Thomas Lambert Schöberl

Grüne Seelen. Über die Weisheit der Natur


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mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet.«

      Wenn wir nur ein Auge dafür haben, wie die Gesetze der Ganzheitlichkeit in den Leben anderer wirken, werden wir oft blind für die Optionen unserer eigenen Welt. Der Weg zur inneren Zufriedenheit, zur eigenen Gesundheit oder in die eigene Berufung wird nicht gelingen, wenn Sie versuchen, ausschließlich den Wegen anderer zu folgen.

      Es klingt so selbstverständlich, aber die wenigsten Patienten, die neu in meine Praxis kommen, haben sich bisher tatsächlich gefragt, ob zur Besserung ihrer Situation womöglich eine gänzlich neue Lebenshaltung der erste Schritt sein könnte. Unser Leben besteht aus Lektionen und Prüfungen. Neid, Passivität und Geltungssucht sind nur einige wenige davon. Wenn Sie diese Motive zum Antrieb Ihres Handelns wählen, wird dies früher oder später durch das Leben selbst entlarvt und Ihr Selbstbild erschüttert werden. Wahre Freude entsteht im Inneren und ist das Resultat eines mutigen, dynamischen Lebens. Richten Sie Ihre Gedanken immer wieder neu aus. Seien Sie nie zu alt oder zu jung! Die verschiedenen Phasen und Zyklen unseres Lebens sind gleichwertig, und diese Gewissheit spendet uns die Zuversicht, dass jede Einsicht ihre Zeit hat. Vergleichen Sie sich nicht mit Ihren Mitmenschen, lassen Sie sich nicht auf den Wettstreit der Leistungsgesellschaft ein, sondern seien Sie einzigartig.

      Ich musste über viele Jahre lernen, dass meine Andersartigkeit gut ist und dass sie mir gefällt. Einzigartigkeit hat Wert! »Wasche dein Herz vom Bösen rein, Jerusalem, damit du gerettet wirst! Wie lange noch wohnen in dir deine frevelhaften Gedanken?« (Jeremia 4,14). Am Beispiel der Israeliten sehen wir, dass Habsucht, Gier und Neid nicht ins gelobte Land führen. Die Orientierung am Außen führte die aus Ägypten befreiten Israeliten auf eine vierzigjährige Reise durch die Wüste, und viele von ihnen erlebten die Ankunft nie. Die nur etwa 400 Kilometer weite Reise der Israeliten wurde zu einer 40 Jahre dauernden Irrwanderung eines ganzen Volkes.

      »Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene« (Römer 12,2).

      Natürlich fordert eine solche Lebenseinstellung Einsatz, Geduld und Fleiß. Sie werden Ihren Tagesablauf verändern müssen, möglicherweise früher aufstehen, alte Gewohnheiten ablegen und neue Dinge lernen müssen, dann werden Sie aber erkennen, dass sich die eigene Berufung in der Zusammenarbeit mit anderen erfüllt. Während der ersten Jahre meiner Praxistätigkeit habe ich viel Schmerz, Einsamkeit und emotionale Entfremdung in den Gesichtern der Menschen gesehen. Sie kamen aus so vielen Beweggründen. Ich erkläre meinen Patienten, dass ihr Schmerz, egal ob physischer oder psychischer Natur, in erster Linie in guter Absicht kommt. Schmerzen wollen uns schützen. Sie sind unmissverständliche Signale, die uns, ganzheitlich betrachtet, zur Umkehr auffordern.

      Ich sehe meine Gabe und meine Berufung als Heilpraktiker nicht darin, ein Verwalter von Krankheiten zu sein. Ich sitze meinem Besucher gegenüber, um ihm neue Räume zu öffnen und um ihm bedingungslose Liebe zu schenken. Um sich dazu zu befähigen, braucht es eine sehr bewusste Routine der Selbstfürsorge. Ich liebe es, Bäume zu besuchen, zu umarmen und mit ihnen zu sprechen. Ich klage ihnen meine Sorgen und Ängste. Das ist eine Übung, die ich ganz besonders mag. Ich sitze auch gern mit geschlossenen Augen am Fluss und stelle mir vor, wie das Wasser all meine Sorgen mit sich wegträgt. Dann schöpfe ich neue Kraft und Inspiration für meine Arbeit.

      Eine von vielen Möglichkeit, wie wir die eigenen Talente nachhaltig entwickeln können, ist somit der Beruf, den wir wählen.

      Das Wort Beruf kommt von Berufung. Das Ständesystem des Mittelalters kannte die »innere Berufung« und die »äußere Berufung«. Die Arbeit der Menschen war sehr stark vom christlichen Weltbild eines göttlichen Plans bestimmt. Im Zuge der Säkularisierung verschwanden die religiösen Aspekte der Arbeit, die sozialen Verpflichtungen blieben jedoch im Rahmen der Arbeitsteilung erhalten. Heute sind mit dem Berufsinhalt, neben der Sicherung eines Einkommens und dem Erwerb von Rentenansprüchen, auch persönliche Lebens-Inhalte, individuelle Interessen, Wertvorstellungen, Ziele, soziales Ansehen und gesellschaftliche Wertschätzung verknüpft. Unser Beruf bestimmt maßgeblich unsere Sicht auf die Welt.

