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Geist & Leben 4/2019


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ihr jetzt als deren lebendiges Grab, dessen Liebe sie aber schon zu Auferstandenen machte. Vielleicht teilte sie damit die Intuition eines anderen Zeugen, Alfred Delp, der mit gefesselten Händen auf ein Stück Papier kritzeln konnte: „Von innen her muss man alles neu beginnen.“4 Von innen her, auch heute noch, wo doch alles nach Ausdruck ruft. Auch bei der Erneuerung der Kirche.

      Mit den Händen ist das so eine Sache. Die sind uns in der Regel nicht gefesselt, aber dennoch oft gebunden durch ein massives Gefühl der Ratlosigkeit, Ohnmacht und Resignation. Wofür legt man schon die Hand ins Feuer? Andererseits vergeht kaum ein Tag, an dem die Gläubigen nicht umworben, eingeladen oder aufgefordert werden, Neuaufbrüche anzupacken und mitzugestalten. „Geh und stell mein Haus wieder her“, hatte Franziskus eines Tages gehört. Doch wissen wir längst, dass ein Neubeginn nicht einfach das Werk eines Einzelnen ist, auch nicht nur das des Papstes, der heute diesen Namen trägt. Dass es im Grunde noch nicht einmal Menschenwerk, sondern Gottes Werk ist, als solches dann aber wieder ein Werk für lange Zeit und viele Hände; ein Werk, das sich einschreibt in eine lebendige Tradition, die nicht mit uns beginnt und auch nicht mit uns untergeht. Es wird uns die Sorge aus dem Herzen genommen, wir müssten alles tun. Ja, wir sollen mit Hand anlegen … doch ohne die Hand auf etwas zu legen, ohne Hand an jemanden oder etwas zu legen: der gierige Griff nach Macht, sei er nun männlich oder weiblich, war Jesus zeitlebens fremd; die Anmaßung, alles im Griff zu haben, entspricht auf keiner Seite der Bibel seinem Weg; die Effizienz der schnellen Gewalt missachtet seine freilassende, frohmachende Botschaft.

      Wer zweifelt noch daran, dass es männliche und weibliche Hände braucht, um die Kirche mithilfe des Geistes aufzurichten? Dort, wo es nicht mehr nur um ein unverbundenes Nebeneinander oder ein unausgesprochenes Gegeneinander geht, da kann eine Berührung geschehen, die nicht zugreift, sondern ein Dazwischen ermöglicht, einen Freiraum, der etwas Kostbares birgt, das uns aufeinander bezieht und zugleich über uns hinausweist. Einen weiten Raum, in dem alle mit ihren brennenden Wunden einen Platz finden, um dort, wie es in einem alten Gebet der Pariser Kathedrale heißt, „Hilfe für die Notleidenden, Unterstützung für die Armen, Trost für die Weinenden, Heilung für die Kranken zu erlangen“. Nur gemeinsam werden wir zu Hüter(inne)n einer Verheißung, die die Erneuerung immer wieder von innen her beginnen lässt. Vielleicht kann man uns auch nur so „anspüren, dass wir aus Geheimnissen leben“.5 Auch dafür gibt es ein Gleichnis. Rodin hat es durch zwei rechte Hände ausgedrückt, eine männliche und eine weibliche Hand, die im Moment der behutsamen Annäherung einen offenen, aber geschützten Raum entstehen lassen. Die Skulptur heißt: „Die Kathedrale“.

      1 Vgl. URL: https://www.humanite.fr/les-passagers-de-la-cathedrale-670994 (Stand: 09.07.2019).

      2 Der Spiegel 17/20. April 2019, 112.

      3 G. von Le Fort, Den zerstörten Domen, in: dies., Gedichte. Wiesbaden 1949, 42.

      4 A. Delp, Kassiber. Frankfurt/M. 1987, 33.

      5 A. Delp, Das Menschenbild der Konstitutionen der Gesellschaft Jesu, in: F. Schulte (Hrsg.), Allen Dingen gewachsen sein. Frankfurt/M. 2005, 260.

       Alfred Wolfsteiner | Schwarzhofen

      geb. 1954, Dipl.-Bibliothekar, ehem. Leiter der Stadtbibliothek Schwandorf, verheiratet

       [email protected]

