war die unermüdliche Helferin in der Gemeinde und im Pfarrhaus, an der Seite ihres Mannes. Wie dies Joris und Witzig zeigten, kann die Pfarrfrau als Mittelpunkt des Pfarrhauses gesehen werden: «In einem Pfarrhaus ohne Pfarrfrau fehlt nichts als die Hauptsache, und will es einen oft fast bedünken, es sehe so ein armes Haus aus wie ein Gesicht ohne Augen.»94
Die Allround-Aufgabe als Organisatorin, Pflegerin, Mutter, Haushaltsvorsteherin und Gehilfin im Schatten des Mannes wurde selbstverständlich vorausgesetzt und erwartet.95 Gleichzeitig schien es aber klar, dass, wer die Aufgabe bewältigte, eine ausserordentliche Leistung erbrachte. Das Lob Johannes Schnyders war insofern eine echte Bewunderung, wie die junge Frau ihre vielen Aufgaben «still und fröhlich» zu erledigen verstand.
«Im Pfarrhaushalt war Innen- und Aussenwelt nicht scharf getrennt; das Pfarrhaus war Wohn- und Amtshaus zugleich, öffentliche und private Sphäre flossen ineinander. Es behielt viele der Merkmale eines ‹Ganzen Hauses›, da alle Mitwohnenden in die dem Pfarrer zugeordneten Funktionen einbezogen waren. Vikare lebten in der Regel im Pfarrhaus und es gehörte zum Pflichtenbereich der Pfarrfrau, ihren Mann in seinen Aufgaben zu unterstützen.»96 Die für die bürgerliche Gesellschaft vorbildliche christliche Pfarrersfamilie lebte im Grunde genommen ein aussterbendes Modell: Der Mann und die Frau arbeiteten in einer Gemeinschaft unter einem Dach. Seine Stellung verlangte zugleich ihre Mitarbeit, ein dem bürgerlichen Ehemodell fremdes Muster. «Trotz der Unterschiede zwischen dem älteren Typus der bürgerlichen Familie, wie ihn der Pfarrhaushalt repräsentierte, und dem neueren Typus der Familie des sich konstituierenden ländlichen Bürgertums gab es schichtbedingte Ähnlichkeiten und gesellschaftliche Beziehungen zwischen diesen Familien. Wir finden Gemeinsamkeiten im Bezug auf die Ausbildung der Töchter, die akademische Berufsperspektive der Söhne, die Formen der Eheeinleitung, die Betreuung von Schwangerschaft und Geburt durch Ärzte statt Hebammen, die Tätigkeit der Frauen in der Öffentlichkeit, die Verantwortung der wirtschaftlich bedeutenden Männer und des Pfarrers in den lokalen Behörden.»97
Die Rolle, die die Pfarrersfrau und deren Töchter im Pfarrhaus spielten, war nicht ganz einfach. Denn sie mussten einem Ideal entsprechen, das den privaten Raum zum weiblichen Raum bestimmte, gleichzeitig waren sie aber immer auch öffentlich tätig. Als Vorbilder für eine bürgerliche Lebensführung waren sie im gläsernen Haus in ihrem privaten Leben ausgestellt. Sie lebten öffentlich und waren öffentliche Personen im eigentlich heiligen, privaten, häuslichen Umfeld. Ihre Aufgabe war es, den weiblichen Auftritt perfekt zu inszenieren.
So wird denn aus der oben zitierten Charakteristik von Sophie ihr Handeln mit lauter weiblichen Tugenden verbunden: sie war ernst und fröhlich, mild, herzlich und freundlich. Das Bild, das Johannes Schnyder von Sophie malte, entsprach ganz den Vorstellungen von Weiblichkeit, insbesondere derjenigen der Pfarrfrau. «Die Verknüpfung von Wohltätigkeit, Caritas im christlichen Sinn, Mütterlichkeit und Pflichten im Haushalt führen letztlich zu einem Konzept, das im Falle der Pfarrfrau mit ihren Pflichten in der Gemeinde besonderen Belastungen ausgesetzt ist.»98 Die mit diesen sanften Mitteln Wirkende hatte, fast dauernd schwanger, nebst ihren Kindern auch die ihm Haus weilenden Besuche zu versorgen, und nebst der Pflege von Kranken in der Gemeinde musste sie die Mägde anweisen. Eine oft schwierige Aufgabe, die von ihrem Mann als «Kreuz» dargestellt wurde, vor allem da Sophie Schnyder auch die «unedlen» Mägde «zurechtbringen» wollte. Das «Zurechtbringen» von «unedlen Mägden» habe sie als Probe verstanden, die ihr «von Gott zugewiesen» wurde.99 Dass sie nicht nur Sanftmut, sondern auch eine grosse Portion an Strenge und Autorität aufbringen konnte, wenn sie Dienstpersonal auf den rechten Weg bringen wollte (anstatt es zu entlassen), kann nur geahnt werden. Falls dem so wäre, liesse die Sprache Johannes Schnyders die starke und autoritäre Pfarrfrau an seiner Seite nicht zu.
