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Gewalt im Spiegel alttestamentlicher Texte


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er dabei David mit einem Speer zu töten (18,10; 19,9; in 19,23 nur „Geist Gottes“).84

      Sauls prophetische Erregungen bleiben im Erzählgang mit einer Geistmacht verknüpft (10,6.10; vgl. 10,11.13; 19,23.24)85 und sie unterliegen vermutlich einer ähnlichen Wende. So schildert Kap. 19 einen erregten Saul, der sich seiner Kleider entblößt und nackt vor Samuel liegt. Aber schon zuvor und allein in 18,10 ist Sauls prophetische Erregung mit dem explizit „bösen“ Gottesgeist verknüpft.86

      Für das lesende Verfolgen dieser Fäden, des Geisteinflusses auf Saul und seiner prophetischen Erregung, hält ihr Ausgangspunkt, Samuels Rede in Kap. 10, ein erhellendes Signal bereit. Das Signal hat die Forschung m.E. nicht gebührend gewürdigt. In Samuels Worten befindet sich vor der Schar der Propheten, auf die Saul treffen wird, ein Orchester von Musikinstrumenten:

      1Sam 10,5: ... und du stößt auf eine Schar Propheten ... vor ihnen her Harfe, Handtrommel (Image), Flöte und Zither (Image) ...

      Damit fängt in Kap. 10 eine weitere Erzähllinie an, zu der Musikinstrumente und Sauls Empfänglichkeit für solche Musik gehören. U.a. die Zither geht der Prophetenschar voraus, in der Saul erstmals ein göttlicher Geist durchdrang. Nach der Wende bei Saul zum bösen Geist kann nur der geübte Spieler David (16,16 Image) mit der Zither in der Hand diesen Ungeist in Saul beherrschen (16,23 Image).

      Auf ein Orchester aber trifft Saul erst erneut bei den Frauen aus allen Städten Israels in 18,6–7. Die Handtrommel ist ein Markenzeichen ihres Frauentanzes (18,6 Plural Image),87 und die Trommel schritt ebenso der Prophetenschar voraus. Die Schar der Propheten bewegte sich in 10,10 auf Saul so ähnlich zu (Image), wie es dann nach der Wende die Frauen in 18,6 tun werden (Image). Und Saul ergriff nach der Begegnung mit den Frauen erneut ein Gottesgeist (18,10).

      Entscheidend ist nun, dass diese Linien88 im Hintergrund die Lesenden dazu anleiten dürften, Sauls Veränderungen in 18,10 mit der Performance der Frauen in 18,6–7 eng zusammen zu sehen. Die Ereignis- und Satzfolge ‚Eindringen (Image) eines Geistes89 und prophetische Erregung (Image)’ gibt es im MT nur dreimal und geht stets auf Saul ein: Zweimal nach seiner Zusammenkunft mit der Prophetenschar (10,10), denen in Samuels Ankündigung Instrumente vorausgehen (10,5–6 und 10,10); einmal am Tag90 (18,10) nach seiner Begegnung mit den Frauen, die Instrumente benutzen.91

      Sauls geistiger Zustand und seine Erregung in 18,10 sind also konkret zurückbezogen auf den Auftritt der Frauen und dessen Widerhall bei Saul wahrzunehmen. Das weist der Einordnung von Abschnitt 18,10–13 eine klare Richtung zu.

      In 18,11 fällt die Reihenfolge auf, dass Saul den Speer wirft und erst danach seine Absicht dabei im Selbstgespräch (Image) eingeblendet wird: „Ich will David an die Wand schlagen (Image).“ Solch zitierter Gedanke Sauls kommt beim späteren zweiten Speerwurf Sauls gegen David nicht vor (19,8–10; vgl. 20,3392). In 18,11 macht das Selbstgespräch Sauls aber insofern einen literarischen Sinn, als sich Saul in der Szene kurz zuvor ebenso in einem Selbstgespräch (Image) mit dem Lied der Frauen intensiv auseinandergesetzt hat (18,8–9). In 18,11 dürfte Sauls Rede so die Diktion der Frauen im Liedtext aufgreifen: schlagen jemand, Image mit Image (18,7).93 Für Shimon Bar-Efrat hebt das Leitwort von Kap. 18 „schlagen (Image)“ hier auf ein folgenreiches Ineinander der Begebenheiten ab, wenn er kurzbündig festhält: Es „singen die Frauen: ‚Saul hat seine Tausend erschlagen (Image), David seine Zehntausend’ (V.7). Das bringt Saul dazu, dass er seine Lanze ergreift und denkt: ‚Ich will David an die Wand schlagen (Image)’ (V.11).“94 Beim Speerwurf ist der für Musik empfängliche Saul so innerlich noch mit dem Gesang befasst, und Saul versucht den zu erschlagen, dem das Lied öffentlich angeblich mehr Schlagvermögen zuschrieben hat.

