Parteimitglied zu sein, weshalb er drei Jahre später demissionieren musste.62 Gegner kritisierten seinen ideologischen Einfluss auf Spielplan, Personalpolitik und Inszenierungen. Andererseits lobte man die Aktivität des «unschweizerischen» Direktors gerade auch in der Wahl einheimischer Werke und achtete ihn als modernen Regisseur und nach «rein künstlerischen» Kriterien handelnden Leiter. Dennoch war die Presse erstaunt, als das Theater ankündigte, noch kurz vor Torschluss der Spielsaison 1934/35 Schillers «Wilhelm Tell» zur Aufführung bringen zu wollen. Zu Beginn der Spielzeit war diese Inszenierung noch nicht erwähnt worden, weshalb man auch von einer «Nachspielzeit» im Monat Mai sprach. Wollte Modes damit in letzter Minute dem Spielplan einen noch stärkeren nationalen Schwerpunkt verleihen und damit seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, obwohl er Schweizer Stücke eigentlich nie vernachlässigt hatte? Oder reizte es ihn nun, nach der vergangenen 1.-August-Feier im Kursaal Baden, das gesamte Stück aufzuführen?
«Die Premiere von Mittwochabend vermochte unsere Bedenken zu zerstreuen. Das gewaltige Drama zog in seiner ganzen Wucht und Leidenschaft in 14 Bildern an uns vorüber. Man hatte das Gefühl, dass unendlich viel Kleinarbeit geleistet werden musste, bis man diese Geschlossenheit der Wiedergabe erreichte», schrieb das St. Galler Tagblatt. Die wichtigsten, tragenden Rollen wurden gezielt Schweizer Schauspielern übertragen: Johannes Steiner gab den Tell, Franz Schnyder den leidenschaftlichen Arnold von Melchthal und Otto Bosshard den besonnenen, ernsten Stauffacher. «Hat man je einen Stauffacher, Melchthal, Walther Fürst gesehen, die wahrer und tiefer wirkten, als diese Männer in ihrem verhaltenen, schlichtesten Wesen selbst grosse, mächtige, für den Schauspieler gefährliche Verse in einem Stil zu sagen vermochten, der einzig und allein die Tiefe des Herzens traf?», fragte die Ostschweiz gleichermassen poetisch, wie das Stück selbst es war. «Wilhelm Tell» wurde innerhalb von zwei Wochen intensiv gespielt und brachte es, manchmal gar mit zwei Vorstellungen pro Tag, auf insgesamt neun Aufführungen. Dabei wurde fast das ganze darstellerische Personal benötigt. Schnyder, vom Tell-Stoff angetan, würde sich in späteren Jahren noch öfters damit auseinandersetzen.
Rekrutenschule und Rückkehr nach Deutschland
Die in St. Gallen ausbezahlten Monatsgagen variierten von Schauspieler zu Schauspieler zwischen 300 und 740 Franken. Schnyder erhielt eine Wintergage von 400 Franken pro Monat. Obwohl in vielen Theaterhäusern über die Sommermonate Betriebsferien waren, zahlte das St. Galler Theater für die Sommerspielzeit in Baden tiefere Monatslöhne aus. Doch nicht die schlechtere Bezahlung war der Grund, weshalb Schnyder den Sommer hindurch nicht wieder im Kurtheater spielte, sondern die Militärdienstpflicht: Dass er ein wahrlich «guter Eidgenosse» war, wie er am Anfang seiner St. Galler Zeit in der Presse beschrieben wurde, bewies er spätestens im Sommer 1935, als Felix und er in die Rekrutenschule einrückten. Zu Beginn – es war ungefähr Mitte Mai – war der Dienst für beide noch recht gewöhnungsbedürftig. Die Verpflegung war erbärmlich, und die beiden waren umso dankbarer für die Pakete von Tante Johanna. «Wir sind am Abend, wenn es überhaupt Ausgang gibt, so müde, dass wir es beide mit den bürgerlichen Sitten nicht mehr genau genug genommen haben. Sonst ist aber unser Befinden prima und wir dürfen hoffen, weit reichende Leistungen im Dienste des Vaterlandes zu prestieren», schrieb Felix am 25. Juli 1935 aus dem «Dreckskaff» Tramelan, wie er es nannte. Am Schluss des Briefs ergänzte Franz, dass die besten Gedanken ja bereits von Felix geschrieben worden seien und mit vollem Magen sowieso schlecht nachzudenken sei, weshalb er nichts Weiteres mehr beizutragen habe.
Die Brüder wurden am 3. August in Biel entlassen. Aus einem gemeinsamen Brief an ihre Tante Johanna erfährt man, dass Felix ein Gesuch einreichen wollte, um gleich im Anschluss die Unteroffiziersschule zu absolvieren. Vielleicht würde es dann möglich sein, die Offiziersschule im März 1936 zu beginnen, «obschon so alte Aspiranten sonst nicht gerade gesucht sind. Der Fränzu will dann dasselbe im nächsten Jahr versuchen, weil er schon im August ins Engagement nach Münster (in Westfalen) muss.»63
Tatsächlich konnte Felix die Unteroffiziersschule gleich anhängen. Er war in Thun stationiert, als Conrad und Mutter Louise ihn am Sonntag, 15. September, besuchten, weil er keinen Ausgang hatte. In Zürich bekamen Conrad und seine erste Frau Gertrud eine Tochter, Christeli, die Louise sehr mochte. Franz war ihr Götti. Die Taufe sei erst, wenn Franz heimkomme, und das könne noch lange dauern, schrieb Louise in einem Brief.
