Hartmut Spring

"Nicht ohne den Mut zum Wagnis ..."


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Das gleichzeitig ausgesprochene Verbot eines Missbrauches der Kirche oder des Glaubens für politische Zwecke jedoch ließ den staatlichen Organen einen breiten Interpretationsspielraum offen, wie die verschiedenen Formen der Behinderungen kirchlicher Arbeit zeigten.62 Später sollte sowohl von der Kirche als auch vom Staat auf je eigene Art immer wieder auf die in der Verfassung verbrieften Rechte zurückgegriffen werden, um das jeweils eigene Vorgehen abzusichern. Dennoch hätte nicht erst mit der ersten Verfassung der DDR die Hoffnung aufgegeben werden müssen, dass die alten Verhältnisse aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus wieder hergestellt werden könnten. Wäre dies geschehen, hätte sich die katholische Kirche vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt neuen pastoralen Akzentsetzungen zuwenden können.63 Der offiziell Bruch hinsichtlich der nur scheinbaren Zusammenarbeit in der Frage der Jugendarbeit erfolgte auf dem III. Parlament der FDJ und mit dem Ausscheiden der kirchlichen Vertreter aus dem Zentralrat der FDJ. Damit sollte die Phase des Taktierens zwischen staatlichen und kirchlichen Jugendvertretern zu Ende gehen.

      Mit dem Ausschalten der kirchlichen und anderer nichtkommunistischer Vertreter wurde die FDJ zur sozialistischen Massenorganisation der Jugend in der SBZ. Für ihr Ziel, möglichst alle Jugendlichen zu gewinnen, griff die FDJ neben den vorhandenen Machtstrukturen auf traditionelle Jugendrituale aus der Zeit der Jugendbewegung und des Nationalsozialismus zurück. Im Ringen um die Jugend wurden vertraute Elemente wie Heimabende, Medien, Musik, Literatur angeboten und diese gegebenenfalls mit neuen Inhalten versehen.64 Wenn aber in gleicher Weise die Kirchen diese Elemente in ihrer pfarrlichen Jugendseelsorge weiterhin einsetzten, wurde das Konfliktpotenzial offenbar. Deshalb war die FDJ auch sehr darum bemüht, dass die kirchliche Arbeit mit und an der Jugend auf den innerkirchlichen Raum und ausschließlich auf die religiöse Erbauung beschränkt blieb und jede öffentliche Betätigung und damit Konkurrenz unterließ. Denn der absolute Anspruch der FDJ, als die einzige Organisation die Interessen aller Jugendlichen zu vertreten, wurde durch jede organisierte Jugendarbeit außerhalb der FDJ infrage gestellt.65 Da aber die Kirchen immer wieder Formen fanden, die Jugendlichen anzusprechen und zu begeistern, zeigte sich, dass der Absolutheitsanspruch der FDJ nicht wie beabsichtigt umgesetzt werden konnte. Dieses Unvermögen einzugestehen, passte nicht zum Selbstverständnis der FDJ. Deshalb wurde zunehmend, vor allem in der späteren Phase der kämpferischen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, vor der Gefahr der kirchlichen Jugendarbeit gewarnt. Wobei von den staatlichen Stellen katholische und evangelische Formen der Jugendseelsorge unter dem Begriff der „Jungen Gemeinde“ zusammengefasst worden sind.66 Die Jugend in der SBZ und später in der DDR würde durch die Junge Gemeinde „irregeführt”67 und „die wirkliche Aufgabe der Jungen Gemeinde, nämlich die Zersplitterung der Jugend und die Störung einer planmäßigen Kaderentwicklung“ würde von den Kirchen nur verschleiert.68 Solchen Ausführungen machten deutlich, wie sich die Fronten zwischen den beiden Seiten bereits verhärtet hatten. Die Strategie der DDR-Führung lief darauf hinaus, „das Aussterben der Religion aktiv zu fördern.“69

      2 Erste pastorale Bestandsaufnahme der Ordinarienkonferenz-Ost

      Für die neu entstandenen Ordinariatsbezirke auf dem Gebiet der SBZ ergab sich in der Nachkriegszeit eine ganz ungewohnte Situation. Mit Erfurt, Görlitz, Magdeburg, Meinigen und Schwerin entstanden in Folge der Aufteilung des Deutschen Reiches in Zonen fünf neue Kommissariate, aus denen sich im Laufe der Jahre (relativ) eigenständige bischöfliche Verwaltungseinheiten bildeten. Die für diese fünf Teilbereiche jeweils verantwortlichen Bischöfe residierten in einer der Westzonen. Demzufolge waren deren kirchenpolitische Kompetenzen für den Bereich der SBZ sehr beschränkt. Aus diesem Grunde wurden die Kommissare vor Ort mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet und nach und nach zu Weihbischöfen ernannt. Die beiden übrigen Ordinariatsbezirke, Berlin und Meißen, wurden durch den Verlust der Ostgebiete ebenfalls in ihrer Struktur mehr oder weniger stark verändert.70 Auf Grund der Teilung Deutschlands war der politische Ansprechpartner der neuen kirchlichen Sprengel zunächst in der sowjetischen Besatzungsmacht bzw. den von ihr eingesetzten Behörden gegeben. Bis sich für den Bereich der SBZ die Ostdeutsche Ordinarienkonferenz herausgebildet hatte,71 war vor allem der Vorsitzende des Deutschen Caritasverbandes und zeitgleich als Kommissar der Fuldaer Bischofskonferenz fungierende H. Wienken,72 in vielen Fällen der erste Ansprechpartner der neuen Regierungsgewalt in der SBZ, ohne dass er dafür mit konkreten Kompetenzen ausgestattet worden war. Gegenüber dem konfrontativen Kurs Kardinal Preysings73 scheint Bischof Wienken wohl der angenehmere, weil diplomatischere Verhandlungspartner für die sowjetischen Stellen gewesen zu sein. In Anerkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse in der SBZ entwickelte sich ziemlich schnell ein Konsens unter den katholischen Leitungsträgern der ostdeutschen Ordinariate. Dem gegenüber war der in Westberlin residierende K. Preysing stärker westorientiert und damit konfrontativer dem sozialistischen System gegenüber eingestellt.74

