen.
Schnyder war in St. Gallen sehr willkommen, wie ein Text des vom St. Galler Theater herausgegebenen Anzeigers verlauten liess: «Die Rückkehr des jungen Künstlers in seine Heimat darf als erfreulicher Gewinn unserer Bühne und des Schweizer Theaters überhaupt begrüsst werden.» Dem pflichtete die Presse bei. Schnyder erhielt rundum positive Kritiken.
Am 30. Oktober 1934 schrieb sogar die Berner Zeitung Der Bund über eine Neuerscheinung auf der St. Galler Bühne. «Hans Böheim»,59 ein Stück von Emil Sautter über den ersten deutschen Bauernkrieg im Jahr 1476, wurde durchwegs gelobt. «Jeder einzelne ordnete sein Bestes ins Gesamte ein, und eine kluge Einführung berief den talentvollen jungen Schweizer Franz Schnyder zur Verkörperung der Titelrolle, die ehrlich ergriff», wobei Schnyders Darbietung hier die Kritiker entzweite. «Franz Schnyder gab dem Pauker Lebendigkeit und einen Zug von tieferer Menschlichkeit», schrieb die Volksstimme; dem widersprachen die Neue Zürcher Zeitung und das St. Galler Tagblatt: «Sehr schade war, dass der junge Darsteller des Böheim seiner Aufgabe noch nicht gewachsen war. Da spürte man wenig von Leidenschaft und Fanatismus», meinte erstere, «der Abend kam nicht über das Mittelmass hinaus», fand die zweite. Die «zur Handlung gehörende Musik» stammte aus der Feder von Paul Burkhard, mit dem Franz Schnyder in Zukunft noch eng zusammenarbeiten würde. In der Folge glänzte Schnyder auch in weiteren jugendlichen Hauptrollen, für die er oft Lob erhielt, besonders für die Vielschichtigkeit seiner Darbietungen.
Doch manchmal konnte man sich fragen, ob die Pressekritik nicht vielmehr Meinungsmache war. Betreffend Aufführung des Antikriegsstücks «Das Gerücht» nach C. H. Munro schrieb die Volksstimme: «Franz Schnyder verschluckte seine trefflichen Worte über Mord und Krieg in sinnloser Hast», womit das St. Galler Tagblatt nicht einverstanden war: «Das Publikum ging, namentlich bei Franz Schnyders vielversprechendem Spiel, willig mit.» Im Programmheft wurde erwähnt, dass die Schreibmaschinenausstattung von der Firma «C. W. Schnyder, Olivetti Vertretung, Zürich» stammte. Franz spannte also seinen Bruder Conrad mit ein, um an Requisiten für die Inszenierung heranzukommen.
Schnyders Einsatz für das Stadttheater war so überzeugend, dass er bald auch Regie führen durfte. Am Mittwoch, 12. Dezember 1934, war es so weit, und seine erste Inszenierung stand auf dem Programm: «Robinson soll nicht sterben» von Friedrich Forster60 als Schweizer Erstaufführung. Seit der Premiere 1932 in Leipzig wurde das Stück, in dem Schnyder bereits zweimal gespielt hatte, an über 50 deutschen Bühnen mit grossem Erfolg gezeigt. Es handelt von einer Gruppe von Kindern, die Daniel Defoe, dem berühmten Autor des Robinson-Crusoe-Romans, aus der Not helfen. «Das reizende Märchenspiel führt uns aus dem Alltag heraus, hinein ins Kinderland, in eine Welt, in der Robinson und sein treuer Freund Freitag die Helden sind. […] Franz Schnyder hat als Regisseur eine flotte Aufführung herausgebracht. Alle Darsteller waren mit sichtlicher Begeisterung bei der Sache, auch die drei Kantonsschüler, die als Bob, Ben und Bill ihre Freunde ‹Robinson› und ‹Freitag› kräftig unterstützten», lobte das St. Galler Tagblatt. «Ja wenn man gewusst hätte, was eigentlich am Mittwochabend im Stadttheater gespielt wurde – der Titel des Stückes sagte einem nicht viel und nicht das Rechte – […] wäre zu dieser Erstaufführung auf Schweizererde unser Stadttheater zum Brechen voll geworden, und es hätte im Parkett, in den Rängen und Logen einen donnernden Beifall abgesetzt. […] Franz Schnyder gehört für seine so gelungene Erstinszenierung eine besondere Anerkennung», lobte die Ostschweiz. Zu den kommenden Aufführungen kam das Publikum aber dann doch noch. Das Stück wurde immerhin achtmal aufgeführt, hinzu kamen noch geschlossene Schulvorführungen, die bis auf den letzten Platz besetzt waren. Schnyder konnte es nicht lassen, selbst wiederum den ungezogenen Sohn Daniel Defoes zu spielen, den dieselbe Zeitung als «famos aus dem Leben geschnitten» pries.
