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Geist & Leben 4/2019


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möglichst in der vollen Form von 30 Tagen. Michel de Certeau untersteicht, dass es „kein Christenleben [gibt], in dem eines Tages nicht auch eine ‚Agonie‘, ein Kampf mit Gott, auszutragen wäre. Es gibt da keine Entscheidung, die für Gott getroffen wurde und die eines Tages nicht an Gott selbst Anstoß nehmen würde. Das kann ein Trauerfall, eine Krankheit, ein Ereignis, eine lähmende Schwäche, ein schwer wiegender Absturz usw. sein – und schon ist die Sicherheit in Frage gestellt, die wir meinten, bei Gott und in seinem Willen gefunden zu haben.“10 Eigentlich sei es „normal“, dass jemand, der eine Entscheidung getroffen und seine Berufung gefunden hat, nach der Wahl mehr oder weniger stark von Versuchungen geplagt wird. Und selbst der Frömmste hat keine Sicherheit, dass er im Leben nicht – irdisch betrachtet – scheitern kann.

      These 8

      Ein Leben in der Dynamik der dritten Woche ist eine gute Weise, sich auf den eigenen Tod vorzubereiten.

      Für die erste Übung der dritten Woche legt Ignatius als Betrachtungsgegenstand den Gang Jesu von Bethanien nach Jerusalem zum letzten Abendmahl vor (EB 190). Dabei soll ich u.a. „erwägen, (…) was ich nun für ihn tun und was ich für ihn leiden soll“ (EB 197). Es geht also um das Weiterwachsen durch Leiden. Für Menschen spätestens in der vorgerückten zweiten Lebenshälfte geht es auch sonst in der Lebensgestaltung immer weniger um Festhalten und immer mehr um Loslassen, immer weniger um „Tun“, und immer mehr um „Erleiden“.

      Was der christliche Glaube den Menschen zu bieten hat, das ist „ewiges Leben“ mit Gott und untereinander – nicht mehr und nicht weniger. Im Grunde ist das nur die andere Seite des christlichen Gottesbildes. In dieser Sicht ist Gott in allem mächtig, und ohne ihn ist nichts. Deswegen ist selbst der Tod nicht mächtiger als Gott (vgl. Röm 6,9). Von außerhalb des Glaubens gesehen ist die stärkste Trennlinie in unserer menschlichen Erfahrung die Grenze zwischen Leben und Tod. Im Licht des Glaubens dagegen ist die stärkste Trennlinie eine andere: Ob ich mit Gott verbunden lebe oder ohne ihn und deswegen meine, letztlich auf mich allein gestellt zu sein.

      Wer auf diese Botschaft sein Leben gründet, geht eine intensive Form der Christusbeziehung ein. Dies schließt eine tiefe Gottesbegegnung in Gebet und Meditation ein sowie ein konkretes „Mitgehen“ mit Jesus. Das bedeutet, dass man seine Lebensweise nach dem Vorbild Jesu gestaltet und sein Leben als eine Aufgabe, einen Dienst, eine „Sendung“ versteht. Dieser Weg wird neben großer persönlicher Erfüllung immer auch Elemente des Verzichts enthalten. Und man muss mit der Möglichkeit rechnen, nach irdischen Maßstäben zu scheitern.

      Kein irdisches Scheitern ist dann eine letzte Katastrophe. Meine einzige wirkliche Sorge sollte sein, dass ich aus der Gemeinschaft mit Gott nicht herausfalle. Nur das wäre wirkliches Scheitern, in klassischer theologischer Sprache: die Hölle. Vor dem Sterben keine übermäßige Angst zu haben und sich dem Leben nicht verweigern: eine solche Haltung einzuüben, dafür helfen die Übungen der dritten Exerzitienwoche.

      These 9

      Die dritte und die vierte Woche der Exerzitien gehören eng zusammen. Sie sind – im Bild gesprochen – wie die beiden Seiten einer Münze: die eine Seite gibt es nicht ohne die andere.

      Schon der Textbefund des Exerzitienbuches zeigt: Bei der Bereitung des Schauplatzes zu Beginn der vierten Woche (EB 220) soll ich das Grab Christi sehen und das Haus „unserer Herrin“ (gemeint ist Maria, die Mutter Jesu) mit „dem Zimmer und dem Gebetsraum“. Der erste Tag der vierten Woche scheint zugleich wie der achte Tag der dritten Woche zu sein. In seiner Nomenklatur benutzt Ignatius für die vierte Woche nicht die Bezeichnung „Tag“ oder „Tage“ wie bei den 3 anderen Wochen. Macht man also die Übungen der vierten Exerzitienwoche gleichsam alle am „achten Tag“ der dritten Woche?

