Thomas Buomberger

Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990


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des Materials käme aus Moskau. Die Bundesanwaltschaft warnte: «Es darf jedoch nicht ausser acht gelassen werden, dass die Masseneinfuhr von kommunistischem Propagandamaterial eine Infiltration und Zersetzung der ideologischen und staatsrechtlichen Grundlagen unseres Landes bewirkt und damit geeignet ist, die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden. Insofern wirkt die Masseneinfuhr von kommunistischem Propagandamaterial als solche gefährdend, ganz unabhängig von der Beurteilung des Inhaltes der einzelnen Schrift.»

      Das meiste Material wurde über den Literaturvertrieb der PdA importiert, den Edgar Woog führte. Damit betreibe eine «schweizerisch aufgezogene Partei […] die Propaganda des Auslandes». Der Bericht enthält eine Liste von 150 beschlagnahmten Sendungen, darunter etwa die Neue Zeit, Jeunesse du Monde, Cahiers du Communisme und etliche andere. Die Bundesanwaltschaft stellte dem Bundesrat den Antrag, diese und verschiedene andere Publikationen beschlagnahmen zu dürfen. Das EPD stellte sich aber quer, weil aus rechtlichen Gründen der Inhalt jeder Schrift geprüft werden müsste, und fragte, ob diese Schriften wirklich die innere und äussere Sicherheit gefährden würden. «In innenpolitischer Beziehung ist zunächst festzustellen, dass das Schweizervolk der kommunistischen Propaganda des Auslandes bisher wenig Gehör geschenkt hat. Den Beweis dafür haben die jüngsten Wahlen erbracht, die für die Partei der Arbeit eindeutige Niederlagen waren. Man muss sich unter diesen Umständen fragen, ob es der PdA nicht geradezu willkommen wäre, wenn die Behörden gegen ihre ausländische Parteiliteratur einschreiten würden.» Komplikationen hätten sich immer aus der Beschlagnahmung ergeben. «Es ist für uns international gesehen stets von Vorteil gewesen, dass wir uns allseitig auf unsere liberale Haltung berufen […]», führt das EPD aus, das auch in den kältesten Zeiten des Kalten Kriegs einen rationalen, unaufgeregten Kurs fuhr und sich von der oft hysterischen Volksmeinung wenig beeinflussen liess. Das EPD warnte vor Retorsionsmassnahmen und meinte, dass mit einem Verbot auch die Einfuhr von Schweizer Zeitungen in die Sowjetunion verboten werden könnte, wo doch für die dortigen Machthaber die Einfuhr der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) wesentlich gefährlicher erscheinen müsse als der Import kommunistischer Literatur in die Schweiz.

      Eine wesentlich repressivere Haltung nahm das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ein, was sich zum Beispiel in Redeverboten für ausländische Politiker ausdrückte. Dabei zeigte sich ein Gegensatz zwischen der meist restriktiven Deutschschweiz und der liberalen Romandie, der sich im Kalten Krieg bei vielen Gelegenheiten manifestierte. Eine unterschiedliche Praxis zwischen EJPD und dem Kanton Genf zeigte sich im Fall des früheren französischen Ministers Pierre Cot, der in den 1930er-Jahren ein führender Kriegsgegner war, klandestine Unterstützung für die spanischen Republikaner organisierte, während des Kriegs an der amerikanischen Eliteuniversität Yale unterrichtete und 1945 Abgeordneter der Republikaner im französischen Parlament war. Er wollte 1949 zum Thema «Défense de la Paix» in Genf sprechen. Die Genfer Behörden hatten eine Bewilligung erteilt, das EJPD war dagegen. Dieses argumentierte: «Es besteht kein Zweifel, dass die vorgesehene Versammlung zu einer kommunistischen Propagandaveranstaltung wird, an der der ebenfalls linksextremistisch eingestellte Franzose Cot sprechen soll. Weiter ist nicht zu übersehen, dass trotz des harmlos aussehenden Themas ‹Défense de la Paix› in einseitig parteipolitischem Sinne Propaganda gemacht werden soll.» Und weiter: «In der heutigen Lage zwischen ‹Frieden und Krieg› haben sich extremistisch eingestellte Ausländer jeder politischen Tätigkeit in der Schweiz zu enthalten.»38

      Auf Einladung der PdA der Kantone Genf, Waadt und Neuenburg hätte der französische General Ernest Petit im Herbst 1949 referieren sollen. Petit war 1940/41 Chef des Generalstabs von Charles de Gaulle gewesen, 1941 bis 1945 französischer Militärattaché. Er war nicht Mitglied der KPF, doch für die Bundesanwaltschaft war er ein «membre clandestin du parti», weil er Mitglied der Militärkommission der KPF war, die eine «der gefährlichsten Organisationen der Kommunistischen Partei Frankreichs» sei. Im Gegensatz zu den Waadtländer Behörden verbot das EJPD den Vortrag mit folgender Begründung: «Nach den Erfahrungen, die mit fremden Kommunisten gemacht wurden, muss erwartet werden, dass nicht ein objektiv gehaltener Vortrag über die Sowjetunion oder Moskau geplant ist, sondern eine politische Demonstration, an der an öffentlichen Versammlungen für den Kommunismus Propaganda gemacht werden soll. Eine derartige Tätigkeit kann jedoch dem Ausländer auf Schweizerboden in der heutigen Zeit nicht gestattet werden. Die gefährlichen internationalen Spannungen, der Zustand zwischen Frieden und Krieg, verlangen eine verschärfte Handhabung des Staatsschutzes.»39

