hin. Über die Darstellung der - je nach Heilszeit (‘vor der Sünde’; ‘nach der Sünde’; ‘durch Christus’) - wechselnden Bedingungen einer Gemeinschaft des Menschen mit Gott nach der Lehre der STh wird die zentrale Bedeutung des Christusereignisses für die Erlangung von Gnade und Glückseligkeit expliziert, und die unterschiedlichen Erlösungsmodelle (Verdienst, Genugtuung, Opfer, Loskauf, Wirksamkeit) werden in ihrer Interpretationskraft und Leistungsfähigkeit überprüft. Gegen Ende von Kap. 7 stellt sich die Frage, ob sich das in allen Erlösungsmodellen nachweisbare soteriologische Motiv einer ‘zur Liebe befreienden Liebe’ mit der Freundschaftskategorie noch tiefer verstehen läßt.
Diese Frage systematisch zu durchdenken, ist Aufgabe von Kap. 8. Hier werden die Ergebnisse der vorausgegangenen Kapitel zusammengeführt. Aus anthropologischer Perspektive gelingt es, die - in Gnaden-, Tugendlehre und Christologie entfaltete - Soteriologie mit der Freundschaftskategorie zu erschließen. Es wird gezeigt, daß sich mit Hilfe des Freundschaftsparadigmas die Bedeutung der menschlichen Freiheit in der Erlösung explizieren läßt, ohne das ‘Voraus’ des göttlichen Wirkens in Abrede zu stellen.
Kap. 9 dient der Zusammenfassung und Wiederholung der in den vorangegangenen Kapiteln erarbeiteten Ergebnisse, versucht nun aber auch, die Kernthese dieser Arbeit in verschiedene Richtungen weiterzudenken und den Gegenwartsbezug der thomanischen Theologie zu erschließen.
Zunächst wird auf das Verhältnis des thomanischen Gesetzesbegriffs zu seinem Tugend- und Freundschaftsverständnis in der STh eingegangen (Kap. 9.1.a), um von da aus Leitsätze für eine an Thomas orientierte Theologische Ethik zu formulieren (Kap. 9.1.b; Thesen 1 und 2). Sodann schließt sich die - in Kap. 8 ausgeklammerte - Frage nach der Möglichkeit einer Freundschaft in den beiden anderen noch nicht eingehend untersuchten ‘Heilszeiten’ an, also ‘vor’ bzw. ‘nach’ der sichtbar gewordenen Liebe in Jesus Christus (Kap. 9.2.a). Da sich die Kernthese der Arbeit im Blick auf die ‘drei Heilszeiten’ bewährt, werden mit dem Freundschaftsparadigma Anstöße zu Antworten auf gleich mehrere brennende Fragen der heutigen systematischen Theologie vorgelegt (Kap. 9.2.b): denn das Freundschaftsparadigma ermöglicht nicht nur eine Zusammenschau von Gnadenlehre und Christologie, sondern ist auch dazu geeignet, die Bedeutung der ‘menschlichen Freiheit’ in der Erlösung (These 3) und die geschichtliche Dimension des Christentums zu explizieren (These 4). Im direkten Anschluß daran wird - vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Arbeit, und so z. T. in Absetzung und in Weiterführung von Positionen der bisherigen Thomasforschung - in einem abschließenden letzten Abschnitt die nicht nur im Blick auf die Konzeption der STh interessante Frage nach dem ‘Plan der Summa’ untersucht (These 5).
Zur Durchführung
Das umfangreiche Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit gibt dem Leser einen Eindruck von der Masse an Sekundärliteratur, die einem Thomas-Interpreten heute entgegentritt. Die Quantität der allein in den letzten 50 Jahren erschienenen Titel mag man als erfreuliches Indiz für die bleibende Aktualität des Thomas von Aquin und seiner Theologie auch in der heutigen Zeit werten; die Fülle der Sekundärliteratur ist jedoch zugleich immer auch eine Bürde für jeden Thomas-Forscher; ist sie doch nicht selten der Grund dafür, daß den meisten der im Literaturverzeichnis genannten Titeln nur ein sehr begrenzter, überschaubarer Themenbereich und Textbestand zugrundegelegt wird. ‘Breiter’ angelegte Studien haben es demgegenüber grundsätzlich mit dem Problem zu tun, die umfänglichere Textbasis mit der proportional dazu anwachsenden Literatur bewältigen und einbeziehen zu müssen. Sie stehen darüber hinaus ständig in der Gefahr, über die Diskussion der Sekundärliteratur die Textarbeit zu vernachlässigen.
