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Gewalt im Spiegel alttestamentlicher Texte


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       1. Hinführungen zum Thema und Fragestellungen

      Der Vers 1Sam 18,7 unterbreitet ein Lied, das auf Gewaltausübungen eingeht. Der Wortlaut fällt kurz aus. Er nennt namentlich Saul und David, die Gewaltschläge vollzogen haben, und erwähnt mit Zahlenangaben diejenigen, welche von ihren Schlägen getroffen wurden.

      Saul schlug seine Tausende (Image), und David seine Zehntausende (Image).2

      Der Gesang wird innerhalb des ersten Buches Samuel noch zum geflügelten Wort werden. Er wird späterhin am Königshof zu Gat (21,12) und unter den Obersten der Philister (29,5) zitiert. Erstmals tragen in 1Sam 18 Frauen in Israel den Gesang vor. Die folgenden Erörterungen konzentrieren sich auf die Einbettung dieses Gesanges in das Kapitel 1Sam 18. Dabei werden Hintergründe beachtet und herangezogen, die sich aus den Kontexten dieses Kapitels ergeben.3

      Was sich in der erzählten Welt rund um das Erklingen des Liedes in 1Sam 18,7 ereignet, hat Georg Hentschel zutreffend „die große Wende zwischen Saul und David“ genannt. Hier ändert sich das bislang „gute Verhältnis“ zwischen Saul und David „schlagartig“.4 Schon bei einem ersten Lesen der Texte legt es sich nahe, dass das Lied einen Anteil an dieser Veränderung hat. Dieser Anteil kann detaillierter beschrieben und erfasst werden, wenn man den Figuren in den Texten im Einzelnen nachgeht.

      Von daher ergeben sich für die folgenden Untersuchungen die einzelnen Fragestellungen, die sich auf einen möglichen Leseprozess beziehen: Was macht die Figuren aus und welche Konstellationen gibt es unter diesen Figuren, während der Gesang erklingt? Welche konkreten Folgen und welcher Widerhall sind dann anschließend bei den Figuren zu verzeichnen, nachdem der Gesang unter ihnen erklungen ist? Im Liedtext haben Saul und David ja bereits geschlagen. Nach dem Singen der Frauen setzen beide Männer das Schlagen fort (18,11; 18,27). Gibt es Zusammenhänge zwischen den besungenen Schlägen und den anschließend ausgeführten Schlägen? Wenn ja, wie sehen diese Zusammenhänge aus?

      Bei dem sich daraus ergebenden Thema geht es also um eine besungene Gewalt und darum, wie deren Erklingen eingebettet ist, auf welche Weise dieser Gesang weitere Gewalt mitbewirkt haben kann und wie die besungene Gewalt weiter ausgeleuchtet wird.

      Die antiken Versionen zu 1Sam bieten bekanntlich unterschiedliche Textgestalten. Formen der Septuaginta weichen teilweise deutlich von hebräischen Texten ab.5 Die folgenden Untersuchungen werden sich allein auf den Masoretischen Text beziehen.

      Die Analysen haben beim ersten Abschnitt in Kapitel 18 einzusetzen. Denn die Verse 18,1–5 gehen dem Auftritt der Frauen voraus und leuchten die Situationen unter den Figuren aus, in denen der Gesang der Frauen zu stehen kommt. Diese Ausleuchtung ist also als erstes zu analysieren.

       2. Der inoffizielle neue König (1Sam 18,1–5)

      Die Verse 18,1–5 folgen auf den Redewechsel zwischen Saul und David nach dem Sieg über Goliat. Diese fünf Verse enthalten keine Reden, sondern nur Erzähltext. David ist in allen Versen präsent. Der Wechsel bei den anderen Figuren ist auffällig. Nacheinander sind mit David befasst: Jonatan (V. 1), Saul (V. 2), Jonatan (V. 3–4) und Saul (V. 5). Jonatan und Saul entwickeln aber keine konkreten Gemeinsamkeiten in Bezug auf David. Jonatan und Saul handeln nebeneinander6 und nicht Hand in Hand.7

      Saul nimmt David zunächst zu sich und gestattet ihm keine Rückkehr ins Vaterhaus (18,2).8 Bei der Wendung für nicht-gestatten9 schwingt ein Nicht-Geben mit: ... Image. Als Geber im Sinne von Image tritt aber Jonatan David entgegen, wenn er ihm Kleidung und Waffen reicht (18,4).10 David hatte zuvor Steine geschleudert (1Sam 17,40.49.50); nun kann er fortan mit konventioneller Ausrüstung Züge unternehmen11 und das Militär anführen, wozu ihn anschließend Saul unabhängig von Jonatans Darreichungen bestellt (18,5).

