alle sowohl aktuale wie geistliche Armut zu erdulden, wenn Eure heiligste Majestät mich zu einem solchen Leben und Stand erwählen will.“ (EB 98)
Die geistlichen Erfahrungen der dritten Woche sind nicht einfach eine Fortsetzung der zweiten Woche; sie sind von neuer und vertiefter Qualität und Intensität. Christus, der Herr, wird zum Freund, den man liebt und dem man auf seinem Leidensweg nahe sein will. Jesus teilt seine Leiden mit ihnen; und es besteht eine Art gegenseitiger Offenheit und Verbundenheit. Manche wachsen in der Annahme ihrer eigenen Leiden und nehmen ihre – auch schwere – Lebensgeschichte an. So wie „Auferstehung“ nicht ein fernes Geschehen ist, sondern sich „heute“ ereignet und so wie Auferstehung Christi nicht etwas „nur“ Christus, sondern zugleich auch mich Betreffendes ist, so gilt Gleiches für die Betrachtung der Passionsberichte: Auch die Passion ist nicht nur ein fernes Geschehen vor 2000 Jahren, sondern sie geschieht „heute“. Und Passion ist nicht nur Passion Christi, sondern ich verbinde meine Schmerzen mit seinem Leiden.
Das Geschehen der dritten Woche hat eigentlich seinen Platz gar nicht so sehr in den Exerzitien, sondern mitten im Leben. Nachfolge ist Nachfolge auch des Gekreuzigten. Das gilt nicht nur für eine gewisse Übungszeit, sondern prägt ein Leben immer tiefer und intensiver. „Wach zu werden für die Möglichkeit, dass Gott mich in der Weise, wie es meinem Leben und meinem Auftrag entspricht, in das Mit-Leiden mit Christus einbeziehen will, ist das Anliegen dieser Woche.“1 Die Gebetsweise wandelt sich noch einmal zu tieferer Kontemplation2.
These 4
In der Dynamik der dritten Exerzitienwoche verbindet man die eigene Existenz mit dem leidenden Christus und weicht dem eigenen Leiden nicht aus.
Die christlichen Spiritualitäten unterscheiden sich u.a. darin, welchen Aspekt der Person und des Lebens Jesu sie besonders betonen und in ihren Grundvollzügen des Glaubens akzentuieren. Das Christusbild des Ignatius und der ignatianischen Spiritualität ist stark geprägt von Jesus, der sein Kreuz trägt und hart arbeitet an der – und leidet für die – Erlösung der Welt. Ignatius selber spricht in seiner Autobiographie über eine innere Erfahrung in der Kirche La Storta wenige Kilometer vor den Toren Roms: „Da verspürte er eine solche Umwandlung in seiner Seele und schaute so klar, dass Gott, der Vater, ihn Christus, seinem Sohn, zugesellte, dass er nicht mehr daran zu zweifeln wagte, dass Gott, der Vater, ihm seinen Sohn zugesellte“ (PB 96). Zu dieser Begebenheit erwähnt Diego Lainez, der damals mit Ignatius und Peter Faber unterwegs war, ein wichtiges Detail bei einem Vortrag, den er 1559 den römischen Jesuiten hielt: „(…) es habe ihm [Anm. NB: Ignatius] geschienen, als ob er Christus mit dem Kreuz auf den Schultern sehe und daneben den ewigen Vater, der ihm sagte: ‚Ich will, dass du diesen zu deinem Diener annimmst‘, und so nahm Jesu ihn an und sprach: ‚ich will, dass du uns dienst‘.“3
Ignatius von Loyola, der ursprünglich Eneco bzw. Íñigo hieß, hat den Namen „Ignatius“ erst in späteren Jahren angenommen nach dem frühchristlichen Märtyrerbischof Ignatius von Antiochien († 2. Jh.), den er sehr verehrte. Hugo Rahner beschreibt überzeugend den folgenden Zusammenhang: Der frühchristliche Ignatius schreibt in seinem Brief an die Römer: „Jesus, meine Liebe ist gekreuzigt.“ Ignatius von Loyola hat diesen Satz im Flos Sanctorum gelesen, wo er in der Vita des Ignatius von Antiochien steht. Der Satz hat Ignatius sehr beeindruckt, wie auch die Legende, die er ebenso im Flos Sanctorum gelesen hat: dass nämlich die römischen Henker, als sie das Herz des Bischofs Ignatius aufrissen, darin die goldenen Buchstaben „IHS“ fanden. Diesen Namenszug wählte er zum Siegel und Wappen der Gesellschaft Jesu.4 Hier lag wahrscheinlich eine der existentiellen Erfahrungen der dritten Woche in Ignatius‘ eigenem Leben. Franz Meures betont in diesem Zusammenhang: „Oft hört man den Kommentar, die dritte Exerzitienwoche sei die ‚Leidenswoche‘. Das ist nur teilweise richtig, jedenfalls dient sie nicht dazu, sich intensiv mit dem eigenen Leiden zu befassen. In der dritten Woche richtet sich der Exerzitant auf das Leiden Christi, bittet um die Gnade, ‚Schmerz zu empfinden mit dem schmerzerfüllten Christus‘ (EB 203). Es geht um das Mit-Leiden mit Christus, um die Kon-Dolenz, die Sym-Pathie.“5
These 5
Die Gnaden der dritten Woche bestehen darin, dass ich bereit bin, mit dem leidenden Christus mitzugehen, mit ihm mit-zu-leiden. Ich gehe mit ihm mit, weil er mein Freund geworden ist, den ich liebe, und weil es ihm schlecht geht.