      Die spätere zweite Speerwurfbegebenheit in 19,8–10 bestätigt den Lesenden indirekt von ihrem narrativen Inhalt her, dass Saul in der ersten Begebenheit aufgrund des besungenen Schlagvermögens auf David einschlug. Trotz Modifikationen in den Schilderungen beider Begebenheiten ähneln sich deutlich ihre Umstände und Sequenzen. Beide Speerwurfszenen erhellen sich gegenseitig. Der zweiten Speerwurfszene geht nun eine Kriegsnotiz unmittelbar voraus: David „schlug ... einen großen Schlag“ gegen die Philister (19,8 Image mit Image). Darauf versucht Saul erneut und wieder von einem bösen Geist beeinflusst, David angesichts dessen großen Schlagvermögens zu erschlagen.95

      1Sam 19,8–10: Und es kam wieder zum Krieg. Und David rückte aus und kämpfte gegen die Philister, und er schlug sie mit großem Schlag (Image), und sie flohen vor ihm. 9 Und ein böser Geist JHWHs kam auf Saul, als er in seinem Haus saß. Und sein Speer war in seiner Hand. Und David war mit seiner Hand beim Saitenspielen. 10 Und Saul suchte David mit dem Speer an die Wand zu schlagen. Aber er wich aus vor Saul, und er schlug den Speer in die Wand. Und David floh und entkam in jener Nacht.

      Die zweite Speerwurfszene bestätigt so mittelbar die Annahme zu Kap. 18, dass schon das Lied über Davids Gewaltvermögen Saul zur Gewaltanwendung gegen David veranlasst hat. Saul wirft beide Male den Speer, nachdem David als Schlagender in den Blick kam, zuerst als ein mehr Schlagender (18,7.8), dann als der Versetzer eines großen Schlages (19,8).

      Das Lied, seine Wahrnehmung durch Saul und das erste Speerwerfen zeigen den Lesenden nicht nur die Wende im Verhältnis zwischen Saul und David an. Damit beginnt auch im Lesegang das wiederkehrende Vorgehen Sauls gegen David, sei es, um David zu vernichten, oder sei es, um ihn nur auf Distanz zu halten.

      Hierbei ist ein Unterschied beim Wissensstand der Figuren zu beachten. Die Lesenden erleben eine erzählte Welt, in der das Zerwürfnis zwischen Saul und David von Saul her seinen Ausgang nimmt, und zwar im verborgenen Inneren Sauls. David hat in Kap. 18 keine Kenntnis davon, was Saul gegen ihn vorhat.

      Schon allein anhand der beiden Speerwurfszenen wird dieser Unterschied beim Wissensstand deutlich. In der zweiten wirft Saul nur einmal den Speer, worauf David nicht nur ausweicht, sondern auch sofort die Flucht ergreift (19,10). In der ersten Szene wirft Saul gleich zweimal; David aber weicht nur aus und sucht keineswegs das Weite. Denn im ganzen Kap. 18 weihen Sauls Selbstgespräche allein die Lesenden über seine Vorhaben gegen David ein (18,8.11.17.21;96 vgl. 18,25). Erst in 19,1–2 legt Saul seinen Knechten und Jonatan offen dar, David töten zu wollen. Sauls Tötungsabsicht erzählt Jonatan David weiter. Danach vermag zwar Jonatan Saul umzustimmen, und David kann Saul weiter dienen (19,2–7). Aber David hatte nun Jonatans Information gehört (19,2): „Mein Vater