Thomas Buomberger

Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990


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er musste sich in der Schule Schauermärchen über seine Mutter anhören. Im folgenden Jahr landete sie symbolisch auf dem Scheiterhaufen. An der Fasnacht 1954 «haben sie mich verbrannt, unter grosser Belustigung auf dem Gemeindeplatz».

      Das Kesseltreiben in den Zeitungen erreichte auch das Radiostudio Basel. Am 7. November 1953 erhielt Helene Fausch-Bossert die Kündigung. Im Entlassungsschreiben, in dem sie als «gute Mitarbeiterin» gewürdigt wurde, steht: «Dabei kam einhellig die Auffassung zum Ausdruck, dass Sie es durch Ihr Verhalten verunmöglicht haben, Sie weiter zu beschäftigen. Ausschlaggebend für diesen Beschluss war vor allem die Tatsache, dass es einem gewöhnlichen Schweizer heute eben nicht möglich ist, Russland zu bereisen.»20 Einem Bekannten schrieb sie wenige Tage nach ihrer Entlassung: «Der Boykott ist besiegelt. Auf eine Aussprache ging man nicht ein. – Die Reise nach Russland ist nun einmal ein Verbrechen. Basta! Hier auf dem Lande ist es arg. Die Hysterie ist bereits chronisch geworden. Ihr Grundübel, die Lüge und die Hetze ist ärger als Krebs. […] Ein Mädchen, das zufällig um die richtige Version der Reise wusste und mich in der Pause bei seinen Mitschülerinnen verteidigte, wurde dafür von ihnen traktiert. […] Es wurde und wird alles daran gesetzt, ‹uns› moralisch wie wirtschaftlich zu erledigen.»21

      Der Psychoterror hielt an, und auch die politische Polizei überwachte Helene Fausch. Einem Kritiker schrieb sie: «So muss ich halt weiter Spiessruten laufen und der Hetze freien Lauf lassen. Immerhin, das bin ich mir bewusst, sie läuft sich mit der Zeit wund und müde. […] Und dass man mich als russophil betrachtet, jenu! Alle, welche die übliche Hetze nicht mitmachen, werden so gestempelt.»22 Beim Radio konnte Helene Fausch-Bossert ab 1957 wieder arbeiten, nachdem 1954 eine Intervention im Baselbieter Landrat durch den späteren SP-Regierungsrat Paul Manz noch erfolglos geblieben war. «Es hatte da eine gutgesinnte Frau im Verwaltungsrat, die sich für mich einsetzte», schilderte sie ihre berufliche Rehabilitation.23 Vollständig rehabilitiert wurde Helene Fausch-Bossert erst 1970. Im Jahr 1988 erhielt sie den Baselbieter Literaturpreis.

      Die PdA stürzte Anfang der 1950er-Jahre aufgrund von internen Machtkämpfen, ihrer stalinistischen Ausrichtung, Säuberungen und dem doppelten Druck von Bürgertum und Sozialdemokratie in die Bedeutungslosigkeit ab. War sie nach dem Wahlerfolg von 1947 noch als Hoffnungsträgerin erschienen, so mutierte sie nun in der Wahrnehmung zur Fünften Kolonne am Gängelband Moskaus. Obwohl sie nur einige tausend Mitglieder zählte, wurde die PdA während der folgenden Jahrzehnte zur Hauptzielscheibe des Staatsschutzes. Bei etlichen PdA-Mitgliedern, die früher in der KPS gewesen waren, gab es in der Überwachung eine Kontinuität. Der Bundesrat schrieb in einem Bericht von 1946: «Die kommunistische Bewegung in der Schweiz erfordert die Aufmerksamkeit der Behörden wegen ihrer revolutionären Tendenzen und ihrer ausländischen Beziehungen. […] Wie früher bei der Bekämpfung der rechtsextremistischen Umtriebe haben sich jetzt die Strafverfolgungsbehörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden für die Abwehr der Gefahren einzusetzen, die aus der Tätigkeit der Linksextremisten entstehen können.»24

      1932 hatte der Bundesrat einen Beschluss erlassen, der die Beschäftigten der Bundesverwaltung, die Mitglieder der KPS oder einer kommunistischen Organisation waren, aus dem Bundesdienst ausschloss. 1942/43 wurde dieser Beschluss auch gegen Angehörige rechtsextremer Organisationen angewandt. Nach Kriegsende wurde er insofern relativiert, als es nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Organisation ankam, sondern auf das Verhalten. Es dauerte gerade mal fünf Jahre, bis die Bundesbehörden wiederum ein wachsames Auge auf die Kommunisten in der Bundesverwaltung warfen. Ein Bericht des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartements (EFZD) von 1950 hält fest: «Seit Beendigung der Feindseligkeiten spielen die Rechtsextremisten keine Rolle mehr. Dasselbe lässt sich aber nicht sagen von den Kommunisten, den Mitgliedern der Partei der Arbeit. An Nachweisen für ihre Hörigkeit gegenüber dem Kominform und der Sowjet-Union fehlt es nicht.» Dennoch wollte der Bundesrat nicht gleich sämtliche «Extremisten – auf der äussersten Linken oder Rechten» – vom Bundesdienst ausschliessen, denn davon wären auch solche betroffen gewesen, die trotz Zugehörigkeit zu einer extremistischen Partei vertrauenswürdig seien. Als Kriterium solle deshalb das Vertrauen dienen, das dem Einzelnen entgegengebracht werden könne. Ein genereller Ausschluss stünde auch im Widerspruch zur Tatsache, dass die PdA nicht verboten und im Parlament vertreten sei. Bundesrat von Steiger stellte aber in seiner Antwort auf eine Motion klar: «Man kann nicht im Staatsdienst arbeiten wollen und gleichzeitig gegen diesen Staat wirken und ihn unterminieren.»25 Der Bundesrat beschloss deshalb in einem geheimen Zusatzparagrafen, dass politisch verdächtige Bundesbedienstete beobachtet und beaufsichtigt werden. «Die Bundesanwaltschaft, das eidgenössische Personalamt sowie die Personaldienste der Bundesverwaltungen und -betriebe haben sich gegenseitig über die […] politisch verdächtigen Bundesbediensteten zu unterrichten. Die Bundesanwaltschaft führt die hierzu notwendigen Erhebungen durch.» Falls sich Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit ergäben, werde ein Bewerber nicht eingestellt.26 Damit sanktionierte der Bundesrat die Schnüffelei in den Bundesbetrieben. Dagegen wehrte sich auch die nichtkommunistische Linke.

