festgehalten, dass Frau Pfarrer Schnyder von 1894 bis 1906 das Amt der Präsidentin des Frauen-Arbeitsvereins bekleidete. Der «zum Zweck der Wohlfahrt und Erziehung von Arbeiterfrauen» gegründete Verein entsprach den im ausgehenden 19. Jahrhundert vermehrt aufkommenden Bestrebungen bürgerlicher Wohlfahrtseinrichtungen, Arbeiterinnen durch Nähkurse, Haushaltskunde und Hygiene Anweisungen für eine gute Haushaltsführung zu geben.158 Wie sie in ihrem Amt von den Frauen in Bischofszell verstanden wurde, beschrieb die Dichterin des 1898 verfassten Jubiläumspoems an die Präsidentin:
«Beim festlichen Anlasse, der uns zusammenführt,
Wohl hohe Anerkennung der Präsidentin heut gebührt.
Wie hat sie mit Gewissenhaftigkeit
Zur Zeit den Jahresbericht bereit,
Er athmet soviel Lieb und Herzlichkeit
drum sei ihr inniger Dank geweiht
Sie kennt wohl am Besten die Not der Armen
Sie suchen ja im Pfarrhaus Erbarmen
Drum ist ihr Herz so gerne dabei
Dass doch die Not gelindert sei.
Möge Gott ihr treues Wirken
Vor jedem Missgeschick behüten
u. stets auf ihrem edlen Thun
Der reichste Gottessegen ruhn.»159
Die erste Aufgabe der Präsidentin war es, den Jahresbericht pünktlich abzugeben. Auf diesen bezieht sich auch die Liebe und Herzlichkeit der Pfarrfrau. Dagegen wird etwas vage davon ausgegangen, dass die Pfarrfrau die «Not der Armen», die im Pfarrhaus um Hilfe suchten, «wohl» am besten kennen müsse. Ihre Aufgabe verstand man darin, Not zu lindern. In den Familienquellen wird nicht klar, wie Caroline in der Gemeinde Bischofszell waltete. Aufgaben wie die des Amtes der Präsidentin des Frauen-Arbeitsvereins gehörten zum Berufsprofil der Pfarrfrau. Die zu diesem Zeitpunkt mit einem Baby, drei Kindern unter zehn Jahren und mehreren Jugendlichen beschäftigte Mutter, die im Pfarrhaus nicht nur den Haushalt zu organisieren, sondern auch seelsorgerische Auffangstation des Städtchens zu sein hatte, musste verschiedene solche Ämter bekleidet haben. Im Nekrolog Carolines findet sich kein einziger Hinweis auf ihre wohltätigen Ämter. Das mutet eigenartig an, vor allem, da sie über den Tod ihres Mannes hinaus das Amt der Präsidentin des nicht unbedeutenden Frauenvereins bekleidete.
24 Caroline Schnyder-Wyttenbach, um 1930.
So bleibt das Bild der begnadeten Pädagogin und liebenden Mutter in allen Familiendarstellungen eigenartig rein von pfarrfraulichen Beschäftigungen, ihr Arbeitsumfeld wurde erst nach genauem und mehrmaligem Lesen der Quellen und unter Einbezug familienexterner Quellen sichtbar. Ob dies daran lag, dass Caroline Schnyder-Wyttenbachs Aufgabe als Pfarrfrau mit dem frühen Tod des Gatten endete? Zehn Jahre ihres Lebens war sie Lehrerin, 20 Jahre wirkte sie als Pfarrfrau und Mutter, 30 Jahre lang war sie Mutter und blieb die verwitwete Frau Pfarrer im Städtchen.
Der Tod Johannes Schnyders 1901 rief für die Familie, im Besonderen aber für Caroline eine existenzielle Krise hervor. Die Amtswohnung musste aufgegeben werden, das Einkommen wurde schmal, der Status als öffentliche Figur in einem öffentlichen Amt – dem der Pfarrfrau – endete offiziell durch den Tod des Gatten. Da das Pfarrhaus direkt mit dem Amt des Pfarrers zusammenhing, musste es mit dem Tod des Pfarrers für den nächsten Beamten frei gemacht werden. Dies bedeutete für die Familie einen aufwändigen Umzug: Zum Haushalt gehörten die Kinder Walter, 4-jährig, Paula, 10-jährig, Gertrud, 12-jährig, Karl, 13-jährig, Martha, 14-jährig, Rosa, 16-jährig, und Lilly, die 27-jährige Lehrerin. Zusätzlich im Haus wohnten Tante Julie, Meieli, die Köchin sowie ein Zimmermädchen. Das waren elf Personen, sechs Kinder, drei erwachsene Frauen und zwei Hausangestellte. Dieser grosse Haushalt zog nun in eine Mietwohnung. Als «männliche Stütze» übernahm Hans in Bischofszell das Amt des Posthalters.160 Das Hauswesen Carolines, zeitweise unterstützt durch ihre Schwester Rosa, war ein von Frauen bestimmter Raum. Die erwachsenen Töchter, von welchen regelmässig zwei bis drei zu Hause weilten, unterstützen das Bild eines fast ausschliesslich durch Frauen geprägten Haushaltes.