      Zusätzlich zur politischen Neuorientierung in der Nachkriegszeit ergaben sich für die katholische Kirche in der SBZ auch neue pastorale Herausforderungen und Notwendigkeiten im Bereich der Seelsorge, auf die sich die Ordinarien einzustellen hatten. Etwa aufkeimende Hoffnungen, durch den zahlenmäßigen Zugewinn die Gesellschaft christlich durchdringen zu können, waren durch den engen politischen Rahmen zunichte gemacht worden. Die Arbeit der Seelsorger musste sich nach einem kurzen Intermezzo wieder auf den Bereich der Pfarrei beschränken. Folglich war auch die Situation der Jugendseelsorger in der SBZ ähnlich der in der Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Sinne verwirklichte sich die Jugendseelsorge vor allem im Gottesdienst bzw. in der Hinführung der Jugendlichen zur Liturgie und der Katechese. Das primäre pastorale Anliegen der Bischöfe in der SBZ im Blick auf die junge Generation war vor allem die moralische Erneuerung der, durch die nationalsozialistische Ideologie beeinflussten und nun enttäuschten Jugend,75 nicht nur der katholischen, mit dem Ziel, diese aus ihrer Lethargie herauszuführen.76 Das sollte vor allem durch die verstärkte katholische Jugenderziehung gewährleistet werden.77 Damit griffen die Ordinarien im November 1945 die Richtlinien von 1936 auf und bestätigten den deduktiven Ansatz einer Pastoral, auf die sich das christliche Erziehungsrecht der Kirche berief. Christus habe der Kirche die Aufgabe anvertraut, durch die christliche Jugenderziehung den ganzen Menschen auf sein ewiges Ziel hinzuordnen.78 Der vor allem innerkirchlich ausgerichteten Jugendseelsorge wurde weiterhin ein sehr hoher Stellenwert beigemessen. Als Teil der ordentlichen Seelsorge sei es die Aufgabe aller Priester und der gesamten Pfarrgemeinde unter der Mitwirkung von Jugendlichen, die katholischen Jugendlichen „zu einer lebendigen inneren Einheit einer Jugend der Kirche wachsen zu lassen.“79 Die politischen Verhältnisse ließen die Reorganisation der Jugendseelsorge allerdings ganz unterschiedlich verlaufen.

      Weniger eine umfassende Jugendseelsorge als vielmehr die religiöse Erziehung im Sinne der Vermittlung kirchlich definierter Kenntnisse und Fertigkeiten stand für die Bischöfe in der SBZ im Blickpunkt. Um die Umerziehung der Jugend auch im öffentlichen Bereich, in den staatlichen Einrichtungen, umsetzen zu können, wurden die jugendseelsorglichen Aktivitäten der Ordinarien zunächst zu einer Sache der Jugendpolitik. Das Engagement der Bischöfe bündelte sich diesbezüglich in dem Bemühen um die Durchführung von Religionsunterricht und die Wiederzulassung konfessioneller Schulen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Jugendseelsorge wurde an die Jugendseelsorger delegiert bzw. mit dem Rückgriff auf die Verlautbarungen zur Jugendseelsorge von 1936 beantwortet.80

      Die Jugendseelsorge im Nachkriegsdeutschland konnte auf die Erfahrungen von circa zehn Jahren zwischen 1936 und 1945 zurückgreifen. Während dieser Zeit des Nationalsozialismus erfolgte die Seelsorge zunehmend begrenzt und nur unter erschwerten Bedingungen auf der Pfarrebene. In den ersten Monaten nach dem Krieg wurde es eher als Einschränkung der Arbeit mit der Jugend denn als Chance für die Zukunft empfunden, erneut auf den Bereich der Pfarrseelsorge verwiesen zu sein.81 Aber es sollte und musste nach Kriegsende für den Bereich der SBZ am Prinzip der Pfarrjugendseelsorge festgehalten werden.82 Sich an die Ausführungen von G. Puchowski anschließend, bestätigte die Ordinarienkonferenz das Prinzip der Pfarrjugendseelsorge.83 Folglich wurde im Raum der SBZ zunächst unausgesprochen an den pastoralen Ansätzen der Jugendseelsorge während des Krieges angeknüpft.84 Die Sorge um die Jugend