Hermann Pius Siller

Letzte Erfahrungen


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und wie sie zum Beispiel in der Unterbrechung des Sabbat einen elementaren, in der Lebenswelt und ihrer Praxis niedergelegten Ausdruck finden.27 Der funktionale Gebrauch von Religion sei es für hygienische, gesundheitliche oder soziale Zwecke sakralisiert nur das biographisch und weltgeschichtlich verhängnisvolle Fatum,28 statt es zu unterbrechen.

       Providenz und Alterität

      Innerhalb der funktionalen Religion kann auch so etwas wie „Vorsehung“ in Gebrauch genommen werden. Es ist dann die Vorhersehbarkeit, die Kalkulierbarkeit des Verhaltens oder das gesellschaftlich zuverlässige Funktionieren gemeint. Jede Wahlprognose, jede Erhebung durchschnittlichen, auch faktischen Verhaltens will Verhalten beeinflussen. Sie erfasst das Individuum in der allgemein vorherrschenden Durchschnittlichkeit. Diese Art von „Vorsehung“ kann politischen Interessen durchaus dienlich sein. In dieser Bedeutung ist „Providenz“ ein Mittel der Manipulation und kann versuchsweise auf alle und jeden angewendet und von jederman in Gebrauch genommen werden. Gibt es keinen Widerhalt, der Providenz dieser Beliebigkeit des Beherrschens entziehen könnte? Oder steckt in der Semantik des Wortes Providenz doch etwas Nichtfunktionalisierbares, etwas Unverfügbares?

       Virtuelle Vorsehung und befreiende Providenz

      Vor kurzem habe ich eine Art Parabel gesehen, was göttliche Providenz nicht ist, wohl aber wie sie als systemische Lenkung annähernd bei uns passiert: den Film „Die Truman Show“. Der Film erzählt das Unternehmen eines Regisseurs, in dem das ganze Leben eines Herrn Truman von seiner Geburt an gefilmt und es nicht nur life, sondern auch synchron zu seinem Leben dem Fernsehpublikum vorgeführt wird. Der Regisseur inszeniert die Totalität dieses Lebens. Alle, die mit dem Protagonisten Truman zu tun haben, sind Schauspieler, sind Rollenträger. Architektur und Landschaft sind Kulisse. Der Regisseur versteht sich selber als „Schöpfer“ dieser totalen virtuellen Welt. Der einzig „echte“ in dieser Schau ist Truman. Er weiß von der bloßen Virtualität dessen, was er für Wirklichkeit hält, nichts. Er hält als einziger alles für echt. Von ca. 5000 Kameras wird er überall und immer gesehen und kontrolliert. Die Filmaufnahmen von ihm sind meist durch das Objektiv der Kamera oder auf dem Monitor des Fernsehpublikums zu sehen. Trumans Entscheidungen sind in jedem Fall vorhergesehen. Unvorhergesehenes wird abgeblockt. Selbst seine Ehefrau wird von einer Schauspielerin dargestellt, wenngleich diese manchmal von der Kälte dieser Aufgabe überfordert ist. Aus ihrer Rolle als Schauspielerin aber fällt eine andere Frau. Da begegnet Truman ein Blick, der mit seiner empfindsamen, verletzbaren Unbedingtheit von jenseits dieser Virtualität herkommt. Diese Rollenträgerin durchbricht ihre Rolle, gerät deshalb in Konflikt mit dem Regisseur, kündigt ihre Rolle auf und findet damit wieder selber auf den Boden der Wirklichkeit. Im kritischen Moment sucht sie Truman ihre eigene und seine Lage verständlich zu machen: „Alles ist gefälscht“; die Filmemacher „wissen alles“. Truman allerdings versteht zunächst nicht. Aber dann fängt er an, das Ganze zu durchschauen. Das Kamerateam ist nicht mehr sicher, ob nicht vielmehr Truman in das Objektiv der Kamera sieht und mit dem Kamerateam spielt. Es gelingt ihm nun, durch ein Loch in der Decke den Augen der omnipräsenten Kameras zu entkommen. Die Kameras suchen ihn, bis sie ihn auf dem Meer in einem Segelboot entdecken auf dem Weg nach „Fidschi“. Der Regisseur versucht ihn mit allen Mitteln zurückzubringen und wieder in seine „Vorsehung“ zu integrieren. Truman fügt sich nicht mehr. Da stößt er mitten auf dem Meer und seinem endlosen Horizont mit einem Krach auf die Kulisse, die diesen Horizont bildet. Es die Grenze der manipulierten Illusion. Der Schöpfer der virtuellen Welt ersucht Truman, doch weiter in der wohlbehüteten Welt seiner Bilder zu bleiben. Truman aber beendet den Film. Er verlässt die für ihn vorgesehene Bilderwelt.