      Beruf und Privatleben formen und beeinflussen sich im gegenseitigen Wechselspiel. Hier wird bereits spürbar, dass sich eine Kluft zwischen unserer natürlichen Sehnsucht nach Gemeinschaft, gesellschaftlicher Wertschätzung, schöpferischer Freiheit und dem normierten, vom Menschen und vom Produkt entfremdeten Berufsleben unserer Zeit auftut. Oft beobachte ich, dass der einseitige Berufsalltag meiner Patienten einer dringend notwendigen Lebensumstellung im Weg steht. Die berufliche Monotonie lässt ihre Sinne, Gedanken, ihre Intuition und ihre Lebenskraft verkümmern. Während einzelne Firmen ihre Mitarbeiter im Bereich Achtsamkeit und Ressourcenmanagement schulen, ist der großen Masse an Arbeitgebern bei der Vorstellung, mit wachen, bewussten und achtsamen Mitarbeiten konfrontiert zu sein, eher unwohl. Ja, einem ganzheitlichen, achtsamen Blick auf die Welt wohnt ein gesellschaftskritisches Potenzial inne.

      Zurück zum Hamsterrad des Alltags. Ein Europäer mit einer achtzigjährigen Lebenserwartung verbringt rund acht Jahre seines Lebens mit Arbeit, vierundzwanzig Jahre mit Schlaf und zwölf Jahre mit Fernsehen. Es ist nicht verwunderlich, dass ich in meinem Praxisalltag feststelle, dass Berufswahl, Freizeitgestaltung und Konsumverhalten sich gegenseitig stark beeinflussen. Doch liegen besonders am Arbeitsplatz und in der Gestaltung unserer Freizeit wichtige Faktoren für eine gesunde Psyche und eine stabile körperliche Gesundheit verborgen.

      Unser Arbeitsleben setzt den Tag- und Nachtrhythmus außer Kraft. Smartphones und elektrisches Licht rauben vielen Menschen die Ruhe zum Schlaf. Früher war die Hauptaufgabe des Menschen die Nahrungssuche. Heute stopfen wir uns mit industriell hochverarbeiteten Füllstoffen voll, die uns nicht nähren, sondern als trügerische Ersatzbefriedigung Entzündungen, Allergien und Fettsucht fördern. Das ständige Abgehetztsein, oft, ohne einen wirklich produktiven, sichtbaren und nachhaltigen Sinn der eigenen Arbeit zu erkennen, führt zur Verkümmerung unserer Atemmuskulatur. Flaches, gestresstes Atmen fördert Müdigkeit, Schlafprobleme, Herzerkrankungen, schwächt das Immunsystem, lähmt den Magen-Darm-Trakt und befeuert Nacken- und Rückenschmerzen. Beobachten Sie Ihre Atmung – sie verrät viel über unseren physischen und psychischen Gesundheitszustand.

      Kommen neue Patienten in meine Praxis, ist es üblich, dass ich neben einer sehr ausführlichen Krankenanamnese auch den Lebensweg und den beruflichen Werdegang meiner Besucher studiere. Alles ist wichtig! Genau das zeichnet die Naturheilkunde aus. Und nein, dabei geht es nicht um Placebo-Gespräche. Es geht um die strategische Entwicklung eines neuen Lebenskonzeptes. Dieses herausfordernde Ziel braucht vollste Aufmerksamkeit und viel Zeit. Für viele Menschen hört sich das anstrengend an. Wir haben verlernt, uns Zeit für uns selbst zu nehmen, und damit meine ich nicht die tägliche Dosis Fernsehen, Internet oder Selbstoptimierung im Fitnessstudio. Weil wir vergessen haben, wie es ist, Zeit in der Stille zu verbringen, sich produktiv mit dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen und Innenschau zu betreiben, erscheint vielen die Vorstellung einer tief forschenden, naturheilkundlichen Sitzung beim Heilpraktiker als anstrengend.

      Oft dauert es eine Weile, bis Patienten erkennen, dass eben diese Vernachlässigung ihrer selbst, also das unentwegte Suchen im Außen, den Kern ihres Problems birgt.

      Weitere wichtige Informationen über mein Gegenüber entdecke ich in der Familiengeschichte, in Schicksalsschlägen, prägenden Lebensereignissen und in Vorerkrankungen aller Art. Wie ist der enge Freundeskreis aufgebaut, was verrät der Beruf, welche Sehnsüchte, Wünsche und Ängste bringt ein Patient mit, und, ja, sogar die Gestaltung der eigenen Wohnung spielt beim Erstgespräch eine wichtige Rolle.

      Der Versuch, den Menschen in seiner Ganzheit kennenzulernen, ist eine wichtige Voraussetzung, um die meist brachliegenden Selbstheilungskräfte zu wecken. Dabei ist Geduld und Einfühlsamkeit ein wichtiger Therapiebaustein. Die Bereitschaft des Patienten, Zeit in diese Prozesse zu investieren, ist von ganz entscheidender Bedeutung. Viele Menschen beginnen erst durch Schicksalsschläge verschiedenster Art, ihren Lebensweg zu hinterfragen. Wenn wir mit offenen Augen durchs Leben gehen und damit aufhören, existenzielle Fragen zu verdrängen, wird es uns möglich, auch ohne schmerzhafte Erfahrungen »umzukehren«. Es ist von äußerster Wichtigkeit für das eigene