Holger Dörnemann

Freundschaft


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Zeit immer schwerer wird, die christologische Bestimmtheit der Gnade (und des mit diesem Begriff Gemeinten) und die soteriologische Relevanz der Christologie angemessen zur Sprache zu bringen. Vor diesem Problemhintergrund möchte die vorliegende Studie ihren Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, ob und wie Thomas von Aquin die genannten Engführungen vermeidet; warum und in welcher Weise er Gnadenlehre und Christologie aufeinander bezogen sieht.

       Methode und Gang der Untersuchung

      Trotz des skizzierten Problemhintergrundes, der Thomas von Aquin als interessanten Gesprächspartner auch und gerade für die heutige Theologie ausweist, versteht sich die vorliegende Arbeit als theologiegeschichtliche Analyse, die es vermeidet, eine der Theologie des Aquinaten fremde Frage von außen an ihn heranzutragen oder in ihn hineinzulesen. Dem Bemühen um eine historische und thomasimmanente Analyse, die die Frage nach dem Verhältnis von Gnadenlehre und Christologie aus den thomanischen Texten selbst entwickeln will, entspricht in den Kap. 1-8 der ebenso grundsätzliche Verzicht auf eine direkte Applizierung und Übertragung thomanischer Aussagen auf die aktuelle theologische Diskussion. Erst in Kap. 9 werden der Gegenwartsbezug und die Aktualität der Ergebnisse der Arbeit reflektiert.

      Die methodologische Vorentscheidung, die Frage nach dem Verhältnis von Gnadenlehre und Christologie aus den thomanischen Texten selbst zu erarbeiten, ist zugleich auch der Grund dafür, die Fragestellung nicht durch einen Vergleich der unterschiedlichen Positionen und Lösungsansätze der älteren und jüngeren Thomasforschung anzugehen. Die Befürchtung, durch einen zu unvermittelten Einstieg in die zu lösende Aufgabe die eigentlichen Pointen der thomanischen Argumentation zu verfehlen und der Originalität des thomanischen Entwurfes nicht ansichtig zu werden, legt ein methodisches Vorgehen nahe, das die Theologie des Thomas unter einer grundsätzlicheren Perspektive befragt, die ‘weit’ genug ist, nicht ihrerseits den Lösungsansatz des Thomas zu verpassen, und andererseits hinreichend ‘eng’, sich in der Weite der thomanischen Theologie nicht zu verlieren.

      Nicht die direkte Konfrontation von Gnadenlehre und Christologie, sondern die allgemeinere Frage nach den Voraussetzungen für die Erlangung von Gnade und Glückseligkeit bestimmt das methodische Vorgehen der Untersuchung.

      Aufgrund der Entscheidung für diese Fragestellung konzentriert sich die Untersuchung auf das theologische Hauptwerk des Thomas, die Summa Theologiae (STh). Entlang ihrer Systematik werden die übrigen theologischen Werke des Thomas subsidiär (zumeist in den Anmerkungen) herangezogen.

      Daß die Frage nach der Erlangung von Gnade und Glückseligkeit von der Argumentation der STh her ihre Berechtigung erfährt, wird innerhalb des Ersten Teiles der Arbeit deutlich: Der Weg des Menschen zu Gott in Freiheit und Gnade.

      In Kap. 1 werden die Grundzüge der thomanischen Ethik und Anthropologie entfaltet: Indem die Bild-Gottes-Theologie (STh I 93) und die Glückseligkeitslehre (STh I-II 1-5) skizziert werden und auf die Bedeutung der menschlichen Handlungsvermögen (Vernunft; Wille; Affekte) und Handlungsprinzipien (Habitus; Tugenden; Theologische bzw. ‘übernatürliche’ Tugenden) eingegangen wird (STh I-II 6-70), steht gleich im Eingangskapitel die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher Freiheit und der Gnade bei der Erlangung der Glückseligkeit im Mittelpunkt der Untersuchung. Es scheint, als wolle Thomas mit der wechselseitigen Betonung von menschlicher Freiheit und Gnade eher ein Paradox beschreiben als eine abschließende Lösung vorlegen. So bleiben gegen Ende des ersten Kapitels die Fragen offen, was Thomas unter der Gnade Gottes versteht, wie der Mensch ihrer teilhaftig wird und wie sich menschliche Freiheit und Gnade zueinander verhalten.