Für die vorliegende Studie, die über die in den einzelnen Kapiteln abgehandelten Themenbereiche ihren Textbestand in allen Teilen der STh aufsuchen muß, legt sich - aus den oben ausgeführten Gründen - eine konsequente Textarbeit nahe: Über die sich von Kapitel zu Kapitel wandelnde Frage nach den Voraussetzungen für die Erlangung der Glückseligkeit wird eine Zusammenschau der unterschiedlichen Traktate und Sachbereiche angestrebt, die darauf abzielt, die Soteriologie der STh insgesamt in einem neuen Licht zu lesen. Ein Preis des skizzierten Vorhabens, eine ‘neue Sicht’ auf die Theologie des Thomas von Aquin zu ermöglichen, ist es sicherlich, daß durch die komprimierte und kurzgefaßte Darstellung der einzelnen Textabschnitte und Themenkreise der Diskussion der Sekundärliteratur ein begrenzterer Platz eingeräumt wird, als dies in den meisten wissenschaftlichen Abhandlungen zur Theologie des Aquinaten gemeinhin üblich ist.15 Jeder der einzelnen Sachbereiche hätte eine ausführlichere Diskussion verdient, als dies vor dem Hintergrund der genannten Fragestellung möglich ist, und fast jeder von diesen könnte je für sich Gegenstand einer eigenen Studie sein - wenn es dem Verfasser auch scheinen will, daß die einzelnen Traktate erst vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit explizierten These wieder für die heutige Zeit zu sprechen beginnen. Der Leser möge nach Lektüre von Kapitel 8 und 9 selbst beurteilen, ob sich der eingeschlagene Weg für die vorliegende Arbeit bewährt hat.
1 G. Greshake, Der Wandel der Erlösungsvorstellungen in der Theologiegeschichte, in: Ders., Gottes Heil - Glück des Menschen, 50-79.
2 Vgl. ebd., 64.
3 Ebd., 65.
4 Vgl. ebd., 69.
5 Vgl. ebd., 72.
6 Vgl. ebd., 71.
7 Th. Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 87, Anm. 146.
8 Ebd., 102.
9 Ebd.
10 G. Greshake, Der Wandel der Erlösungsvorstellungen in der Theologiegeschichte, 72.
11 H. Kessler, Die theologische Bedeutung des Todes Jesu, 167-225.
12 M. Seckler, Das Haupt aller Menschen, 107-125.
13 Vgl. z.B.: STh I-II 112,1 ad 2.
14 Vgl. z.B.: STh I-II 106,1.
15 Zu Beginn der einzelnen Kapitel werden in den Anmerkungen vor allem die neueren Forschungsbeiträge genannt. Im Literaturverzeichnis sind darüber hinaus auch einige Titel aufgeführt, die zwar in der Arbeit selbst nicht eigens Erwähnung finden, aber der Vollständigkeit halber aufgenommen worden sind. Als ständige Bezugsgrößen in den jeweiligen Kapiteln seien besonders hervorgehoben: W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin; H. Kessler, Die theologische Bedeutung des Todes Jesu; K.-W. Merks, Theologische Grundlegung der sittlichen Autonomie; O.H. Pesch, Die Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin; ders., Thomas von Aquin; ders., / A. Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung; E. Schockenhoff, Bonum hominis; M. Seckler, Das Heil in der Geschichte.
1. Kapitel: Grundzüge der Theologischen Anthropologie und Ethik der STh des Thomas von Aquin und die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher Freiheit und Gnade zur Erlangung der ‘vollkommenen’ Glückseligkeit
1.1 Das theologische Rahmenprogramm der thomanischen Anthropologie und Ethik in der STh: Der Mensch als ‘Abbild Gottes’ (»imago Dei«) und seine Ausrichtung auf die Glückseligkeit (»beatitudo«)
a) Die Gottebenbildlichkeit des Menschen in Vernunft und Wille