      Piet van Breemen erläutert das Gemeinte anhand eines Bildes: „Das Pascha-Geheimnis ist wie ein Tunnel, dessen beide Seiten verbunden sind, so dass man die eine Seite in der Perspektive der anderen sehen kann. Der Auferstandene trägt immer die Merkmale der Kreuzigung und kann nur als verherrlichter Gekreuzigter betrachtet werden. Und der irdische Jesus, besonders der leidende und sterbende, kann nur im Lichte der Auferstehung gläubig wahrgenommen werden. Das ist eben das Spezifische der Inspiration, dass man das ganze Leben Jesu im Licht der Auferstehung sieht und somit auch schon im Leiden Spuren der Herrlichkeit entdeckt. (…) Das Pascha-Geheimnis ist nicht nur exegetisch und dogmatisch von größter Bedeutung, sondern auch psychologisch, da es ja erweist, dass das Leben in der Nachfolge Jesu sinnvoll und fruchtbar ist.“11

      These 10

      Ein Leben in der Dynamik der dritten Woche ist letztlich der Weg Jesu. Es bedeutet, so zu leben und zu sterben, wie Jesus gelebt hat und gestorben ist.

      Als Jesus im Garten von Getsemani verhaftet wird, verlassen ihn alle und fliehen. Petrus verleugnet ihn dreimal und behauptet, ihn überhaupt nicht zu kennen. So verhalten sich die Menschen, die mit ihm den Alltag geteilt haben, die er unterrichtet, mit Vollmacht ausgestattet und in seinem Namen ausgesandt hat, um das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen, und die er seine Freunde nennt. Irdisch betrachtet ist Jesus gescheitert. Aber im Scheitern und Loslassen begegnete er Gott. Diese Hoffnung gehört geradezu zur „Erfolgsgeschichte“ des christlichen Glaubens: dass alles menschliche Scheitern umfangen ist von dieser größeren Zukunft.

      Ignatius von Loyola ermutigt in den Exerzitien dazu, Gott zu suchen und zu finden in allen Lebenssituationen: in Gesundheit und in Krankheit, in Reichtum und in Armut, in Ehre und in Schmach, in einem langen Leben und in einem kurzen. Diesen Weg ging Jesus. Er ist nicht auf der „Sonnenseite“ des Lebens stehen geblieben, sondern ist „hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Wenn die Kirche sich auf einen – irdisch betrachtet – gescheiterten Gründer bezieht, dann nimmt sie Leiden, Tod und Scheitern ganz ernst. Sie erinnert daran, dass man die Augen nicht verschließen muss vor den Abgründen des Lebens. Glaubende Menschen brauchen weder zu verzweifeln noch müssen sie die Abgründe verdrängen. Sie leben wie Jesus aus der Hoffnung, dass sie nicht tiefer fallen können als in die Hände Gottes.

      Wenn jemand meint, für Gott und für seinen spirituellen Weg immer wieder neue Opfer bringen zu müssen, dann kann ein solches Leben letztlich nur scheitern.12 Dagegen ist ein Leben in der Dynamik der dritten Exerzitienwoche ein Leben in der Beziehungszusage Gottes in Jesus Christus: Er opfert sich für mich – nicht ich muss mich für ihn opfern.13

      Jeronimo Nadal, ein Jesuit der ersten Generation, hat das folgendermaßen ausgedrückt: „Dabei, uns selbst zu üben und zu bedenken und zu fühlen, dass wir Jesus Christus nachfolgen, der noch immer sein Kreuz in der kämpfenden Kirche trägt und dem der ewige Vater uns zu Dienern gegeben hat, hilft es, wenn wir ihm mit unserm eigenen Kreuz nachfolgen und von der Welt nicht mehr erwarten, als er erwartet und erhalten hat, nämlich Armut, Schmach, Plage, Schmerz und selbst den Tod, in dem er in vollem Gehorsam und Vollkommenheit in allen Tugenden die Sendung ausführte, für die Gott ihn in die Welt gesandt hatte, und die darin bestand, die Seelen zu retten und vollkommen zu machen. Aber unser Kreuz ist auch unsere Freude, denn es hat bereits etwas von dem Glanz und der Herrlichkeit des Sieges Jesu über den Tod, seine Auferstehung und seinen Aufstieg zum Vater an sich.“14

      Eine Bemerkung am Schluss: Um ein Leben in der Dynamik der dritten Exerzitienwoche führen zu können, muss man nicht große Exerzitien gemacht haben. Das Anliegen, in eine Nachfolge Jesu „unter erschwerten Bedingungen“ hineinzuwachsen, ist allgemein-glaubensbiographisch von Relevanz, nicht nur im Rahmen von Exerzitien oder auf dem Weg der ignatianischen Spiritualität.

      1 K. Johne, Geistlicher Übungsweg für den Alltag. Berlin 21989, 244.

      2 So z.B. W. Peters, The Spiritual Exercises of St. Ignatius. Exposition and Interpretation. Rom 1980, 130–134.

      3 Zit. n. J. Stierli, Ignatius von Loyola. Gott suchen in allen Dingen. Olten 1981, 53.

      4 Nachweis bei H. Rahner, Ignatius von Loyola und das geschichtliche Werden seiner Frömmigkeit. Graz – Salzburg – Wien 21949, 67.

      5 Zit. n. W. Mückstein, Damit die Wunde zur Perle werden kann, in: KorrSpirEx 113 (2018), 50.

      6 Vgl. A. Lefrank,