      Die Formulierungen in 18,4 heben von Jonatans fünf Gaben den Mantel heraus.12 Nur ihn legt Jonatan ausdrücklich ab.13 Ob dieses Gewand Jonatans Eigentum gewesen ist, wird im Text nicht deutlich. Kleider, Schwert, Bogen und Gurt sind als die seinen ausgewiesen. Aber es ist von „dem Mantel“, Image, die Rede, und es heißt lediglich, dass Jonatan ihn getragen hat. Warum gibt es solche Besonderheiten beim Mantel? Eine Antwort auf die Frage wird durch eine Leseperspektive nahegelegt. Versteht man den Mantel auf der literarisch aufgebauten Bühne des ersten Samuelbuches als eine Requisite, der ein Wiedererkennungseffekt zueigen ist, kann dieses Gewand das Königtum assoziieren lassen.14 Das Wort für Mantel, Image, kam jedenfalls das letzte Mal in 1Sam 15,27–28 vor.

      1Sam 15,27–28: 27 Und Samuel wandte sich, um zu gehen. Und er ergriff

      den Zipfel seines Mantels (Image). Und er riss (Image). 28 Und Samuel sagte zu ihm (= Saul)15: Gerissen hat (Image) JHWH an diesem Tag die Königsherrschaft Israels (Image) von dir, und er hat sie deinem Nächsten gegeben, der besser ist als du.16

      Annett Gierke-Ungermann hat gezeigt, wie die Formulierungen in 15,27 offen lassen, um wessen Mantel es sich handelt, Samuels oder Sauls, und wer von den beiden den Mantel einriss.17 Klarer fällt aber Samuels Deutung des Geschehens in 15,28 aus: Der Riss des betreffenden Mantels „symbolisiert ... die Königsherrschaft Sauls“18 und vor allem das, was mit der Herrschaft geschieht. JHWH hat Saul das Königtum entrissen und einem Anderen, einem Besseren übertragen (vgl. 1Sam 28,17)19.

      Die Requisite Mantel überreicht in 18,4 Jonatan, der Sohn des momentanen Königs Saul. Jonatan hätte in der erzählten Welt eigentlich selber „am ehesten Anspruch auf die künftige Königswürde“20 gehabt (vgl. 1Sam 20,30–32). Wenn nun ausgerechnet Jonatan den mit dem Königtum assoziierten Mantel übergibt, kann das anzeigen, dass er David als kommenden König ansieht und ihn als solchen anerkennt.21 Diese Annahme22 gewinnt an Plausibilität durch weitere Beobachtungen.

      Jonatan übergibt in 18,4 nicht nur ein Gewand.23 Vor den drei Image-Wendungen in diesem Vers wird „seine Kleidung“ im Plural erwähnt: Image.24 Von solcher – ebenfalls im Plural – war zuletzt vor dem Kampf mit Goliat die Rede, als Saul mit eigener Kleidung und mit einer Rüstung David für den Kampf ausstatten wollte (17,38–39).

      1Sam 17,38–39: 38 Und Saul zog David seine Kleidung (Image) an und setzte einen bronzenen Helm auf sein Haupt und zog ihm einen Schuppenpanzer an. 39 Und David gürtete sein Schwert über dessen Kleidung (Image) ...

      Auf Sauls Kleidung gürtete David wohl sein eigenes Schwert.25 Kleider und Rüstung behinderten jedoch David beim Schreiten. So legte David alles wieder ab. Dadurch entsteht dann das literarische Bild, dass der Hirtenjunge David ungeschützt dem Recken Goliat entgegentritt und ihn trotzdem niederstrecken kann. – Auf einer ersten Ebene, bei der es in 1Sam 17 ums Praktisch-Nützliche geht, wollte Saul David sicherlich ausrüsten und kampffähig machen. Hinzu kommt aber durch den Kontext