Franz Schnyder in «Kampf im Konzern». Das St. Galler Tagblatt schrieb am 21. Januar 1935: «Schnyder war ein energischer, kompromissfeindlicher Bernart, der die ihm fehlende Erfahrung durch rücksichtsloses Draufgängertum ersetzte.»
Das neue Jahr begann, und auch Mitte Januar 1935 standen drei Neuinszenierungen auf dem Programm, für die Schnyder ausnahmslos gute Kritiken erhielt. Lediglich die Tragikomödie «Kampf im Konzern» von Harald Bratt, worin Schnyder einen Direktor der Auslandsabteilung spielte, sorgte bei der Redaktion der Volksstimme für rote Köpfe. Während die meisten Kritikerstimmen dieses Werk lobten, als aktuell und wertvoll priesen und darin das gute Theater als einen Erziehungsfaktor ersten Ranges bestätigt sahen, warfen sie dem Inszenierenden Johannes Steiner vor, den Vertreter der Arbeiterschaft in «deutlicher Absicht als unanständige[n] Trottel hingestellt» zu haben. «Es ist schon gesagt worden, Herr Dir. Modes wähle mit Vorliebe Stücke, in denen die Arbeiter als dumme Rohlinge dargestellt werden. Ich will hoffen, dass dieser Verdacht nicht zutreffe. Herrn Dir. Modes mitschuldig zu wissen, würde mir sehr leid tun», heuchelte der Kritiker.
Mitte Februar war Theater im Theater angesagt: Schnyder spielte in der Uraufführung von «Theater in Stratford», einem historischen Lustspiel des in Frauenfeld wirkenden Schweizer Autors Hans Kriesi.61 Darin kehrt William Shakespeare von der grossen Welt in jene der kleinen Bürger zurück und inszeniert eine Aufführung im Dorf. Schnyders Rolle war die des Jonathan, Sohn eines Kirchenpflegers, der innerhalb des Stücks den Orlando mimen soll. Kriesi war stolz, dass hiermit zum ersten Mal eines seiner Werke von einer grossen Berufsbühne umgesetzt wurde. Nach der Premiere wurde im nahe gelegenen Hotel Hecht ausgelassen mit Freunden, Bekannten und Darstellern bis spät in die Nacht gefeiert.
Im Frühling kam noch mehr Stoff von Schweizer Autoren zur Aufführung, wie zum Beispiel «Schauenberg und Rackertal, oder Die heilige Vinzenzia» des Zürcher Dramatikers Arnold Kübler. Das Lustspiel spielt sich rund um ein verlottertes Landgut ab, in dem allerlei Verstrickungen zum Schluss in ungetrübter Harmonie enden. Schnyder spielte darin einen armen Studenten namens Bohnenblust, der sich in die künftige Gutsbesitzerin verliebt und dem schliesslich das Glück in den Schoss fällt. Die Kritiken waren ausgezeichnet und lobten vor allem die Leistung, das Publikum trotz der Verssprache bis zum Schluss zu fesseln.
Zum Schluss der ordentlichen Schauspielsaison durfte Schnyder das Lustspiel «Wenn der junge Wein blüht» des Norwegers Bjørnstjerne Bjørnson inszenieren. In der Komödie, die 1927 zum ersten Mal verfilmt worden war, will eine Mutter ihre drei Töchter ohne deren Mitspracherecht verheiraten. Die einzige Aufführung am Stadttheater erfolgte am Freitag, 26. April 1935, zum 25. Todestag des Autors. Das Stück selbst wurde von der Presse zwar als etwas veraltet, Schnyders Regiearbeit hingegen als sorgfältig bezeichnet.
Zum ersten Mal «Tell»
Es war wohl kein Zufall, dass in St. Gallen viele Titel auf dem Programm standen, die auch im nationalsozialistischen Deutschland zu sehen waren. Grosse Erfolge der deutschen Bühnen wurden seit jeher auch in der Schweiz aufgeführt. Doch darf man nicht vergessen, dass die Auswahl der Stücke, die in