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Gewalt im Spiegel alttestamentlicher Texte


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Satzes in 18,8 ist nicht ganz klar (Image). Nach Stoebe und anderen schließt das Image „die Bedeutung des Fehlens“67 ein. Daher übersetzt Stoebe wie meist üblich: „nun es fehlt ihm (= David) ja nur noch das Königtum“. Ein anderer Trend in der Forschung geht davon aus, dass im Vers 18,8 das vorherige zweimalige Verb „geben“ (Image) am Ende in Gedanken zu ergänzen sei. Im Vers ist schließlich der letzte Benifizient Image mit dem ersten Image identisch:68 „und sie (= die Frauen) werden ihm auch noch das Königtum geben!“69 Wie dem auch sei,70 in Sauls Überlegungen und Selbstgespräch ist damit offenkundig das angekommen, was die Lesenden bereits wissen sowie bewegen dürfte und was zudem in der erzählten Welt zuletzt Jonatan bei seinem Verhalten angetrieben hat. David ist der Herrscher in spe, während Saul die Herrscherstellung innehat.

      Neben ideologischen Grundlagen des Königseins, wie göttlicher Erwählung und Salbung, gehört es bei einem Regenten dazu, dass er vom gesellschaftlichen Netz als König angesehen wird und dass er von solchem Ansehen auch ausgehen kann. Es geht um ein Ansehen im doppelten Sinn des Wortes, wobei der zweite Sinn auch die schillernde Kategorie der Ehre inkludiert. Diese Kategorie ist in den Texten von 1Sam 18 zwar nicht direkt verbalisiert, die Sache schwingt aber mit, und lässt sich als Interpretament heranziehen. Als hilfreich erweisen sich dabei die Begriffsbestimmungen, wie sie Jan Dietrich71 vorgenommen hat und die hier aufgegriffen werden sollen. Demnach ist eine Unterscheidung angebracht. Die Königsehre ist als Statusehre ein begrenztes Gut. In der erzählten Welt kann nur einer König sein. Diese Statusehre ist hier Saul zueigen. Auf ihn als „den König“ gehen die singenden Städterinnen zu.

      Doch da die Statusehre ein begrenztes Gut ist, kann sich – je nach Umständen – auch ein Wettbewerb darum in der Form von „Herausforderung (challenge) und Erwiderung (response)“72 ereignen. Mit der Statusehre konkurriert hier die Ruhmesehre, vor allem und zuerst in den Augen Sauls. Ruhm wird erworben durch Leistungen, die bekannt und als solche auch anerkannt worden sind.73 Ruhm ist zunächst an keinen Rang und Stand gebunden. Ruhm kann auch ein einfacher Hirtenjunge wie David erwerben. Ruhm kann aber einen Status verleihen.74 Und das konstruiert hier Saul selbst: Es fehlt David nur noch das Königtum. Mit solch eigenem Konstrukt tangiert Saul hier das Wissen der Lesenden.

      Fortan wird Saul das selbst Zurechtgelegte für sich mehrfach als eigene Herausforderung nehmen und darauf – in übler Weise – antworten wollen. Wie und wo sein Antworten beginnt, ist nun genauer zu eruieren. Hierbei spielt eine Rolle, in welcher Weise sich der nächste Abschnitt 18,10–13 an den Abschnitt 18,6–9 anschließt. Im folgenden Punkt ist der Anschluss zu klären und auf diesem Weg zu zeigen, dass besungene Gewalt in Kap. 18 mitursächlich Gewaltausübung erzeugt.

       4. Mordversuch und Musik (1Sam 18,10–13)

      Der Abschnitt 18,10–13 enthält bis auf ein kurzes Selbstgespräch Sauls nur Erzähltext. Die ersten Sätze sind auf Saul konzentriert, die letzten auf David. Dazwischen werden David und Saul zusammen in den Blick genommen. Der Abschnitt siedelt die ersten Handlungen am Tag nach dem Auftritt der Frauen an. Ereignet sich am neuen Tag ein unabhängiger Zusammenhang? Wohl kaum. Es lässt sich nämlich zeigen, dass die Abschnitte 18,6–9 und 18,10–13 fast wie Ursachen und Folgen zusammenhängen, wenn man vorausgehende Kapitel und Texte in 1Sam mitliest.

      Vor allem knüpft Vers 18,10 breit an Erzähltes im ersten Buch Samuel an, greift Fäden im Erzählten auf, verwebt die Fäden aber neuartig.

