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Theologie der Caritas


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       6. Heinrich Pompeÿs beziehungstheologische Hermeneutik menschlichen Lebens, Leidens und Helfens sowie strukturanalog auch des Heilshandelns Gottes

      Im Ausgang von seiner Grundauffassung des christlichen Glaubens als einer Beziehungswirklichkeit, die in der inneren, trinitarischen Selbstbeziehungshaftigkeit Gottes gründet, hat Heinrich Pompeÿ eine beziehungstheologische Hermeneutik von Leben und Leiden, d.h. eine theologische Deutung psychischer, sozialer und somatischer Gegebenheiten, entworfen, deren Grundzüge im Folgenden in der gebotenen Kürze genannt seien. Dabei geht Heinrich Pompeÿ von der Beobachtung aus, dass bereits das biologische Leben stets eine Beziehungswirklichkeit und als solche eine „Interaktion verschiedener Elemente“23 sei, „die selbst wieder aus Interaktionen verschiedener Elemente bestehen“24. Darüber hinaus besitze auch das psychosoziale Leben von Menschen miteinander einen interaktionalen, kommunikativen Charakter. Daher gelte: „Das grundlegende Faktum des Lebens ist also seine Beziehungs-,wirk‘-lichkeit.“25 Hier könnte man leicht das berühmte Credo des dialogischen Denkens Martin Bubers assoziieren, dass alles wirkliche Leben Begegnung sei, wobei Begegnung im Sinne Bubers aber bereits die Erfüllungsstufe interpersonaler Beziehung darstellt.26 Das Faktum der Beziehung aber ist nach Heinrich Pompeÿ zugleich „durchgehendes Thema christlicher Lebenswissensüberlieferung“27, sei es im Faktum des Bundes als der Gemeinschaft von Gott und Mensch, des Volkes Gottes, der Kirche, der Gemeinde etc. Diese Strukturanalogie zwischen dem Beziehungscharakter des natürlichen Lebens und demjenigen des christlich verstandenen Lebens hat Heinrich Pompeÿ zum Anlass genommen, ein hermeneutisches Paradigma theologischer Deutung der humanwissenschaftlichen Grundlagen menschlichen Lebens, Leidens und Helfens zu entwerfen, das strukturanalog auch als beziehungstheologische Hermeneutik des Heilshandelns Gottes verstanden werden kann. Die grundlegenden Inhalte dieser beziehungstheologischen Hermeneutik fasst Heinrich Pompeÿ in die folgenden Thesen zusammen:

       6.1 „Die Beziehungs-‚wirk‘-lichkeit von Gut (Eu-Logik) und Böse (Dia-bolik)“28

      Menschen seien stets mit der Erfahrung von Gutem und der entgegengesetzten Erfahrung von Bösem konfrontiert, wobei sich das letztlich göttliche Gute als stärker erweise als das diabolische Böse. Als Christ darf und muss man sogar dieser Prognose als einer eschatologischen Aussage zweifellos zustimmen; für die Lebensgeschichte des einzelnen wie für die Menschheitsgeschichte vor dem Eschaton muss dies aber keineswegs gelten, wie nicht nur der christliche Glaube, sondern auch die nüchterne Wahrnehmung individueller wie gesellschaftlicher und gegenwärtig tendenziell auch der globalen Realität uns lehrt.

       6.2 „Die Beziehungs-‚wirk‘-lichkeit des Guten in Gott (Trinität)“29

      Liebe wird von uns Menschen natürlicherweise als die beste Beziehungswirklichkeit erfahren, als das Lebenswerte schlechthin. Strukturanalog gesehen muss es daher auch in Gott eine liebende Beziehung geben, muss Gott in sich dreifaltig sein, muss er, wie wir ergänzen können, eine vollkommene Beziehungs-Einheit der wechselseitigen Selbsthingabe dreier Personen sein, die ein gemeinsames, einfaches, göttliches Wesen besitzen.

      Damit ist zwar noch kein gültiger Vernunftbeweis der trinitarischen Binnenstruktur Gottes geführt, aber zumindest ein gemäß traditioneller Nomenklatur Konvenienzargument für die Trinität entwickelt, d.h. ein hier genauer strukturanaloges Argument für die rationale Angemessenheit bzw. Plausibilität eines trinitarischen Beziehungsgefüges in Gott.

       6.3 „Die kreative Beziehungs-,wirk‘-lichkeit des Guten aus Gott (Schöpfung)“30

      Weil, wie Heinrich Pompeÿ formuliert, echte Liebe neue Liebe ermöglichen will, d.h., in metaphysische Sprache übersetzt, weil das wesenhaft Gute sich selbst geben und mitteilen und damit auch anderes Sein hervorbringen will, dem es sich mitteilen kann, „bewirkt die trinitarische Liebe die Erschaffung des Menschen“31, und zwar als ein liebesfähiges und -bedürftiges „Beziehungswesen“32 nach seinem Ebenbild. Der Wahrheit und Schönheit dieser These ist nichts hinzuzufügen.