DIE KINDER SIND EINE VON GOTT ZUGEWIESENE AUFGABE
Ein Jahr nach der Heirat kam das erste Kind zur Welt, dann in kurzer Folge vier weitere. «Ihre Kinder waren ihr von Anfang an nicht niedliches Spielzeug, sondern eine grosse, von Gott angewiesene Aufgabe.»100 Die Aufgabe bestand darin, die Kinder nach christlichem Vorbild und gemäss den seit Beginn des 19. Jahrhunderts propagierten Erziehungsmaximen zu formen. Wie schon weiter oben beschrieben, waren die Pfarrerskinder in besonderem Mass den Normvorschriften der bürgerlichen und der reformierten Gesellschaft verpflichtet. «Selbstbeherrschung, Selbstüberwindung und Kontrolle der eigenen Sinnlichkeit galten als Voraussetzung zum Erlernen des bürgerlichen Tugendkanons. [...] Sie waren im bürgerlichen Milieu traditionell verankert. Strenge Pflichterfüllung und Sparsamkeit galten [...] in Anlehnung an die reformatorischen Arbeitsgebote und Luxusverbote als konstitutiv. [...] Dieses Erziehungsideal setzte Eltern voraus, welche aus innerer Überzeugung und nicht nur aufgrund materieller Notwendigkeit die Charakterstruktur ihrer Kinder formten. Nicht äussere Gewalt sollte die Kinder zum gewünschten Verhalten zwingen, sondern der verinnerlichte Normenkanon respektive das eigene gute oder schlechte Gewissen.»101 So waren die Selbstspiegelung und die Selbstbefragung im Gebet für die Kinder wichtig. Diese Erziehungsmaximen waren der jungen Mutter bekannt und vertraut. Wichtigste Voraussetzung war das leuchtende Vorbild der Mutter.102 Die Mutter musste also nicht nur die Kinder versorgen und sie vor allem Schädlichen bewahren, sondern auch ihre geistigen und geistlichen Fähigkeiten fördern.103 Ihr eigenes vorbildliches Leben allein aber genügte nicht. Erzählungen, Sprüche, Gebete und Lieder waren als Hilfsmittel, nebst Strafen, von unschätzbarem Wert. Die Kinder konnten nicht früh genug in die Glaubenswelt, die zugleich Vorbild und Gebot war, eingeführt werden. Gerade Geschichten waren dazu besonders geeignet. Sophie wusste vortrefflich zu erzählen, sodass ihre Kinder, wie Johannes Schnyder betonte, in der Welt der Bibel heimisch waren, die Gestalten des Joseph, Moses, Samuel vor ihren Augen lebten und ihnen Vorbilder waren: «Mit unwahrscheinlicher Kindlichkeit redete sie besonders vom ‹Heiland› so natürlich, so herzlich und vertrauend, so fern von aller gemachten Süsslichkeit. Aber auch andere Geschichten wusste sie in reichem Vorrat und sammelte sie neu zum Besten der geschichtenhungrigen Kinder. Manchmal sass ich dabei und hörte mit Verwunderung und Erbauung der Erzählerin zu; denn mit zarter Detailmalerei und fast ohne moralische Nutzanwendung verstand sie zu schildern, dass ich sehr wohl begriff, warum dies die Kinder so fesselte und wie gerade an diesem Erzählen eine erziehende Kraft lag.»104
20 Sophie Schnyder-Peyer, um 1875.
Wichtig waren die mütterliche Natürlichkeit und eine kindliche Art kombiniert mit der Fähigkeit, kunstvoll zu erzählen.105 Die vorbildliche Mutter schöpfte in den Erzählungen weiterer Vorbilder die Wirkungsmacht der religiösen Geschichten erzieherisch aus. Diese Fähigkeit war durchaus mit Vorwissen und Vorbereitung verbunden, denn die Mutter «sammelte» einen Vorrat an Geschichten. Die Überzeugung, dass etwas für Kopf und Herz sein müsse, damit es dem Kind einleuchte, war mit den Schriften Pestalozzis in bürgerlichen Häusern längst eingegangen. Johannes Schnyder, der selbst keine solche Jugend erlebt hatte und sich die Geschichten beim Lesen der Bibel selbst aneignen musste, schätzte die Fähigkeit seiner Gattin besonders. Es ist durchaus möglich, dass ihre Erziehungsformen auch für sein eigenes Schaffen Vorbildcharakter hatten.
Die Bildung von Sophie Schnyder-Peyer und ihre Herkunft waren wichtige Faktoren bei der Erziehung der Kinder. Ihr früher Tod lässt ihr Bild sehr ungenau, ihr ältester Sohn war sieben Jahre alt, als sie starb. Dadurch bleiben die fortwährenden Geburten die strukturierenden Ereignisse der Ehe von Sophie und Johannes. Die Darstellungen der Ehe von Sophie Peyer und Johannes Schnyder sind durchgehend ideal, fast modellhaft. Zu diesem engen partnerschaftlichen Verhältnis mag zusätzlich die soziokulturelle Stellung der Pfarrleute innerhalb der Gemeinde beigetragen haben. Ohne Verwurzelung in der Dorfgemeinschaft, waren die Pfarrleute oft aufeinander angewiesen. Die Beziehung im Pfarrhaus war, obwohl in einem fast öffentlichen Raum, gleichzeitig geprägt von Häuslichkeit und gefühlsbetonten Beziehungen. Dies wurde durch das Berufsmodell des evangelischen Pfarrhauses besonders gefördert: Partnerschaftliche Gespräche prägten das Verhältnis zwischen Pfarrfrau und Pfarrherrn. Sie war ihm nicht nur Gattin und Mutter seiner