Hermann Pius Siller

Letzte Erfahrungen


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Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Hg. v. Elisabeth Ströker, Meiner Hamburg 1996.

       3. Providenz – eine Rede von der Wirklichkeit

       Ungeselligkeit und Geselligkeit

      Was soll die Rede von der Providenz im Kontext des herrschenden Liberalismus? Soll sie ein Widerspruch sein, eine Einschränkung von „Liberalität“? Lässt sich überhaupt eine Verhältnisbestimmung zwischen Providenz und Liberalismus ausmachen? Dann aber müssten beide Begriffe, „Liberalismus“ und „Providenz“, zu einer gewissen Deutlichkeit finden. Das, was man seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgehend von Spanien Liberalismus genannt hat, prägt seit dem 17. Jahrhundert von England ausgehend die Geschichte der Neuzeit in ihren Erfolgen und in ihren Schatten. Er hat kein von vornherein eindeutiges Programm, nicht politisch, nicht wirtschaftlich, nicht gesellschaftlich, nicht individuell biographisch, nicht religiös. Flexibel und variantenreich folgt er über drei Jahrhunderte in unterschiedlichen Situationen, an unterschiedlichen Fronten einer nicht klar bestimmbaren Idee. Vielleicht tritt diese leitende Idee als Problembeschreibung am Anfang bei Thomas Hobbes am profiliertesten hervor. Das „entbundene Individuum“ beschreibt er mit seinen bekannten Worten: „The life of man (is) solitary, poor, nasty, brutish and short“. Geschichtlicher Hintergrund dieser Diagnose sind einerseits die erfahrenen Schrecken der konfessionellen Bürgerkriege und andererseits die sich an die Naturwissenschaften knüpfenden Perspektiven und Erwartungen. Der dabei in den Vordergrund tretende Typus von Vernunft macht den einzelnen Menschen zum räuberischsten, klügsten und gefährlichsten Tier, das die Befriedigung seiner Lebensgier durch die Macht nicht nur über die Natur, sondern auch über andere Menschen gewinnt. In seinem Naturzustand gilt von ihm: homo homini lupus. Dieser friedlose Naturzustand – so schließt Hobbes – muss durch eine absolute Staatsgewalt, ausgestattet mit dem Monopol physischer Gewaltanwendung, gebändigt werden. Denn nur so kann die individuelle Willkür in Grenzen gehalten werden. Diese absolute Staatsgewalt machte allerdings den im Mittelalter bereits begonnenen Differenzierungsprozess zwischen Religion und Staat wieder rückgängig. John Locke hat aus denselben Erfahrungen der konfessionellen Bürgerkriege eine andere liberale Perspektive gewonnen: die zwar das Individuum einbindende, aber auch den Staat bändigende Verfassung. Staat und Kirche sollen streng getrennt sein. Kirche wird auf private Religionsausübung reduziert und die dogmatische Wahrheitsfrage wird relativiert. Es kommt zu dem, was man dann Deismus genannt hat. Die instrumentelle, bzw. strategische Rationalität des konsequent durchkalkulierenden, individuellen Eigeninteresses, von dem auch heute noch der liberale, sich selber regelnde Markt den notwendigen Motivationsschub erhalten soll, und die Privatisierung der Religion prägen bis heute den Liberalismus. Allerdings wäre seine Erfolgsgeschichte in den vergangenen drei Jahrhunderten nicht möglich gewesen ohne seine außerordentliche Flexibilität und Lernfähigkeit.