       6.4 „Die Beziehungs-‚wirk‘-lichkeit des Bösen im Menschen (Sündenfall)“33

      Hier betont Heinrich Pompeÿ zu Recht, dass die Störung der Beziehung des Menschen zu Gott durch die Sünde sich auswirkt auch auf alle anderen Beziehungen, in denen der Mensch steht, einschließlich seines Selbstverhältnisses.

       6.5 Die erste Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (AT)

      Die fünfte These Heinrich Pompeÿs hat die erste Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes im Alten Testament zum Gegenstand; auf ihr erweise sich Gott als „ein Gott der treuen und liebenden Beziehung.“34, der mit den Menschen Bundesschlüsse eingehe, und zwar trotz ihrer Untreue und ihres Versagens.

       6.6 Die zweite Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (NT)

      Die zweite, vom Neuen Testament bezeugte Stufe des befreienden und helfenden Heilshandelns Gottes sei durch die beiden Unterstufen der Inkarnation und der Passion gekennzeichnet. Beide Akte der göttlichen Gnade dienen der Befreiung der Menschen von ihrer Beziehungsstörung zu Gott und zueinander und der Wiederherstellung der einheitlichen und geordneten Beziehungswirklichkeit des Menschen, die durch die Sünde zwar erheblich geschädigt, aber nicht restlos zerstört worden sei – wie es der katholischen Sichtweise im Unterschied zur protestantischen entspricht.

       6.7 Die dritte Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (Geschichte der Kirche)

      Die dritte Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes ist nach dem hermeneutischen Paradigma Heinrich Pompeÿs die Geschichte der Kirche. Zu dieser gehöre die Befähigung der Gläubigen durch die Sendung des Heiligen Geistes zur Liebe, d.h. in eine helfende und heilende Beziehung zu treten, wobei der Hilfecharakter dieser Beziehung für das menschliche Gottesverhältnis allerdings eingeklammert werden müsste, es sei denn, dass wir gleichsam Gott dabei helfen sollen, den Hass der Menschen zu heilen. Die Vermittlung dieses göttlichen Geistes der Beziehungsfähigkeit und -willigkeit der Liebe in der und durch die Gemeinschaft der Gläubigen, d.h. die Kirche, stelle das zweite Moment dieser Stufe des HeilsHandelns Gottes dar, während die Anerkennung und Achtung der Freiheit des Menschen dessen drittes Moment darstelle.35 Dabei handelt es sich genau besehen (gesehen) um eine notwendige Bedingung für die Annahme des befreienden und helfenden Heilshandelns Gottes von Seiten des Menschen.

       6.8 Die Vollendung des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (Reich Gottes)

      Dessen Vollendung durch die Heilung der gesamten Beziehungswirklichkeit des Menschen im Reich Gottes steht geschichtlich gesehen noch aus. Das ändert aber nichts daran, dass die Menschen aufgerufen sind, zu dieser Heilung nach Kräften beizutragen.

      Diese hier nur andeutbaren Grundzüge einer beziehungstheologischen Hermeneutik hat Heinrich Pompeÿ im Blick auf die humanwissenschaftlichen Bedingtheiten einer gelingenden und helfenden Beziehung entworfen, zu denen sich diese Hermeneutik strukturanalog verhält. Sie beschreibe inhaltlich gleichsam das Credo des Helfens, Pflegens und Beratens caritativ-diakonischer Praxis der Kirche und damit den spezifisch christlichen Beziehungsaspekt dieser Praxis.36 Damit hat Heinrich Pompeÿ zweifelsohne einen wichtigen und höchst verdienstvollen Beitrag zur spezifischen Identität des christlichen Helfers bzw. der christlichen Helferin geleistet, der die Tätigkeit des gleichsam natürlichen Helfers voraussetzt und diese vollendet.

       Bibliographie

      Buber, Martin, Ich und Du. Nachwort von Bernhard Casper, Stuttgart 1995.

      Dilthey, Wilhelm, Der logische Zusammenhang in den Geisteswissenschaften, in: Gesammelte Schriften VII.

      Pompeÿ, Heinrich, Beziehungstheologie – das Zueinander theologischer und psychologischer „Wirk“-lichkeiten und die biblisch-theologische Kontextualisierung von Lebens- und Leidenserfahrungen, in: Pompeÿ, Heinrich (Hg.), Caritas – das menschliche Gesicht des Glaubens.