Thomas Buomberger

Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990


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Nazi-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht und die Sowjetunion vor dem Zusammenbruch stand, sagte Werner Balsiger, Chef der Bundespolizei: «Die kommunistische Bewegung ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr, nicht nur im Zusammenhang mit der internationalen Lage, sondern auch rein intern. […] Ich empfehle Ihnen daher dringend, den Linksextremisten alle Aufmerksamkeit zu schenken und mit allen Mitteln danach zu trachten, sie unschädlich zu machen.» Paradoxerweise hielt der Chef der Bundespolizei aber bei Kriegsende im Gegensatz zu vielen bürgerlichen Politikern die Gefährdung durch den Linksextremismus für gering. Auch Bundesanwalt Franz Stämpfli empfahl Ende 1944 dem Bundesrat, die PdA nicht zu verbieten, weil eine offen agierende Partei besser zu kontrollieren sei. Der Beitrag der Sowjetunion im Kampf gegen den Nationalsozialismus hatte die Perspektive für die Kommunisten im positiven Sinn, wenn auch nicht für lange, verändert.

      Den Umsturz in der Tschechoslowakei 1948 nahm der Staatsschutz zum Anlass, seine Praxis gegenüber «Linksextremisten» radikal zu verschärfen. Mitglieder und Sympathisanten der PdA wurden nun systematisch registriert. Zwar wurde immer wieder betont, dass die PdA zahlenmässig schwach sei und sich friedlich zeige (der Mitgliederbestand fiel von etwa 20 000 bei Kriegsende auf 3500 Ende der 1950er-Jahre), doch weil sie als Kaderpartei so gut organisiert sei, sei sie umso gefährlicher. Dieser Zirkelschluss legitimierte die systematische Erfassung und Registrierung (Fichierung) all derjenigen, von denen der Staatsschutz glaubte, sie seien Kommunisten, wobei er in der Definition unzimperlich und in der Sammelwut ausufernd war. Die Extremistenkartei beim Staatsschutz, die von 1950 bis 1972 als «Verdächtigtenkartei» geführt wurde, bestand am Schluss aus 10 000 Namen.32

      Kommunisten standen unter Dauerbeobachtung. Der Buchhändler Theo Pinkus, einer der führenden Köpfe der PdA, hatte die umfangreichste Fiche aller Überwachten, sie füllte 240 Bundesordner.33 Es finden sich zu Pinkus auch unzählige Telefonabhörprotokolle, deren Inhalt kaum je über Alltägliches oder Organisatorisches, etwa zu Reisen, hinausging. Die Fiche des kommunistischen Politikers Emil Arnold umfasst 208 Karten mit 2889 Einträgen. Die meisten stammten von Anfang der 1950er-Jahre, obwohl die Bundespolizei die Kommunisten ab 1950 nicht mehr als Gefahr betrachtete.34 Die Aktivität des Staatsschutzes erreichte unmittelbar nach dem Krieg einen Höhepunkt. Im August 1945 gab es die erstaunliche Zahl von 600 Ermittlungshandlungen. Im Mai 1946 waren es 265, im September 1946 noch 199, und in den Jahren 1951 bis 1953 je etwa 75 pro Jahr. Diese Zahlen gab der Bundesanwalt in einer Erklärung vom März 1954 bekannt.35 Ob die Reduktion der Fälle etwas mit der Ernennung des rechten Sozialdemokraten René Dubois zum Bundesanwalt 1947 zu tun hatte, muss offenbleiben. An der unablässigen Überwachung der Kommunisten änderte das indes nichts.

      Einer von ihnen war Paul Storz. Sein Fall zeigt exemplarisch, wie Kommunisten während Jahrzehnten überwacht wurden, obwohl es während dieser Zeit gegen ihn zu keiner Verurteilung, ja nicht einmal zu einer Anklage wegen landesverräterischen Aktivitäten kam.36 Storz galt innerhalb der PdA Genf als einer der «harten» Genossen. Der 1911 geborene Paul Storz, von Beruf Monteur, kam 1931 nach Genf, wo er sich mit kommunistischer Propaganda bemerkbar machte und deswegen auch entlassen wurde. 1939 wird er in den Genfer Gemeinderat gewählt (allerdings auf der Liste der Nicole-Sozialisten). Ein Bericht der Bundesanwaltschaft von 1953 hatte ihn jedoch bereits seit 1936 als Mitglied der KPS und als «militanten Kommunisten» registriert. 1940 wird Storz verhaftet; die Polizei findet bei ihm 40 Broschüren mit kommunistischer Propaganda und einige Briefe. Ein Jahr später wird er aus dem Gemeinderat entlassen und entwickelt in den Folgejahren eine starke Aktivität im Untergrund und in Genfer Fabriken, was ihn erneut mehrmals ins Gefängnis bringt. 1942 erfolgt der Ausschluss aus der Gewerkschaft SMUV, dem Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverband. 1945 wird Storz Mitglied des Parteivorstands der PdA.

