Gutes bestimmt ist und dass wir zu etwas nützlich sein sollen“ (LD XI, 96).11 Um den richtigen Ort zu finden, ging er nach Rom und unterzog sich so demütigenden Prozeduren wie einem theologischen Examen. Nach der Rückkehr zeichneten sich in England indes Aufgaben ab, die ihm durchaus angemessen erschienen. So die Aufgabe, in Irland eine katholische Universität zu gründen. Das kam seinen elementaren Interessen entgegen. Bei den irischen Bischöfen allerdings fand er mit seinen Vorstellungen von einer weltoffenen katholischen Universität wenig Verständnis.12 Die Entwicklung der Universität wurde blockiert, bis Newman erschöpft vom Rektorat zurücktrat. Seine Ernennung zum Bischof wurde in Rom hintertrieben. Obgleich er zum Vorsteher aller Oratorianer in England ernannt war, bildete sich im Londoner Oratorium eine „Fraktion“ und suchte sich, dank römischer Kontakte erfolgreich, unabhängig zu machen. Das Projekt einer englischen Bibelübersetzung wurde Newman anvertraut. Aber die englische Bischofskonferenz ließ es wieder fallen. Den „Rambler“, eine Zeitschrift selbstbewusster katholischer Laien, suchte Newman als Herausgeber im Konflikt mit den Bischöfen zu retten; doch er wurde von einem Bischof an der römischen Kurie der Häresie verdächtigt. In der katholischen Kirche schienen sich alle Möglichkeiten verschlossen zu haben. Hatte Gottes Providenz ihm keine Aufgabe mehr zugedacht? „Ist es nicht merkwürdig“, so wunderten sich selbst seine Gegner, „dass Father Newman in keiner seiner Unternehmungen Erfolg hat?“ (LD XVII, 559) Newmans Herz hing an dem Plan, in Oxford ein Oratorium zu gründen, „dem einzigen Platz, wo ich der katholischen Sache einen Dienst erweisen könnte“ (SB 347). Auch dieser Plan wurde im letzten Moment von Rom aus verhindert. Newman sollte von Oxford ferngehalten werden. Er sei Englands „gefährlichster Mann“13. Die Ungleichzeitigkeit zwischen dem katholischen Milieu und den vorgreifenden Einsichten Newmans, die systemisch entstellten Umgangsformen, die bestellten Interventionen aus Rom, die „Wolke des Verdachts“14 über ihm und persönliche Unzulänglichkeiten ließen es kalt und einsam werden um ihn. Im Tagebuch schrieb er: „Seit ich katholisch bin, habe ich mich stets angestrengt, habe gearbeitet und mich abgemüht, letzten Endes, wie ich glaube, nicht für irgendeinen Menschen auf Erden, sondern für Gott im Himmel, aber doch mit einem lebhaften Wunsch, denen zu gefallen, die mich an die Arbeit setzten. Nächst dem souveränen Urteil Gottes, habe ich, wenn auch in einer anderen Ordnung, ihr Lob gewünscht. Und doch habe ich es nicht nur nicht erlangt, sondern bin auf verschiedene Weise immer nur geringschätzig und unfreundlich behandelt worden. Weil ich mich nicht vorgedrängt habe, weil es mir nicht im Traum eingefallen ist, zu sagen: ‚Seht da, was ich tue und getan habe‘ – weil ich leeres Geschwätz nicht weiter erzählt, den Großen nicht geschmeichelt und mich nicht zu dieser oder jener Partei bekannt habe, bin ich eine Null. Ich habe keinen Freund in Rom, und in England habe ich nur gearbeitet, um missdeutet, verleumdet und verhöhnt zu werden. Ich habe in Irland gearbeitet und immer wieder wurde mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Anscheinend war vieles ein Fehlschlag, und, was ich gut mache, wurde nicht verstanden.“ (SB 326)
Früher war Newman sich gewiss, dass Gott „jeden an eine bestimmte Stelle mit bestimmten Aufgaben gestellt hat“ (BG 42–46). Jetzt sah er sich auf ein „Nichtstuerleben“ abgestellt, ein Leben ohne Aufgabe, ohne erkennbare Berufung (SB 339). Die Providenz schien mit ihm nichts mehr vor zu haben. „Otium cum indignitate“, Müßiggang in Würdelosigkeit nennt er das (SB 343). „Heute morgen beim Aufwachen überfiel mich die Empfindung, nur den Platz zu versperren, so stark, dass ich mich nicht dazu bringen konnte, unter meine Dusche zu gehen. Ich sagte mir, was nützt es denn, seine Kraft zu erhalten oder zu vermehren, wenn nichts dabei herauskommt. Wozu für nichts leben? … Was tue ich eigentlich für irgendein religiöses Ziel?“ (SB 329f.) „Vanitas vanitatum“, völlige Sinnleere (SB 342). Er selber zitiert hier Kohelet. Das Leben lässt keine Providenz mehr erfahrbar werden. Die Rede davon versiegt in diesen Jahren. Er trifft eine merkwürdige Unterscheidung: „Wie war doch mein Leben einsam und grämlich, seit ich katholisch geworden bin. Hier war der Gegensatz – als Protestant empfand ich meine Religion grämlich, aber nicht mein Leben, und nun, als Katholik, ist mein Leben grämlich, aber nicht meine Religion.“ (SB 330) Die schonungslose, desillusionierte Offenheit eines Konvertiten und eines Theologen, der sein Leben unauflöslich an Religion und Kirche gebunden hatte.
