Jörg Alt

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Besteuerungsprinzipien ab, insbesondere das Legalitätsprinzip und das Prinzip der Leistungsfähigkeit mit seinen Dimensionen der vertikalen und horizontalen Gerechtigkeit, nach der „Gleiches gleich und Ungleiches ungleich“ behandelt wird.

      Auf dieser Grundlage erlassen Parlamente und Regierungen Gesetze und Verordnungen, arbeitet die Steuerverwaltung, gründen Gerichte ihre Bewertung von Gesetz und Praxis. Letzteres wiederum kann dazu führen, dass aufgrund einer Entscheidung im Einzelfall geltende Gesetze und Verordnungen für alle angepasst werden müssen. Die Frage ist nun, ob und inwieweit diese Prinzipien innerhalb eines Bundeslands angemessen beachtet werden, aber auch, ob die Prinzipien auf die Bundesrepublik insgesamt gesehen angemessen beachtet werden. Das könnte aber nur eine Überprüfung in allen Bundesländern herausfinden.

      Bei der Anwendung von Gesetzen kommt es nicht nur auf deren Wortlaut an. Wie eine Anhörung von Steuerabteilungsleitern großer Wirtschaftsberatungsgesellschaften 2012 vor dem Britischen Unterhaus ergab, verstoßen viele ‚Steueroptimierungsmodelle‘ nicht gegen den Buchstaben, wohl aber gegen den Geist von Gesetzen, wodurch Vorteile erlangt werden, die vom Gesetzgeber so nicht vorgesehen waren. In diesem Fall spricht man von „aggressiver Steuervermeidung.“

      11 Siehe ausführlicher: http://tinyurl.com/tjp-GER-III

       6 Entwicklungen bei Steuern und Sozialabgaben12

      Um Steuergerechtigkeit in Deutschland angemessen beurteilen zu können, darf die Betrachtung nicht auf Steuern beschränkt werden. Vielmehr müssen Zölle, Beiträge, Gebühren, Sozialabgaben sowie andere Abgaben (etwa für kommunale Dienstleistungen) einbezogen werden, um die Steuerlast international vergleichbar zu machen. Der nachfolgende Schwerpunkt liegt jedoch aufgrund seiner Bedeutung und Auswirkung auf Steuern und Sozialabgaben:

      Zwischen 1946 und 2000 lag der Spitzen-Einkommensteuersatz für die Summe der Einkommen (SdE) aus den verschiedenen Einkommensquellen (Arbeit, Immobilien, Gewerbebetriebe …) stets über 50 %, erst 2001 sank er darunter. Heute liegt die ‚Reichensteuer‘, also die Steuer auf Einkommen von 254.447 Euro und mehr, bei 45 %, was sich mit der Solidaritätsabgabe auf 47,48 % summiert.

      Dabei ist eine Einkommensquelle, die gerade für Reiche von besonderer Bedeutung ist, von der progressiven Einkommensbesteuerung seit 2009 ausgenommen: die Besteuerung von Einnahmen aus Kapital. Diese werden seit 2009 pauschal mit 25 % besteuert, ein Betrag, den die Banken an die Finanzämter abführen, was als Nebenwirkung hat, dass diese Einnahmen nicht mehr gegenüber dem Finanzamt offengelegt werden müssen. Grund für die Senkung war die Erkenntnis, dass jene, die über viel Geld verfügen, auch die Möglichkeiten haben, es außer Landes zu bringen und der Steuer zu entziehen. Peer Steinbrück brachte es unüberbietbar auf den Punkt: „Besser 25 % von X als 45 % von nix.“

      Dennoch liest man immer wieder Schlagzeilen wie „Reiche zahlen schon jetzt die meisten Steuern“. Dass dem so ist, belegt die nachfolgende Tabelle. Aber abgesehen davon, dass die absoluten Zahlen keine Aussagekraft haben, solange sie nicht ins Verhältnis zu Einkommen und Vermögen gesetzt werden, belegen sie zugleich den wachsenden Graben zwischen hohen und niedrigen Summen der Einkommen:

      Tabelle 2 Jahres-Summe der Einkommen (SdE) in Relation zum Anteil an festgesetzter Einkommensteuer (ESt)

      Quelle Einkommensstatistiken des Statistischen Bundesamts

      Aber auch hier kommt es auf weitere Details an. Zunächst einmal ergab die bislang einzige Studie, die umfassend auf anonymisierte Einkommensteuerdaten zugreifen konnte, dass die progressive Wirkung der Einkommensteuer zwar tatsächlich gegeben, aber nicht durchgängig ist: Sie hält an bis zu den Top 0,01 % der Einkommensbezieher, während die Belastung für die Top 0,001 % und 0,0001 % wieder sinkt (Bach, Corneo, & Steiner, 2011a, S. 12).