      Im Vorfeld des Beschlusses gegen «extremistische Bundesbedienstete» vom 5. September 1950 bereitete Bundesanwalt Werner Lüthi vor der Ständeratskommission schon mal das Terrain vor. Die Kontrolle westlicher kommunistischer Parteien durch die Kominform und die Änderungen der Umsturztaktik «wirken sich in der Haltung der PdA nachhaltig und mit steter Verstärkung aus. Dies erfordert nicht nur ausserordentliche Wachsamkeit der Behörden, sondern auch die Schaffung neuer, die neuen Methoden erfassende Strafbestimmungen». Unwohl war es den beiden SP-Nationalräten Arthur Schmid und Johannes Huber, weil sie befürchteten, die geplante Einschränkung der Freiheitsrechte könne sich gegen die Linke generell richten. Dem hielt Bundesrat Feldmann entgegen: «Die Auffassung Hubers, die PdA solle man nicht so ernst nehmen, ist unrichtig», denn es komme «nicht auf die Zahl an». Und weiter: «Die Erfahrung lehrt, dass die heute gegen uns angewandten Mittel viel raffinierter sind, als jene zur Zeit der Nationalsozialisten. Dagegen müssen Waffen geschmiedet werden.» Ein besonderes Augenmerk sei den «Kryptokommunisten» zu schenken. «Unter der Flagge der Kultur und der Wissenschaft arbeitet ein kleiner Trupp, der die Unterhöhlung anstrebt.» Ganz in diesem Sinn visierte Bundesanwalt Franz Stämpfli einen präventiven Staatsschutz an: «Wir wollen strafen, bevor der Tatbestand des Landesverrats erfüllt ist.» In der immer kühleren Atmosphäre des Kalten Kriegs, der Blockade von Berlin 1948/49 stiess die Verschärfung des Staatsschutzes auf wenig Widerstand. Selbst die Kritik am Staat konnte nun geahndet werden, denn bürgerliche Politiker und Staatsschützer folgerten, dass diese eine Vorbereitungshandlung zur Änderung der geltenden Ordnung, also subversiv sei.27 Diese Weisung, die erst 1990 aufgehoben wurde, scheint wenigstens teilweise den gewünschten Effekt gehabt zu haben: Es kam zu Parteiaustritten und Abbestellungen des Vorwärts.28

      Der sozialdemokratische Nationalrat Pierre Graber reichte zum «Extremistenbeschluss» eine Interpellation ein und behauptete, diese Weisungen hätten «eine für unser Land neuartige Säuberungsaktion ausgelöst».29 Der kommunistische Nationalrat Léon Nicole verlangte in einer Motion vom Oktober 1950, dass die Weisungen des Bundesrates über die Auflösung des Dienstverhältnisses vertrauensunwürdiger Beamten aufgehoben werden, um damit die Meinungsund Vereinsfreiheit des Bundespersonals wiederherzustellen. In seiner Antwort zeigte sich Bundesrat Eduard von Steiger unnachgiebig: «Wer seine politische Tätigkeit in einer Partei nicht nur dazu benutzt, seine demokratischen Rechte auszuüben, sondern in Wirklichkeit ein militanter Verfechter antidemokratischer, totalitärer Ziele ist, gehört nicht in die eidgenössische Verwaltung.» Er ging noch weiter und meinte, dass auch ein Beamter, der nicht Mitglied der PdA sei, aber ein extremistisches Verhalten zeige, nicht in den Bundesdienst gehöre. Die kritisierte «Säuberungsaktion» im Beamtenapparat relativierte er, indem er angab, dass nur ein Dutzend Beamte nicht wiedergewählt und zwei Dutzend ins Angestelltenverhältnis versetzt worden seien. Immerhin sollen 500 Personen auf ihre «Vertrauenswürdigkeit» überprüft worden sein.30

      Zwar richteten sich die am 5. Dezember 1938 vom Bundesrat erlassenen «Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie» auch gegen Rechtsextremisten, doch waren sie die Ausnahme von der Regel. Vorausgegangen