      Die Bewilligungspflicht für Reden von nicht niedergelassenen Ausländern, die jahrzehntelang in Kraft blieb, wurde am 24. Februar 1948 vom Bundesrat erlassen. Bewilligungsbehörden waren die kantonalen Instanzen, letztlich das EJPD, was eine einheitliche Praxis schwierig machte. Wie ernst das Thema genommen wurde, zeigte sich in der 30-seitigen Antwort von Bundesrat von Steiger auf eine Interpellation zu Redeverboten. Eine Bewilligung werde erteilt, so schrieb er, «wenn ein Ausländer, welcher ein Land kennt, über ein dieses Land betreffendes Thema als qualifizierter Redner objektiv und nicht im Sinne einer einseitigen politischen Demonstration spreche […]».40 Diese Definition Steigers bedeutete in der Praxis, dass ein Kommunist grundsätzlich nicht objektiv sein konnte. Zu seiner restriktiven Haltung gelangte der Bundesrat offenbar, weil sich Gesuche häuften. «Zu Beginn des Jahres 1950 gelangte eine ganze Reihe ausländischer Redner der linksextremistischen kommunistischen Richtung mit Gesuchen an die kantonalen Regierungen. Hier ging es offensichtlich um eine wohlvorbereitete Offensive.» Deshalb beschloss der Bundesrat im Februar 1950, «ausländischen extremistischen Rednern bis auf weiteres» keine Bewilligung mehr zu erteilen. Weil daraufhin weniger Gesuche eingereicht wurden, lockerte der Bundesrat die Bestimmungen etwas, zum Missfallen der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Fraktionen im Parlament. In einer gemeinsamen Erklärung forderten sie den Bundesrat auf, «die bestehenden Staatsschutzbestimmungen gegen staatsfeindliche Umtriebe auf keinen Fall zu lockern, sondern wachsam und entschieden anzuwenden».

      Hielten sich linke Organisationen an die Vorschriften und stellten Redegesuche, so kümmerte sich die Swiss American Society for Cultural Relations wenig um die Auflagen. Sie lud – ohne ein Gesuch zu stellen – den amerikanischen General William J. Donovon, der während des Kriegs oberster Chef des Nachrichtendienstes der Armee (OSS) gewesen war, zu einem Vortrag ein. Dem Bundesrat missfiel dies, ohne dass es Konsequenzen gehabt hätte: «Der Bundesrat hätte es vorgezogen, wenn man von einem solchen Vortrag Umgang genommen hätte. […] Es ist zur Genüge bekannt, wie intensiv und geschickt während des zweiten Weltkriegs der Nachrichtendienst der Vereinigten Staaten auf dem Gebiete der Schweiz gearbeitet hat. Richtete er sich auch nicht gegen die Unabhängigkeit der Schweiz, so war es zum mindesten wirtschaftlicher Nachrichtendienst zu Gunsten eines fremden Staates. Beides ist durch unsere Gesetzgebung verboten.»41

      Zwischen 1938 und 1948 wurden vier sogenannte Demokratieschutzverordnungen erlassen, die sich nach dem Krieg fast ausschliesslich gegen Kommunisten und Linksextremisten richteten. Während die Strafdrohung beim Kommunistenverbot bis zu drei Jahre Gefängnis und 5000 Franken Busse betrug, reichten die Sanktionen bei rechtsextremen Parteien nur bis drei Monate Gefängnis und 2000 Franken Busse, was eine blosse Übertretung war.42 Bei der 1950 erfolgten Revision der Demokratieschutzverordnung stimmten nur die Vertreter der PdA sowie zwei Nationalräte des Landesrings der Unabhängigen (LdU) dagegen. LdU-Vertreter Erwin Jäckle argumentierte, dass jede Staatsschutzgesetzgebung nichts anderes sei als eine nationalsozialistische Gesetzgebung mit umgekehrten Vorzeichen.43

      Anders als nach dem Ersten Weltkrieg hörte man nach dem Zweiten die Parole «Nie wieder Krieg!» nicht, und man rüstete auch nicht ab. Im Gegenteil: Der Kalte Krieg mobilisierte massive Investitionen in die Rüstung. Doch wie sollte sich ein neutraler Staat verhalten, dessen Armee sich nicht bewähren musste? Die Schweizer Armee war in einer Orientierungskrise, die sich schon während des Kriegs abgezeichnet hatte und die in einen Konzeptionsstreit mündete, der erst 1966 beendet wurde. Zwar konnten sich die Militärs nicht über zu wenige Mittel beklagen, fuhr doch die Schweiz ihre Rüstungsausgaben stark hoch. Von 1949 bis 1952 erhöhten sich die Militärausgaben von 478 auf 880 Millionen Franken, was 40 Prozent der Staatsausgaben ausmachte.44 Doch wie auf das neue Feindbild, die Sowjetunion, reagieren? Eine