      „Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“

      P. Augustin Rösch SJ (1893–1961)

      Am 30. September 1944 erschien der folgende Steckbrief in einer Sonderausgabe des „Deutschen Kriminalpolizeiblatts“: „Seit dem 25. August 1944 ist wegen Beteiligung an den Ereignissen am 20. Juli 1944 aus München flüchtig: Rösch, Augustin, geboren am 11. Mai 1893 in Schwandorf in der Oberpfalz, Jesuitenpater und Provinzial der oberdeutschen Provinz der Jesuiten, zuletzt wohnhaft München 22, Kaulbachstraße 31a, Ignatiushaus. Flüchtig seit etwa 25. August 1944, etwa 1,70 m groß, untersetzt, blonde Haare, längliches, schmales Gesicht, leicht vorgebeugte Haltung, spricht hochdeutsch, erweckt den Anschein eines biederen Geschäftsmannes. Trägt mit Vorliebe schwarzen Lodenmantel. Es ist anzunehmen, dass er sich noch innerhalb der Reichsgrenzen aufhält und entweder in Klöstern oder bei kirchlich gebundenen Personen Unterschlupf gefunden hat. Bei Ergreifung absolut sichere Überstellung an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin!“1

      Wer war dieser Augustin Rösch?2 Mit dem kirchlichen Widerstand im Dritten Reich werden heute vor allem Namen wie P. Alfred Delp oder Dietrich Bonhoeffer in Verbindung gebracht. Der Name von Augustin Rösch ist wohl den Wenigsten ein Begriff. Das hängt sicher damit zusammen, dass Rösch den Nationalsozialismus nur durch einen glücklichen Zufall überlebte, denn der oben erwähnte Steckbrief führte schließlich im Januar 1945 zu seiner Verhaftung.

      Erst lange nach seinem Tod, im Jahre 1961, wurde die Bedeutung Röschs für den kirchlichen Widerstand erkannt. Er selbst hat in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum über diese Jahre gesprochen, obwohl er sich als Provinzial der oberdeutschen Ordensprovinz und Vorgesetzter von P. Rupert Mayer und P. Alfred Delp intensiv mit den Nationalsozialisten auseinandersetzen musste. P. Augustin Rösch und sein damaliges Handeln ist zu Unrecht vergessen. Er war zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen Platz.

      Jugend, Noviziat, Soldat (1893–1918)

      Augustin Rösch verlebte im oberpfälzischen Schwandorf als der zweitgeborene „Gustl“ eine behütete Kindheit im Kreis seiner sechs Geschwister. Er schreibt später, er habe das Glück gehabt, „katholische, herzensgute Eltern“ bekommen zu haben. Der unerschütterliche Glaube, den ihm seine Eltern mitgegeben hatten, trug ihn sein ganzes Leben.

      Der Vater, Oberlokomotivführer, ließ sich im Jahre 1900 nach Rosenheim versetzen, um seinen Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Rösch hatte sich während des Besuchs des Rosenheimer Gymnasiums zum Priesterberuf entschlossen und wechselte daher ins bischöfliche Studienseminar nach Freising. Exerzitien während der Sommerferien in Innsbruck brachten ihn mit dem Jesuitenorden in Kontakt. Missionar zu werden war schließlich sein oberstes Ziel.

      Am 14. September 1912 trat Rösch ins Noviziat des Ordens in Feldkirch-Tisis in Vorarlberg ein. Gerne hätten die Novizen zum 100. Jubiläum der Neuerrichtung des Gesellschaft Jesu bereits am 7. August 1914 das erste Gelübde ablegen wollen, da brach am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg aus. Während neun von zehn Novizen in der Musterung die Einstufung „Ersatzreserve für Sanitäter“ bekamen, ging Rösch nicht auf die freistellenden Fangfragen ein und so lautete das Urteil der Musterung: „Gesund, kriegsverwendungsfähig.“ Damit war nach Aussage seines Biographen Roman Bleistein3 eine wichtige Entscheidung für seinen künftigen Lebensweg gefallen: die Erfahrung des Krieges, der mutige Einsatz, die Verantwortung als Offizier für „seine Leute“. Er wird Leutnant, in Fronteinsätzen mehrfach verletzt und mehrfach ausgezeichnet. Für die gefahrvolle, freiwillige Bergung von Verwundeten vor Verdun wird ihm das Tapferkeitsdiplom einer badischen Infanterie-Division verliehen. Roman Bleistein resümiert schließlich über Röschs Erfahrungen im Ersten Weltkrieg: „Damit war für Rösch eine Zeit zu Ende gegangen, in der das Unerschrocken-Kämpferische, ja Wagemutige seines Charakters sich ausprägte und sich auch weiter bestätigt fand. Es wird ihm im Dritten Reich, in den Auseinandersetzungen zu Gute kommen. In seinem Mut, in seinem Ehrbewusstsein, in seinem Gerechtigkeitsgefühl, in seiner Verantwortung für Untergebene wird er immer eines bleiben: ein Offizier.“4 Trotzdem war er offenbar traumatisiert. Er verschwieg in seinen Lebensläufen die kurzzeitige Unterbringung auf einer Nervenstation, seine zeitweiligen Angstgefühle, Menschenscheu, Depressionen, das Zucken und Zittern in den Gliedern.

      Student, Präfekt, Rektor, Provinzial (1919–1935)

      Nach der Demobilisierung begann Rösch das Studium