Caroline Schnyder blieb in engem Kontakt mit der neuen Pfarrfamilie und wurde weiterhin von vielen Bischofszellern als «Frau Pfarrer Schnyder» für Rat und seelsorgerische Hilfeleistungen gefragt. In ihrer Wohnung führten die Töchter Turnstunden für Arbeiterinnen durch,161 hier auch wurden Weiterbildungskurse angeboten. Obwohl der Tod ihres Mannes den Verlust des prestigeträchtigen Hauses bedeutete, blieb Caroline Schnyder selbst eine Respektsperson.
GEBURT UND TOD ALS MASSGEBENDE ERLEBNISSE
Die beiden Frauen von Johannes Schnyder brachten sechs respektive acht Kinder zur Welt. Geburten waren für sie prägende und einschneidende Erlebnisse. Die Geburt war freudiges Ereignis und bedrohliche Situation zugleich. Geburt und Tod lagen als Erfahrungen eng beieinander, wie es die Folge der Wochenbetten von Sophie Schnyder in der Beschreibung ihres Mannes sichtbar macht: «Segenszeiten ganz besonderer Art waren für uns beide ihre zwei langen Krankheiten vom April bis im Juli 1875 nach der Geburt Hedwigs und wieder von Hans. Beide Male war sie am Rand des Grabes, von den Ärzten aufgegeben, beide Male empfing ich sie von den Toten wieder aus der Hand Gottes, der da hilft und auch vom Tode errettet. Wir hättens nicht für möglich gehalten, dass wir uns lieber gewinnen könnten und doch kam in dieser Trübsal noch ein innigeres Zusammenleben als je zuvor zu Stande und verlebten wir in der Züchtigung selige Stunden, an die wir uns später nie anders als mit Freude und Dank erinnerten. [...] Entgegen der bestimmten Aussage der Ärzte wurde sie wieder völlig gesund und war überglücklich, als ihr ein zweiter, so recht gesunder Knabe, Hans, geschenkt wurde, am 29. August 1877, dessen liebliches Aufblühen und dessen herzliche Fröhlichkeit waren ihr unendlich viel Freude.»162
Betrachten wir die Zeitspanne von Sophies und Johannes’ Ehe, um die schnelle Folge der Geburten sichtbar zu machen: Nach der Hochzeit 1872 wurde die junge Pfarrfrau bald schwanger und brachte 1873 Ernst zur Welt, nur ein Jahr später die Tochter Lilly und noch einmal ein Jahr später, 1875, Hedwig. Von dieser Geburt erholte sich Sophie nur schwer. Nach drei Jahren fast dauernder Schwangerschaft wurde ihr nun eine Pause von einem Jahr gegönnt, bevor sie wieder schwanger wurde und 1877 Hans gebar, nach dessen Geburt die nun 33-jährige Frau wieder knapp dem Tod entrann. Interessant ist, dass die Beziehung der Mutter zu ihrem Sohn Hans im Zusammenhang mit ihrer schweren Krankheit besonders betont wurde. Die Berichterstattung des Gatten hebt generell vor allem die Geburten der Söhne hervor. Die lange Reihe von Geburten wurde nur durch die schwere und lange Krankheit Sophies unterbrochen. Mit der von Johannes Schnyder als «Züchtigung» beschriebenen Prüfung, die im pietistischen Sprachverständnis die Prüfung Gottes meinte, die dem jungen Paar auferlegt wurde und durch welche sie sich noch näher kamen, mag auch ganz direkt die Züchtigung der körperlichen Lüste gemeint gewesen sein. Ehe und Fortpflanzung bildeten im bürgerlichen Kontext gottgegebene Gesetze, die untrennbar verbunden waren. Eine Pause von einem Jahr, die Sophie auch nach dem langen und problematischen Wochenbett von Hans nötig gehabt hätte, wäre einem Entgegenkommen des Mannes gleichgekommen, der seine Triebe in dieser Zeit hätte zügeln müssen.163 Von Sophies Bindung zu diesem fünften Kind, dem dritten Mädchen, das nur ein Jahr nach Hans zur Welt kam und dessen Geburt offensichtlich unproblematisch verlief, wird in den Quellen des Vaters gar nichts erwähnt. Die Quellen, auf die ich mich hier wie auch im Folgenden hauptsächlich stütze, sind die Aufzeichnungen Johannes Schnyders sowie die des Sohnes Ernst Schnyder, da sich keine schriftlichen Quellen der Frauen zu diesem Thema finden. Aus den Quellen werden das Leben, die Geburten und der Tod der Frau und Mutter sichtbar, wie sie der Gatte und der Sohn darstellten.
GEBURTEN
«Doch war sie oft recht in Sorgen wegen des bevorstehenden Wochenbetts und durchzuckten auffällige Todesahnungen ihre Seele: ‹Mama, wenn gohsch du ins Chilegräbeli?›