      Ein böser Gottesgeist überkommt Saul in 18,10: „... da durchdrang ein böser Geist Gottes Saul (Image).“ Damit wird den Lesenden erneut 1Sam 16,14–23 wachgerufen. Dort wurde ähnlich mit unterschiedlichen Wendungen dargelegt, dass ein böser Geist Saul beherrschen kann (16,14.15.16.23) und in Schrecken versetzt (16,14.15).75 Um dem abzuhelfen, wurde in Kap. 16 David zu Saul gebracht. Mit seinem Saitenspiel (16,23; vgl. 16,16,17.18) konnte David dem vom Geist beherrschten Saul Erleichterung verschaffen, was Saul guttat und den bösen Geist weichen ließ. Man deutet dies bekanntlich in der Literatur mit dem Begriff der Musiktherapie.

      Auch in 18,10 ist David mit dem Saitenspiel befasst. Daher ist für einige Auslegungen die Assoziation naheliegend, dass David in 18,10 erneut Musiktherapie angesichts des bösen Geistes betreibe.76 Die Therapie würde diesmal scheitern, da der böse Geist nicht weicht und Saul stattdessen David aufspießen will.77

      Doch der Vers 18,10 setzt wohl andere Akzente.78 David agiert hier vermutlich nicht bezogen auf Sauls Geisteszustand und spielt auch nicht zwecks Linderung auf. Denn der böse Geist kommt zeitlich genau eingeordnet „am anderen/am folgenden Tage“ (Image). David hingegen spielt wie immer: „wie Tag für Tag“ (Image)79. Das nahm sich in 1Sam 16 noch anders aus. Dort griff David in unmittelbarer Reaktion auf Sauls Geisteszustand in die Saiten:

      1Sam 16,16.23: ... 16 Und wenn der böse Gottesgeist auf dir ist, wird er in die Saiten greifen (Image) ... 23 Und wenn Gottesgeist auf Saul war, nahm David die Leier und griff in die Saiten (Image) ...

      Man darf also annehmen, dass David in 18,10 unabhängig von Sauls Zustand spielt. Schließlich hatte in Kap. 16 ein Knecht am Hofe Sauls auf David aufmerksam gemacht und dabei sechs seiner Eigenschaften benannt. Die erste lautet: „er versteht es, Saiten zu spielen“ (16,18 Image).80 So liegt es nahe, dass David in 18,10 einfach nur seiner Leidenschaft frönt.

      Neu gegenüber Kap. 16 ist in 18,10, wie die erste Wirkung des Geistes auf Saul ausfällt. Sie versetzt ihn in prophetische Erregung (Image). Solche Erregung hatte Saul erstmals bereits in 1Sam 10 ereilt.81 Kap. 10 wird nicht zuletzt dadurch zum weiteren und zugleich sehr bedeutsamen Lesehintergrund für Kap. 18. In diesem Kapitel 10 hatte Samuel Saul zum Fürsten (10,1 Image) gesalbt und dabei dargelegt, dass Saul gleich drei Begegnungen haben werde. Die dritte Begegnung steht dabei im Mittelpunkt.82 Saul werde auf eine Schar Propheten treffen, die prophetisch erregt sind. Dabei werde JHWHs Geist über Saul kommen, er in prophetische Erregung geraten und in einen anderen Mann verwandelt werden:

      1Sam 10,6: Und der Geist JHWHs dringt auf dich ein (Image), und du gerätst mit ihnen in prophetische Erregung (Image) und verwandelst dich in einen anderen Mann.

      Samuels Worte in 10,5–6 eröffnen damit das, was dann im weiteren Erzählgang Saul u.a. auch kennzeichnen wird. Etwa Sauls Gelenktwerden durch eine Geistmacht, die Frage nach seinem Anteil am Prophetentum (10,11.12; 19,24) und seine prophetischen Erregungen.

      Die spezielle Geschichte des Geist-Einflusses auf Saul kennt eine Wende. Bei der Bedrohung durch die Ammoniter drang in 11,6 noch der Geist Gottes auf Saul ein;83 darauf sammelte Saul Israel und führte es zum Sieg. Kap. 16 schildert dann die ausschlaggebende Veränderung. Nachdem der Geist JHWHs den gerade gesalbten David für immer durchdrungen hatte (16,13), wich derselbe Geist von Saul (16,14). Sogleich geriet Saul unter den