Ottmar Fuchs

Wer's glaubt, wird selig ... Wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel


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der unbedingten Liebe Gottes auch denen gegenüber, die ihn zum Scheitern bringen: den Tätern, den Sündern und Sünderinnen – und das sind immer wieder die Gläubigen selbst. „Das … Handeln Gottes erweist sich vielmehr gerade im Tode seines Repräsentanten als wirksames Geschehen, in dem Gott den Tod seines … Boten zum Akt der Sühne werden ließ.“42

       3. Am Kreuz: für alle!

      Gott macht sich in Jesus Christus selber am Kreuz zum Leiden und auch zur Sünde: „Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5,21). Dichter kann man die Entgrenzung zum Sündigen bezüglich eines menschgewordenen Gottes, der selbst ohne Sünde bleibt, nicht mehr denken. Denn dies ist kein Schmierentheater, weil Jesus tatsächlich als der schlimmste Sünder behandelt wird, am Karfreitag im physischen Tod, am Karsamstag im ewigen Tod der Hölle. In Jesus Christus begegnet Gott eben von unten, in der ewig entgrenzenden Verausgabung für die Menschen im Leben und im Sterben. Insofern ist Gott heilig mit und für uns: Emmanuel, Gott mit uns.

      Jesus leidet am Kreuz für die Menschen, was sie an Reueschmerz und Sühne leiden müssten, und öffnet damit endgültig die Schleusen unendlicher Barmherzigkeit. Vielleicht kann man sogar sagen: Jesus wird am Kreuz zur Sühne für Gott selbst, weil es ihn reut, weil es ihm leidtut, all das Leid und all das Böse zugelassen haben.43 Jedenfalls hat Jesus den sinnlosen Schmerz außerhalb der Liebe, also die Hölle, an- und damit den Menschen abgenommen und genau dadurch ermöglicht, aus dieser Liebe heraus den Schmerz für leidbringende Taten zu empfinden und so – im Diesseits wie im Jenseits – für Gottes neue Welt geöffnet zu werden: leidsensibel und barmherzigkeitsfähig.

      Am Kreuz wird offenbar: Gott hält sich in Christus nicht aus unserem Leben heraus, sondern begleitet uns hautnah in unserer Freude und in unserem Leid. Nach Röm 8,26, worin der Geist Gottes mit seiner Schöpfung mitschmerzt und denen eine Stimme in Gott gibt, die nicht mehr beten können, spürt Gott in sich selbst den Schmerz der Kranken, die Hoffnungslosigkeit der Erniedrigten und das Leid derer, die um der Liebe und der Gerechtigkeit willen bedrängt und zerstört werden. So gewinnen die Menschen Hoffnung daraus, dass Gott sie jetzt bereits begleitet und, wie er am Kreuz diesen Weg selber bis ans Ende ausgehalten hat, auch ihren Weg mitaushält und mitträgt. Denn genau das macht Gottes Glaubwürdigkeit aus: Gott wird am Ende seine für alle letztlich rettende Gewalt zugunsten der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einsetzen, weil Gott sich jetzt bereits nicht aus der Notwendigkeit von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit heraushält. Das ist der tiefste Beweis der Liebe, dass sich Gottes Göttlichkeit auch in einer unendlichen Fähigkeit zeigt, uns im Leben, in der Freude, im Leiden und im Tod zuinnerst nahe zu sein. So zeigt Gott seine Liebe zu der Welt, wie sie ist, und zeigt sie, wie man sie intensiver nicht zeigen kann. Zum anderen aber zeigt Gott auch gerade darin, wie die Menschen in dieser noch unerlösten Geschichte aus dieser Liebe heraus leben können.

      Diese Perspektive eröffnet sich bereits im Gottesknechtslied: „Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, weil er verachtet ist; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt … Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf … Obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war. Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete den, der sein Leben als Sühneopfer hingab“ (Jes 53,3–10). Schon früh entdeckt die Verkündigung der jungen Kirche, dass der Jesajatext das Jesusgeschehen in seiner Bedeutung erschließt.

      Der „Gottesknecht“ leidet in Stellvertretung für die anderen, damit sie diese Gewalt nicht erleiden müssen. Für die sündigen Menschen, auch für die schlimmsten, wird diese Gewalt erlitten. Beim Gottessohn kommt dies darin zum Ausdruck, dass er darauf verzichtet, die himmlischen Heerscharen herbeizurufen und mit ihnen die Gewalttäter der Schädigung und dem Tod auszusetzen (vgl. Joh 18,11 und 36). Vom Kreuz aus sorgt er sich, dass auch den Schuldigen keine Gewalt angetan wird, auch von Gott nicht. Gott liebt nicht nur die Guten, sondern auch die Bösen, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter, nicht nur die Unschuldigen, sondern auch die Verbrecher.

      Wie das Zur-Sünde-gemacht-Werden zur innersten Identität Jesu gehört, so gehört – in unvergleichlichem Vergleich dazu – auch die Sündigkeit der Kirche zu den Merkmalen der Kirche, bei Jesus in Stellvertretung und in der Kirche in der unverschleierten Wahrnehmung der eigenen sündigen Wirklichkeit. Die Spannung von Anspruch und Wirklichkeit wahrzunehmen ist die Bedingung dafür, die Wirklichkeit selbst wahrzunehmen.

      Von daher erschließt sich auch der Satz des 1999 gestorbenen Neutestamentlers Helmut Merklein: „Wir können keine heile, wohl aber eine heilige Welt gestalten“ (Studien, Vorwort VIII). Auch im Unheil seiner tödlichen Krebserkrankung wusste er sich in der Heiligkeit, in der Nähe Gottes. Auch wenn wir keine heile Welt gestalten können, bleibt sie doch immer eine heilige, das heißt: eine, die in jeder Situation, auch in der letzten Ohnmacht, auch in der Sünde, mit Gott in Verbindung bleibt. Nichts fällt aus dieser in ihrer Gnade unendlichen Beziehung Gottes heraus. Denn geheiligt sein heißt, vom lebendigen Gott her niemals aus seiner Hand herausfallen können, auch nicht und gerade nicht im Unheil, auch nicht und gerade nicht in der Sünde und im Bösen, schon gar nicht an der totalen Handlungsgrenze, im Tod, und auch nicht im allerletzten Gericht.

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