      Selbstverständlich wird auch das Telefon von Storz abgehört, und Inspektor Paul Hartmann von der Bundesanwaltschaft erfährt 1949, dass Storz sich nach Basel zu einer Funktionärsversammlung begeben werde, bei der es um den Aufbau von Betriebsgruppen gehe. Das fiel offenbar nicht ganz leicht, wie eine Aktennotiz des Polizeikommandos Aargau vom 5. Mai 1951 zeigt: «Storz, Paul, von dem angenommen werden musste, dass er mit seiner kommunistischen Propaganda auch die Fa. Brown, Boveri & Co., in Baden durchsetzen sollte, ist hier nicht in Erscheinung getreten. Die Fa. BBC hat unter der Leitung von Personalchef Buser mittelst Vertrauensleuten einen Überwachungsdienst organisiert. Es hat sich gezeigt, dass es den Kommunisten sehr schwer fällt bei BBC Fuss zu fassen.»

      Der Staatsschutz kontrolliert natürlich auch die Post von Storz wegen vermuteter Zuwiderhandlung gegen Art. 275 des Strafgesetzbuches (Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung, staatsgefährliche Propaganda). Einladungen zu Veranstaltungen, an denen Storz referierte, fing der Staatsschutz ebenso ab wie Briefe der sowjetischen Botschaft, der PdA oder persönliche Korrespondenz. Registriert wurden selbstverständlich auch Treffen mit anderen Genossen wie Jean Vincent, Léon Nicole oder Jules Humbert-Droz. Die Genfer Polizei wusste zu berichten, dass er nicht wegen eines politischen Konflikts in die Tschechoslowakei gereist sei, sondern zur medizinischen Behandlung. Er sei nämlich fast taub. Alle seine Ausreisen ins Ausland vermerkt der Staatsschutz. 1953 meldet die Bundesanwaltschaft der Schweizer Gesandtschaft in Wien, dass Storz dorthin gereist sei, und bittet, «weitere Ihnen zur Kenntnis gelangende Feststellungen über Aufenthalte des Storz in Wien» zu machen.

      Ein Grossteil der Meldungen des Staatsschutzes betraf Banalitäten, Alltägliches oder auch Misserfolge der Überwacher wie 1957: «Die uns heute von Hrn. Kom. Meier telefonisch gemeldeten Storz Paul und Magnin Armand, beide Genf, trafen sich nach ihrer Ankunft in Bern um 13.13 mit den PdA-Prominenten Vincent, Bodenmann, Muret und Woog im Buffet SBB. Nach kurzem Aufenthalt begaben sich alle, auf getrenntem Wege, nach dem Rest. Kornhauskeller zu einer Besprechung. Da eine Annäherung an sie nicht möglich war, wurde die Überwachung abgebrochen.» Meist stand in den Einträgen, dass sich Storz und andere Genossen getroffen hatten, doch über den Inhalt der Gespräche konnten die Überwacher nichts eruieren. Weil er so aktiv war, galt er als einer der gefährlichsten Kommunisten. Fazit: Paul Storz mag ein knallharter Stalinist gewesen sein, der agitierte, um Mitglieder für die PdA zu gewinnen. Doch alles, was er tat, erwies sich trotz jahrzehntelanger Sammeltätigkeit des Staatsschutzes als strafrechtlich irrelevant.

      Im Gegensatz zu anderen Ländern hatte die Schweiz mit den Auswüchsen des Kommunismus keine unmittelbare Erfahrung gemacht, sondern nahm eine ideologisch motivierte Abwehrhaltung ein. In Deutschland gab es ebenfalls einen heftigen Antikommunismus, der im Verbot der Kommunistischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 mündete, nachdem die Regierung Adenauer bereits 1951 einen Verbotsantrag gestellt hatte. Hier hatte die Aversion gegen den Kommunismus und die Kommunisten allerdings konkrete Bezugspunkte, sei es die Vergewaltigungen und Verwüstungen durch Angehörige der Roten Armee gegen Ende des Kriegs, die Vertreibungen von Millionen von Deutschen aus den sowjetisch besetzten Ländern nach dem Krieg, die «Zwangsvereinigung» von SPD und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) oder die Berlinblockade 1948/49. Ähnlich wie in der Schweiz bot ehemaligen Nazis in Deutschland der Antikommunismus die Gelegenheit, ihre braune Vergangenheit hinter sich zu lassen und nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vor diesem Hintergrund wundert man sich, wieso die Massnahmen des Schweizer Staatsschutzes gegen Kommunisten ohne diesen Erfahrungshorizont mindestens so rabiat waren.

      Zur Geistigen Landesverteidigung vor dem Krieg gehörte auch der Schutz der Bevölkerung vor zersetzender Propaganda. Der Bundesrat erliess am 27. Mai 1938 «Massnahmen gegen staatsgefährdendes Propagandamaterial». Dieser Artikel wurde am 27. Februar 1945 neu gefasst und hiess nun «Massnahmen zum Schutze der verfassungsmässigen Ordnung und die Aufhebung der Parteiverbote». Die generelle Beschlagnahmung von aus dem Ausland eingeführtem, kommunistischem Propagandamaterial wurde aufgehoben – allerdings mit Ausnahmen. Diese liberalere Praxis liess nun den Import linker Literatur stark anwachsen, was die Behörden mit Besorgnis erfüllte, wie aus einem Bericht der Bundesanwaltschaft vom Juni 1948 hervorgeht.37 «In neuester Zeit muss festgestellt werden, dass die Einfuhr von ausländischem kommunistischem Propagandamaterial in starkem Zunehmen begriffen ist. Allein im März 1948 hat die Oberzolldirektion der Bundesanwaltschaft von 274 Sendungen aus dem Ausland,