      Veröffentlichungen des Bundesamts für Statistik zeigen sodann, dass aufgrund der Abgeltungsteuer auf Kapitalvermögen eine Verschiebung bei den Steuereinnahmen aus den verschiedenen Einkommenskategorien zu beobachten ist: Lag der Anteil an Einkommensteuer auf Kapitaleinkünften 2008 am Einkommensteuer-Gesamteinkommen noch bei 3 %, sank sie nach Einführung der Abgeltungsteuer auf 1 %. Gleichzeitig stieg der Anteil der Einkommensteuereinnahmen auf Arbeitseinkommen von 72 % (2008) auf 74 % (2011).

      Sehr niedrige Beträge erwirtschaftet ein weiterer Bereich, der für große Vermögen wichtig ist: der Anteil aus Einkommensteuer auf Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Er liegt konstant bei 2 % – was angesichts der Bedeutung von Immobilien für Großvermögen (siehe 4.3, 10.3) verwundert. Das liegt an hier bestehenden Abschreibungs- und Kosten-Verrechnungsmöglichkeiten, die etwa für Sanierungen geltend gemacht und das zu versteuernde Einkommen senken können, während eine so erfolgende Wertsteigerung der Immobilien unbesteuert bleibt.

      Die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts erhellen einen weiteren Grund, warum die anonymisierte Auswertung von Steuerdaten wichtig für eine gesellschaftspolitische Diskussion von Reichtum wäre: Während die Einkommensteuerstatistik recht exakte Rückschlüsse über das Einkommen von Personen und Haushalten ermöglicht, fehlt ein entsprechender Datensatz für die Berechnung von Vermögen: Dies war mit der Vermögensteuer noch gegeben, die eine Deklarationspflicht von Vermögen gegenüber den Finanzbehörden enthielt. Seit diese suspendiert wurde, basieren Größenschätzungen von Vermögen in Deutschland auf mehr oder minder intelligentem Raten und Spekulation.

      Neben der Einkommensteuer gibt es sodann eine Kategorie ausdrücklicher Vermögensteuern. Schon Bismarck und sein Finanzminister Miquel waren der Auffassung, dass „fundierte Einkommen“, also Einkommen aufgrund von Vermögensbesitz, aufgrund der Privilegierung derer, die sie überhaupt beziehen können, anders besteuert werden sollten als Einkommen durch Arbeit, denn: Einkommen aus Besitz verschafft zusätzliches Einkommen zur persönlichen Arbeit, sichert besser gegen Krankheit und andere Lebensrisiken und verschafft soziales Prestige und Einfluss. Zu nennen wären hier die Vermögensteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie eine als Vermögensteuer ausgestaltete Grundsteuer.

      Nur: Die Grundsteuer ist nicht als Vermögensteuer ausgestaltet, die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist voller Optionen, die insbesondere Großvermögen begünstigen, die Vermögensteuer ist seit 1997 ausgesetzt. Entsprechend belegen OECD-Statistiken, dass Deutschland im internationalen Vergleich hier eher wenig einnimmt. Gründe dafür sind vielfältig: Gegen eine höhere Grundsteuer wird angeführt, dass sie auf Mieter überwälzt werden könne, gegen eine ergiebige Erbschaftsteuer, dass sie Jobs vernichten und überhaupt eine ungerechte Doppelbesteuerung sei, da das Vererbte bereits vom Erblasser versteuert wurde, ähnliche Einwände werden gegen eine Besteuerung von „Vermögenssubstanz“ angeführt.

      Hier bestehende Defizite werden selbst von deutschen Superreichen anerkannt. Der Hamburger Reeder Krämer meinte etwa: „Die Steuern auf Vermögen in den USA, Frankreich und Japan sind im Vergleich zu Deutschland viermal so hoch, in Großbritannien betragen sie sogar das Fünffache! Wenn wir in Deutschland die Steuern auf Vermögen wieder einführen würden, wie es in Frankreich der Fall ist (2,4 Prozent), so würden brutto für den Staat 43,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen fließen“ (Krämer, 2015).

      Ein Fachjournalist wies das Forschungsprojekt darauf hin, dass „die größte Quelle ungleicher, ungerechter Besteuerung die Sozialabgaben für Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung (sind). Sie werden für jeden Euro erhoben, sind wegen der Bemessungsgrenzen de facto degressiv und mehr als ein Drittel des gesamten Volkseinkommens (Selbständige, Beamte, Kapitaleinkünfte und Einkünfte oberhalb der Bemessungsgrenzen) wird gar nicht erfasst!“ Das ist zugegebenermaßen schematisch, aber eben nicht nur. Im Kern stimmen dieser Sicht andere Fachleute und Juristen zu (Borchert, 2014). Da in Deutschland Sozialversicherungspflicht