Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Hg. v. Elisabeth Ströker, Meiner Hamburg 1996.
22 Jürgen Habermas, Theorie kommunikativen Handelns, Frankfurt a. M. 1981, hier insbes. Band II.
23 O’Donovan, tempi – Bildung im Zeitalter der Beschleunigung, Bildungskongress der Kirchen am 16. November 2000 in Berlin, hrg. Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz.
24 O’Donovan [Fn. 22] ebd.
25 G. Biemer, Wahrheit [Fn. 6], 104.
26 F.X. Kaufmann, Wie überlebt das Christentum? Herder Freiburg i. Br. 2000, 62.
27 O’Donovan [Fn. 22], ebd.
28 Hier ist an die Religion der Deutschen Christen zu erinnern.
29 Vgl. Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, Freiburg i, Brg.1987, 183.
30 Bernhard Casper, Der Zugang zu Religion im Denken von Emmanuel Levinas, in: Franz Joseph Klehr, Den Andern denken. Philosophische Fachgespräch mit Emmanuel Levinas, Hohenheimer Protokolle Bd. 31, 37–50, Akademie Stuttgart-Hohenheim 1988.
31 Inschrift auf einem Gedenkstein im Oratorium zu Birmingham.
3. Providenz – eine Rede von der Wirklichkeit
Ungeselligkeit und Geselligkeit
Was soll die Rede von der Providenz im Kontext des herrschenden Liberalismus? Soll sie ein Widerspruch sein, eine Einschränkung von „Liberalität“? Lässt sich überhaupt eine Verhältnisbestimmung zwischen Providenz und Liberalismus ausmachen? Dann aber müssten beide Begriffe, „Liberalismus“ und „Providenz“, zu einer gewissen Deutlichkeit finden. Das, was man seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgehend von Spanien Liberalismus genannt hat, prägt seit dem 17. Jahrhundert von England ausgehend die Geschichte der Neuzeit in ihren Erfolgen und in ihren Schatten. Er hat kein von vornherein eindeutiges Programm, nicht politisch, nicht wirtschaftlich, nicht gesellschaftlich, nicht individuell biographisch, nicht religiös. Flexibel und variantenreich folgt er über drei Jahrhunderte in unterschiedlichen Situationen, an unterschiedlichen Fronten einer nicht klar bestimmbaren Idee. Vielleicht tritt diese leitende Idee als Problembeschreibung am Anfang bei Thomas Hobbes am profiliertesten hervor. Das „entbundene Individuum“ beschreibt er mit seinen bekannten Worten: „The life of man (is) solitary, poor, nasty, brutish and short“. Geschichtlicher Hintergrund dieser Diagnose sind einerseits die erfahrenen Schrecken der konfessionellen Bürgerkriege und andererseits die sich an die Naturwissenschaften knüpfenden Perspektiven und Erwartungen. Der dabei in den Vordergrund tretende Typus von Vernunft macht den einzelnen Menschen zum räuberischsten, klügsten und gefährlichsten Tier, das die Befriedigung seiner Lebensgier durch die Macht nicht nur über die Natur, sondern auch über andere Menschen gewinnt. In seinem Naturzustand gilt von ihm: homo homini lupus. Dieser friedlose Naturzustand – so schließt Hobbes – muss durch eine absolute Staatsgewalt, ausgestattet mit dem Monopol physischer Gewaltanwendung, gebändigt werden. Denn nur so kann die individuelle Willkür in Grenzen gehalten werden. Diese absolute Staatsgewalt machte allerdings den im Mittelalter bereits begonnenen Differenzierungsprozess zwischen Religion und Staat wieder rückgängig. John Locke hat aus denselben Erfahrungen der konfessionellen Bürgerkriege eine andere liberale Perspektive gewonnen: die zwar das Individuum einbindende, aber auch den Staat bändigende Verfassung. Staat und Kirche sollen streng getrennt sein. Kirche wird auf private Religionsausübung reduziert und die dogmatische Wahrheitsfrage wird relativiert. Es kommt zu dem, was man dann Deismus genannt hat. Die instrumentelle, bzw. strategische Rationalität des konsequent durchkalkulierenden, individuellen Eigeninteresses, von dem auch heute noch der liberale, sich selber regelnde Markt den notwendigen Motivationsschub erhalten soll, und die Privatisierung der Religion prägen bis heute den Liberalismus. Allerdings wäre seine Erfolgsgeschichte in den vergangenen drei Jahrhunderten nicht möglich gewesen ohne seine außerordentliche Flexibilität und Lernfähigkeit.
Anders als im englischen Verfassungsstaat will Immanuel Kant den Antagonismus zwischen individuellem Gewinnstreben und Gemeinwohl bändigen, nämlich durch die Selbstgesetzgebung. Das Streben des brutish and nasty single nach Glück wird nicht erst durch die Staatsverfassung, sondern früher schon durch den Menschen selber, durch den seine Zwischenmenschlichkeit regelnden Kategorischen Imperativ in wechselseitige Verpflichtungen eingebunden. So erst wird das Individuum sozialisierbar und universalisierbar. Der Schritt, den Kant über Hobbes und Locke hinaus macht, verbleibt freilich innerhalb der klassisch liberalen Vorstellung eines Gesellschafts- und Herrschaftsvertrags von Individuen, die von Interessen geleitet sind.32 Kant geht vom autonomen Subjekt aus. Dieses beinhaltet a priori die moralischen Prinzipien der Intersubjektivität und Reziprozität. Daraus ergibt sich mit dem Kategorischen Imperativ eine universalisierbare Handlungsmaxime. Bei Hobbes ist die Freiheit des Handelns von der instrumentell-strategischen Vernunft des Selbstinteresses in Spannung zum Staat geleitet. Bei Kant wird diese Zentrierung auf das Individuum insofern in Grenzen gehalten, als die Wahrnehmung dieses Selbstinteresses nicht abstrakt negiert wird, aber von vornherein an die Wahrnehmung des Selbstinteresses des Anderen geknüpft ist. So wird eine politische Vernunft denkbar, die nicht nur strategisch, sondern kommunikativ ist. In seiner „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“33 geht Kant davon aus, dass der Hang des Einzelnen zur Ungeselligkeit und antagonistisch dazu seine Neigung zur Geselligkeit, sich also zu vergesellschaften, gleichzeitig festgehalten werden können und festgehalten werden müssen. Um den Liberalismus vielleicht an seiner stärksten Stelle sichtbar zu machen, soll dieser Antagonismus bei Kant mit seinen eigenen Worten in Kürze dargestellt werden. Der Mensch hat einen „großen Hang, sich zu vereinzelnen (isolieren); weil er in sich zugleich die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles nach seinem Willen richten zu wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst weiß, dass er seinerseits zum Widerstand gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin bringt, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden, und, getrieben durch Eifersucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die ihn nicht wohlleiden, von denen er aber auch nicht lassen kann.“34 Ohne solche Eigenschaften der Ungeselligkeit würden in einem „arkadischen Schäferleben“ alle Talente auf ewig verborgen bleiben. Es bedarf geradezu des Wettbewerbs zwischen den Individuen. „Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die missgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen! … Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht.“35
Die Not, es nicht lange miteinander auszuhalten, zwingt zu einer allgemeinen das Recht tragenden bürgerlichen Gesellschaft, das heißt zu einer gerechten Verfassung. Diese kann aber