Nach dem Militärdienst musste Franz direkt nach Münster, wo er für die Spielzeit 1935/36 als Spielleiter für die Kammerspiele an den Städtischen Bühnen tätig war. Er übernahm aber selbst auch diverse Rollen – etwa eine kleine Nebenrolle in «Peer Gynt» unter dem neu verpflichteten Oberspielleiter Wolfgang Kaehler und zur Eröffnung der Kammerspiele am 15. September in Gerhard Hauptmanns Stück «Biberpelz», das vom Münsterischen Anzeiger nicht nur Lob erhielt: «Schwach im übrigen Krüger (Hans Schille), Doktor Fleischer (Willi Molthof ) und Amtsschreiber Glasenapp (Franz Schnyder)». Am 17. Februar 1936 kam «Verlobung im Fasching» des zeitgenössischen Autors Leo Lenz zur Aufführung, worin Schnyder den Wilhelm Reb, einen Kammerdiener, spielte.
Seine Unterkunft an der Witzlebenstrasse 20 in Berlin behielt Franz Schnyder weiterhin. Die Stadt war damals, wie auch heute noch, eine Drehscheibe des kulturellen Lebens, weshalb er seine Basis dort nicht aufgeben wollte. In der Spielzeit 1937/38 fand er hier dann auch wieder Engagements, zunächst am Rose-Theater und dann am Deutschen Theater. Das Rose-Theater zeigte hauptsächlich Stücke in der Tradition des Berliner Volkstheaters, mit denen das proletarisch-kleinbürgerliche Publikum im Berliner Osten erfolgreich angesprochen wurde. Am Deutschen Theater spielte Schnyder ab Ende November 1937 unter Direktor Heinz Hilpert. Gleich an seinem ersten Abend hatte er Auftritte in zwei Stücken von Gerhard Hauptmann: zuerst als Grischka in «Elga» unter Hilperts Regie, danach als Hanke in «Hanneles Himmelfahrt» unter der Regie von Paul Verhoeven.64
Schnyder erhielt auch wieder die Möglichkeit, selbst zu inszenieren, und wurde mit dem zeitgenössischen Stück «Erntefest» von Max Halbe beauftragt, einem Autor, dessen Werke mit der Nazi-Ideologie vereinbar waren und welche die Nationalsozialisten deshalb für ihre Zwecke zu beanspruchen versuchten.65 Schnyder schrieb 1991 dazu: «1938 sollte ich eine 7stündige Hymne auf den Führer inszenieren. Gedichtet vom damals bereits senilen Max Halbe. Der Nachfolger von Reinhardt, Heinz Hilpert, scheute sich vor dieser Dreckarbeit und dachte, ein harmloser Schweizer sei da besser geeignet. […] Ich strich das Stück zusammen, verwandelte, was ‹braun› war in harmloses ‹grün›. Der enttäuschte Goebbels stellte mich zur Rede. Als ich ihn dann bat, das Prachtswerk zu lesen, war er mir sogar dankbar.» Vermutlich übertrieb Schnyder. Doch dass Goebbels persönlich im Publikum sass, wäre durchaus möglich gewesen, besuchte er doch regelmässig die Theater und hatte vor allem ein Auge auf Hilpert. Knapp anderthalb Jahre vor «Erntefest» notierte der Reichspropagandaminister in sein Tagebuch: «21. November 1936. Mit Hilpert lange Aussprache. Ich halte ihm alle Fehler des ‹Deutschen Theaters› vor. Er hat nicht genug Kontakt mit mir. Sein Ensemble leidet an geistiger Inzucht. Sein Spielplan ist zu literarisch, er hat kein rechtes Verhältnis zum neuen Regime. Er sieht das auch ein und wird sich bessern.»66
Im Februar 1938 erkrankte Franz an einer Grippe, was seine Mutter veranlasste, ihn in Berlin zu besuchen und zu pflegen. «Er hat diesen Winter wirklich jeden Augenblick etwas, wahrscheinlich weil er letztes Jahr keine richtigen Ferien gemacht hat. Dies[es] Jahr muss er sich dann wirklich gut erholen», schrieb sie ihrer Schwester Johanna. Nach seiner Genesung zeigte er ihr «die schöne Stadt und die schönen Theater», da er noch Ferien hatte. «Franz spielt an einem der ersten Theater. Wenn man hinein kommt meint man Goethe oder Schiller müsste kommen.» Franz kümmerte sich rührend um seine Mutter und widmete ihr alle seine Zeit. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er, dass Tante Johanna ihm einen Liegestuhl zu Weihnachten geschenkt habe, weshalb er sich sofort schriftlich bei ihr bedankte und sich freute, diesen bei seinem nächsten Schweizbesuch einzuweihen. «Besuche mich mal, dann kannst Du mich auf der Bühne sehn. Auch filmen werde ich bald. Du siehst; ich mache Dir keine Schande.» Von welchem Film hier die Rede ist, erwähnte er nicht. Als Franz daraufhin, wie praktisch jeden Sommer, wieder in die Schweiz fuhr, besuchte auch seine Vermieterin Gertrud Grünbaum die Schnyders in Burgdorf.
Vor dem bedrohlichen politischen Hintergrund in Deutschland war es verständlich, dass Schnyders Freundin Erika Seibert Deutschland verlassen wollte. Ein einflussreicher