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Geist & Leben 1/2017


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die nicht mehr wirklich gut gelingen. Darum: Eine gewisse Souveränität im Loslassen, verbunden mit einem selbstkritischen Blick und der Bereitschaft, einen guten Rat anzunehmen, auch wenn er mir zunächst gar nicht gefällt, gehört sicher zur Würde des Alters.

      Dran bleiben

      Vieles im Leben hat zwei Seiten. So hat auch das Loslassen ein Gegenüber: Sich immer wieder ausdrücklich bewusst machen, was alles noch gut geht, welche Möglichkeiten ich noch habe, um Frucht zu bringen für das Reich Gottes und mich so nützlich zu machen für die anderen. Es ist wichtig, sich weiterhin zu fordern, Alter und Beschwerden nicht als Vorwand zur Trägheit oder zum vorzeitigen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben zu nehmen. Kurz: Wir sollten dran bleiben, wo es unseren Kräften angemessen ist.

      Dieser Dienst am Reich Gottes kann sich vielfältig konkretisieren: z.B. dass ich (auf Wunsch) in meinem früheren Tätigkeitsbereich noch ein wenig mithelfe, etwa durch schlichte Präsenz oder Beratung. Dies gilt gerade auch in unseren Gemeinden und Gemeinschaften. Ist es nicht eine besondere Aufgabe des Alters, Brücken zwischen den Generationen zu schlagen, etwa in der unaufdringlichen Weitergabe von Traditionen und Gebräuchen? Oder, dass ich mir Zeit nehme und Geduld aufbringe, manche vereinsamenden Altersgenoss(inn)en zu besuchen, ihnen zuzuhören (auch wenn es immer wieder die gleichen Krankheitsgeschichten sind …) und sie etwas aufzumuntern? Oder anderen bestimmte Erledigungen abnehmen, wo ich mich auskenne? Oder mir mehr Zeit für die Pflege meiner Beziehung zu Gott, für das Gebet nehme, zumal das Fürbittgebet für Menschen in Not, für Kranke und für alte Menschen etc.?

      All diese kleinen Dienste können zur Zufriedenheit und zur Versöhnung mit der eigenen, oft schwierigen Lebenssituation beitragen. Fassen wir kurz zusammen: In gläubiger Sichtweise gründet das Selbstwertgefühl im Alter auf der Verheißung Jesu vom Fruchtbringen im Reich Gottes. Drei Voraussetzungen wären im Blick zu behalten: Realistisch die eigene Situation wahrnehmen und versuchen, sie bewusst und bejahend anzunehmen; das Loslassen lernen und dabei selbstkritisch und offen für Beratung sein; sich positiv auf neue, bescheidenere Möglichkeiten im Dienst am Reich Gottes und damit an den Menschen einlassen und dadurch zufriedener sein Alter leben zu können. Werfen wir nun einen Blick auf die christliche Philosophie und Theologie, um unsere Überlegungen zum „Altern in Würde“ zu vertiefen. Was können sie zum Wesen und zum Sinn des Alters sagen?

      Hat das Alter (s)eine Theologie?

      Der Jesuit Karl Rahner war 78 Jahre alt und stand zwei Jahre vor seinem Tod, als er 1982 den Aufsatz Zum theologischen und anthropologischen Grundverständnis des Alters verfasste.7 Dabei fällt auf: Rahner tut sich nicht leicht mit diesem Thema. Denn der zentrale Aspekt seines philosophischen und theologischen Menschenbildes ist die Freiheit. Für ihn und die neuere katholische Theologie ist Freiheit die einzigartige Fähigkeit wie auch die wesentliche Aufgabe des Menschen, seinem Leben eine ganz persönliche Gestalt, eine Form, ein Profil zu geben. Im Unterschied zu allen anderen Lebewesen ist der Mensch sich selbst gegeben und aufgegeben: „Mach was aus dir, aus deinem Leben!“ Dies gilt für jede Lebensphase, wenn auch für jede auf je eigene Weise.

      Freilich: Sein Leben in Freiheit gestalten oder entwerfen trifft auf viele Vorgaben, die wir vorfinden und kaum verändern können: Natur, Leib, Veranlagungen, Familie, Sprache, Kultur, Umwelt, die jeweilige geschichtliche und gesellschaftliche Situation, in der wir leben etc. Die ganze Lebenskunst besteht darin, in dieser Spannung zwischen der je eigenen Freiheit und den vielen Vorgaben eine ganz individuelle, persönliche Lebensgeschichte und -gestalt zu formen. Diese Spannung wird v.a. im Alter deutlich und zuweilen auch schmerzlich spürbar. Hier zeigen sich manche Vorgaben, also meine Natur, mein Leib, mein Verstand, auch die Bewältigung des Alltags usw. als zunehmend widerspenstig. Vieles geht nicht mehr, wie wir es wollen und uns vorstellen: „Wir sind Natur, d.h. wir haben uns auch als die biologisch Alternden anzunehmen, mit all dem, was damit schon als Abnahme unserer Vitalität, auch unserer geistigen Kräfte unerbittlich gegeben ist, ohne sinnlosen Protest gegen Gott und die von ihm gewollte Natur“.8