Die ungeheure Energie, mit der Newman zu seiner „Apologia pro vita sua“ ausholte, war nicht nur gegen die Polemik Kingsley gerichtet. Er hatte seine Selbstachtung wiederzugewinnen. Es war nach der Wucht des Falls der Rückprall am Tiefpunkt (SB 338). Die Apologie war der „Wendepunkt“. Die wiedergewonnene Gunst der Protestanten und die Zustimmung des katholischen Klerus gab ihm den Mut, aufs Neue nach Aufgaben auszuschauen (SB 338f.), obgleich die maßgeblichen Leute innerhalb der katholischen Kirche weiterhin von seinen Talenten keinen Gebrauch zu machen wussten.15 Der Akzent, den er seiner Rede von der Providenz nun unterlegt, ist allerdings ein anderer geworden: ein anderer als in der Zeit, in der er seine akademische Karriere im Auge hatte, ein anderer als in der Zeit, in der ihn die Kirchenreform auf ungangbare Wege führte. Er sieht nun (1869) schärfer das Paradox, das in der Behauptung von Gottes Providenz für sein Leben liegt. „Die Vorsehung Gottes war mein ganzes Leben hindurch wunderbar über mir. Da ist etwas, was mir heute morgen als ein Widerspruch aufgefallen ist, den ich schon oft in seinen Einzelheiten durchdacht hatte, ohne den Kontrast zu bemerken, in dem diese Einzelheiten zueinander stehen. Ich meine, dass meine Leiden immer von denen kamen, denen ich geholfen hatte, und meine Erfolge von meinen Gegnern.“ (SB 346f.) Und er bemerkt, dass es seine Krankheiten waren, aus denen schließlich Gutes geworden war (SB 348).
In seiner „Zustimmungslehre“ kommt Newman gelegentlich des Illative-sense auf Providenz zu sprechen. Er ist, wenn man von der festgefügten Ordnung der Dinge ausgeht, bestürzt, dass Gottes „Oberaufsicht über die lebendige Welt eine so indirekte, und sein Handeln ein so verborgenes ist“ (Z 278). Und dann: „Was dem Geist so stark und so peinlich auffällt, ist seine Abwesenheit (wenn ich so sagen darf) von seiner eigenen Welt. Es ist ein Schweigen, das redet. Es ist, wie wenn andere von seinem Werk Besitz ergriffen hätten.“ (Ebd.) Mit diesen Worten Newmans ist das Prekäre auch unserer Lage getroffen, wenn wir heute im 21. Jahrhundert das Wort Providenz im Mund führen. Es ist auch unsere Peinlichkeit, die er spürt: „Warum ist es ohne Absurdität möglich, seinen (Gottes H.P.S.) Willen, seine Attribute, seine Existenz zu leugnen?“ (Z 279) Und ebendort: „Er aber ist im Gegenteil in ganz besonderer Weise ‚ein verborgener Gott‘ (Jes 45, 15).“ Die Schöpfung ist in einen so entfernten Selbstand, in eine solche Autonomie entlassen, dass eine Entsprechung von Leben und Religion, von Wirklichkeit und theologischem Begriff kaum mehr sichtbar ist. Im Leben, auch im Leben der Kirche, ist kaum mehr ein Ort auszumachen, wo das noch greift, wovon mit dem Wort Providenz die Rede ist. Diese Entfernung leuchtet herein in seine Erfahrung, die er nun mit der Katholischen Kirche macht. Er musste lernen, für die Rede von der Providenz in ihrer Zerbrechlichkeit und Bezweifelbarkeit auf neue Weise die richtige Sprache zu finden.
Dankbarkeit und Selbstachtung
In Newmans späten Jahren gewinnt sein Glaube an Gottes Providenz nochmals einen anderen Ton. In einem Tagebucheintrag vom 30. Oktober 1867 erinnert er sich an ein Gespräch mit Kardinal Barnebò, dem Präfekten der vatikanischen Propagandakongregation. Mit ihm lag er unter anderem wegen der Gründung des Oratoriums in Oxford im Konflikt. Die Tagebuchnotiz lautet: „Ich habe zu Kardinal Barnebò gesagt: ‚Viderit Deus‘, Gott habe ich meine Sache anheim gestellt … und wie der allmächtige Gott 1864, nach Ablauf von 20 Jahren, in den Augen der Protestanten mein Verhalten gerechtfertigt hat (durch die Apologia H.P.S.), so wird es am Ende auch mit meinem katholischen Lebensweg ergehen, wenn ich nicht mehr da bin, Deus viderit! Diese Worte gebrauchte ich nicht leichthin, wenn sie sich auch anscheinend im Geist Kardinals Barnebòs sehr ungünstig festgesetzt zu haben scheinen – ich denke auch im Traum nicht daran, sie zu widerrufen. … Ich meine, Vertrauen auf Vorgesetzte irgendwelcher Art kann bei mir niemals mehr erblühen“