      Diese Fragen werden in Kap. 2 in der Gnadenlehre der STh (STh I-II 106-114) untersucht. Im Blick auf das Verhältnis von göttlichem und menschlichem Wirken in der Begnadung zeigt sich, daß sich auch in der Gnadenlehre neben Texten, die ausdrücklich die Vorgängigkeit der Gnade Gottes betonen, ebenso zahlreiche Aussagen des Thomas finden, die auf den Beitrag des Menschen zur Erlangung der Gnade Wert legen. Doch auch wenn es nach der Durchsicht weiter Teile der Gnadenlehre zunächst so scheinen mag, als ob mit der wechselseitigen Akzentuierung der Bedeutung des Beitrags des Menschen und der Gnade Gottes die Position des Thomas abschließend bestimmt wäre, stellt sich die Frage nach dem ‘Zueinander’ von göttlichem und menschlichem Wirken dort auf unerwartet neue Weise, wo Thomas auf die Bedeutung des Glaubens für die Erlangung der Gnade eingeht. Die Frage nach Voraussetzungen für die Erlangung der Gnade wandelt sich - so die These am Ende von Kap. 2 - in die Frage nach den Konstitutionsbedingungen von Glaube, Hoffnung und Liebe.

      Im Anschluß an die vorausgegangenen Überlegungen stehen im Zweiten Teil der Arbeit die Theologischen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe (STh II-II 1-44), im Mittelpunkt der Untersuchung: Der Weg des Menschen zu Gott in Glaube, Hoffnung und Liebe.

      In den in Kap. 3 untersuchten Quästionen über den Glauben (STh II-II 1-16) zeigt sich, daß die Betonung der Gottgewirktheit des Glaubens der Annahme weiterer natürlicher Glaubensvoraussetzungen nicht widerspricht. Mit Blick auf die Bedeutung natürlicher Erkenntnis und personaler Bezeugung, auf das den Glauben kennzeichnende Beieinander von intellektivem Erfassen und willentlicher Zustimmung und auf diejenigen Textpassagen, in denen der Glaube an das Heilsereignis in Jesus Christus zurückgebunden wird, ist gegen Ende von Kap. 3 eine Synthese möglich, die - entgegen dem ersten Augenschein und trotz vieler zunächst noch offen bleibender Fragen - Hinweise auf eine christozentrische Konzeption des Glaubenstraktates gibt.

      Auch Kap. 4, in dem die Tugend der Hoffnung (STh II-II 17-22) untersucht wird, bestätigt, daß ‘natürliche’ Voraussetzungen der ‘Übernatürlichkeit’ der Hoffnung nicht widerstreiten. Die enge konzeptionelle Verbindung von Glaube, Hoffnung und Liebe weist zugleich darauf hin, daß die Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen für die Erlangung der Hoffnung erst durch eine Zusammenschau der Konstitutionsbedingungen aller drei Theologischen Tugenden möglich ist.

      In Kap. 5 zeigt sich, wie sehr der (auf Aristoteles zurückgehende) Freundschaftsgedanke den Traktat über die Gottesliebe (STh II-II 23-44) bestimmt. Mit der Freundschaftskategorie werden der Tugendcharakter der Gottesliebe, ihre Bedeutung für die anderen Tugenden herausgearbeitet und die Frage nach dem ‘Maß’ der Gottesliebe beantwortbar. Ebenso erschließen sich mit dem Verständnis der Gottesliebe als Freundschaft auch die Gedanken über die gestufte Entfaltung der Gottesliebe und über die Einheit von Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe. Die auffallend häufige Bezugnahme auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles ist Anlaß dafür, der eingehenderen Untersuchung der Konstitutionsbedingungen der »caritas« (und der Zusammenschau aller Konstitutionsbedingungen der Theologischen Tugenden) eine zusammenhängende Darstellung der aristotelischen Freundschaftslehre voranzustellen.

      Der Dritte Teil der Arbeit fragt nach der Bedeutung der Freundschaftskategorie für das Verständnis der - in Gnaden-, Tugendlehre und Christologie entfalteten - Soteriologie der STh. Der Dritte Teil trägt den Titel: Der Weg des Menschen zu Gott in Freundschaft.

      Kap. 6 geht neben der Darstellung der aristotelischen Freundschaftslehre der Nikomachischen Ethik (NE) vor allem auf den Zusammenhang von Freundschaft, Tugendhaftigkeit, Glückseligkeit und Selbstliebe ein.

      Daran anschließend weist Kap.