      Was bleibt im Alter also noch von der viel gepriesenen Freiheit? Geht es damit auch zu Ende? Keineswegs! Abgesehen von der Aufgabe, gerade diese Einschränkung der Freiheit selbst wiederum in Freiheit anzunehmen, sieht Rahner eine spezifische Chance und Aufgabe des Alters: sich bewusst und ausdrücklich mit der eigenen Vergangenheit und Zukunft auseinanderzusetzen, sich beidem zu stellen. Ausgangspunkt ist die unleugbare Tatsache, dass wir im Alter den größten Teil unseres Lebens „hinter uns gebracht haben“.9 Aber ist dieses „hinter uns gebracht haben“ nicht missverständlich? Suggeriert es nicht, dass wir unser Leben einfach in die Vergessenheit absinken lassen könnten, um dann ungestört weiter in den Tag hinein zu leben und uns allenfalls ab und zu an einige erfreuliche Begebenheiten zu erinnern? So einfach dürfen wir es uns nicht machen! Denn das in der Vergangenheit gelebte Leben sind wir schließlich selbst, so wie wir geworden und jetzt sind. Es hat zu der bleibenden Gestalt geführt, „die aus unserer Freiheitsgeschichte hervorgegangen ist“.10 Wir sind das Resultat unserer Vergangenheit.

      Darum lässt sie sich auch nicht so einfach „hinter uns bringen“. Rahner sieht im Alter die einmalige Chance, unser Leben, unser Selbst, so wie wir geworden sind, ausdrücklich „vor uns zu bringen.“ Konkret: Wir sollten mit zunehmendem Alter unser vergangenes Leben in Ruhe anschauen, in unserer Erinnerung wachrufen. Es geht darum, sich öfter mal Zeit zu nehmen für eine Rückschau auf unser Leben insgesamt, also eine Art révision de vie. Sie wäre dazu da, unser Leben in seinen Grundlinien und verschiedenen Phasen, seinen Grundentscheidungen, mit den wichtigsten zwischenmenschlichen Beziehungen, in seinem Gelingen und Scheitern „vor uns zu bringen“, vor unser inneres Auge. Und warum das? Weil unsere Lebensgestalt auch im Alter noch nicht fertig ist!11 Sie ist noch immer unserer Freiheit aufgegeben. Sie ist ja durchaus noch veränderbar. Das ist so gemeint: Ich schaue die Lebensgestalt – vom Ende her – mit anderen Augen an, deute dabei das eine oder andere anders und gebe ihm einen neuen Sinn.

      Das Leben mit den Augen Gottes anschauen

      Dies alles gilt im besonderen Maße für den gläubigen Menschen, der das Leben auch mit den Augen Gottes anschauen darf, den Augen seiner vergebenden, heilenden Liebe. Wir können im Alter, wenn der Tod nicht mehr so weit von uns weg liegt, Momente des Gerichtes Gottes an uns vorwegnehmen, der Läuterung vom Bösen in uns und der Versöhnung mit dem vielen Fragmentarischen und Ungelebten, dem Schmerzlichen in unserem Leben. Wer so auf das Leben blickt, „kann Verbitterung, die sich in ihm wie ein Bodensatz angesammelt hat, ausscheiden.

      Er kann ein besseres Verständnis seines eigenen Lebens erwerben, als er es bisher getan hat. Er kann weiser und gelassener werden. Mit seiner Umkehr zu Gott zusammen darf er selbst, was in seinem Leben schief gelaufen ist und finster war, noch einmal mit dem vergebenden Gott zusammen milde und verzeihend beurteilen, darf all das mit der Liturgie der Kirche (vgl. das österliche Exsultet!) als ‚glückselige Schuld‘ verstehen. Der Blick auf das vergangene Leben kann uns gegen andere toleranter werden lassen“.12

      Mit einer solchen Rückschau – in eins mit dem gütigen Blick Gottes auf uns – betreten wir jene Brücke, die unser „diesseitiges“ mit unserem „jenseitigen“ Leben verbindet. Dieses „Brückenbauen“ ist ebenfalls eine spezifische Chance und Aufgabe des Alters. Denn im Gegensatz zu unserer Vergangenheit, die immer größer wird, wird unsere irdische Zukunft immer kleiner. So kommen naturgemäß auch das Ende, auch unser Tod mehr und mehr in den Blick – vorausgesetzt, er wird nicht einfach verdrängt. Dass wir endliche Wesen sind, ist uns immer schon klar; aber dass das Ende selbst – bedrohend oder erlösend – unausweichlich nahe rückt, ist eben doch eine besondere Herausforderung des Alters. Wer sie aufgreift und als Chance wahrnimmt, wird sich (wie seiner Vergangenheit) auch der immer kleiner werdenden Zukunft und dem nahenden Ende stellen, sich damit beschäftigen und versuchen, solange es von den geistigen und seelischen Kräften her noch möglich ist, auch die verbleibende Lebenszeit irgendwie bewusst zu gestalten, auch ihr eine wenn auch noch so fragmentarische Form, ein Gesicht zu geben.

      „Vorschau“ auf ein neues Leben

      Eine derartige „Vorschau“ darf zweifellos die Hoffnung auf ein neues Leben nach diesem Leben und nach dem Tod ins Spiel bringen; wohlgemerkt: ein neues Leben, das aber mit unserem jetzigen Leben in enger