In der dritten Woche der Exerzitien wandelt sich die Beziehung zu Jesus Christus auf verschiedene Weise. Einige erfahren dies als den Wandel vom Jünger zum Freund, d.h. aus der Beziehung des Jüngers zum Meister wird die des Freundes von Jesus von Nazaret. Andere sagen: er wird vom Freund zum Liebhaber, oder: in der Verbindung mit Jesus Christus können sie dem Leiden – dem eigenen und dem in der Welt erlebten – mit Frieden begegnen, so dass sie sich nicht von Gott entfernen, sondern im Gegenteil tiefer mit ihm verbinden.
Wer die Übungen der dritten Woche macht, tritt gleichsam in eine Schicksalsgemeinschaft mit Christus ein. Ich teile sein Scheitern in seiner Sendung, die seine Existenz geworden war. Wichtig ist dabei, nicht äußerlich beim physischen Leiden Jesu stehen zu bleiben, sondern sozusagen dessen „Innenseite“ zu sehen: In seiner Sendung ist er gescheitert, seiner Freiheit beraubt, er wird ungerecht behandelt und verspottet, seine Jünger verlassen ihn. Petrus leugnet, ihn zu kennen. Ohnmächtig ist er seinen Feinden ausgeliefert und Spielball politischer Interessen ohne Aussicht auf Rettung, anscheinend von Gott verlassen.6
In der dritten Woche kann die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz abhandenkommen: Es ist alles sinnlos geworden, es lebt nichts mehr in mir, was einmal getragen hat. Das kann so weit gehen, dass ich in mir Vorwurfshaltungen wahrnehme, gefühlskalte Versteinerung, Verzweiflung, Aktionismus, Rebellion und Flucht in Ablenkungen. Ich will die Stunde der „Macht der Finsternis“7 vermeiden und dem Scheitern ausweichen. Mich beschleicht das Gefühl, dass die eigene Lebenswahl ein Irrtum war. Statt mich Christus zuzuwenden, wende ich mich dem eigenen Ich zu.
Etwas holzschnittartig formuliert: In der ersten Woche stirbt mein Egoismus, in der zweiten mein Wunsch nach Selbstverwirklichung ohne Gott, in der dritten Woche die Sehnsucht nach irdischer Lebens- und Sinnerfüllung, und in der vierten Woche stirbt der Wunsch, den Auferstandenen „festhalten“ zu wollen.
These 6
Es geht nicht darum, das Kreuz zu lieben, sondern den Gekreuzigten.
In der Geschichte der Spiritualität sprach man bisweilen von der „Kreuzesliebe“, wo es doch eigentlich um die Liebe zum Gekreuzigten geht. Stefan Kiechle zeigt in einer Analyse des Exerzitienbuches, dass in den Texten zur Lebenswahl das Kreuz nicht vorkommt.8 Man soll keineswegs das Schwerere und Entsagungsvollere wählen. Kriterien für Ignatius sind ausschließlich „Trost“ und „Frucht“. Unter „Trost“ versteht Kiechle ein „Leben in Fülle“ in Beziehung mit sich, mit den Menschen und mit Gott, eine innere Zufriedenheit und Kohärenz, eine Teilnahme am göttlichen Leben, das unser „Lebensfühlen“ übersteigt. Das zweite Kriterium einer guten Lebenswahl, „Frucht“, meint alles, was den Menschen in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen lässt. Diese beiden Kriterien durchdringen sich gegenseitig: was mir zu Trost und Wachstum verhilft, wird auch für andere fruchtbar sein und umgekehrt. Bei mehreren guten Alternativen ist für Ignatius das wichtigste Kriterium das magis: Was lässt mehr Trost und Frucht erwarten?
Allein um des Reiches Gottes, also um etwas Gutem willen, folgten die Jünger Jesus nach. „Das Kreuz soll man ‚nur‘ zu tragen bereit sein – wenn Gott es so will.“9 Bei einer Lebensentscheidung intendiert man nicht Leiden und Verzicht, aber man ist bereit, es zu ertragen, wenn es auf einen zukommt. Auch Jesus am Ölberg hat das Kreuz nicht angestrebt, sondern im Gegenteil Gott gebeten, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, allerdings mit dem Zusatz: „aber nicht, was ich will, sondern was Du willst, soll geschehen“ (Mk 14,36 parr).
These 7
In der Dynamik der dritten (und damit einher auch der vierten) Woche der Exerzitien zu leben, ist nach den Erfahrungen der ersten und zweiten Woche das vertiefende Angebot der ignatianischen Spiritualität für ein Leben in der Nachfolge Christi.
Von der inneren Einstellung her bedeutet „leben in der Dynamik der dritten Woche“