ohnehin nichts hilft, nichts bringt und für nichts wirklich zu gebrauchen ist. Es wird sich im Folgenden zeigen, dass sie mit dem Nichtbrauchenkönnen und -müssen gar nicht so unrecht haben.
Heutzutage kommt Menschen aber nicht nur die Bedeutung des Glaubens abhanden, sondern leider auch die Bedeutung des Lebens, bis hinein in einen sich offensichtlich ausweitenden Bedeutungsverlust sogar hinsichtlich der Selbstwertigkeit des Lebens. Janne Teller ist hier in ihrem Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ erschreckend deutlich: „Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun, als ob – und eben genau dabei der Beste zu sein.“25 Und weil dies so ist, verlässt ein Schüler die 7. Klasse und setzt sich auf einen Pflaumenbaum. „Alles ist egal … Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist es mit allem … Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert.“ Und: „Nichts bedeutet irgendetwas … Das weiß ich schon lange. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.“26 Und: „In wenigen Jahren seid Ihr alle tot und vergessen und nichts, also könnt ihr genauso gut sofort damit anfangen, euch darin zu üben.“27 Und: „Ich sitze im Nichts. Und lieber im Nichts sitzen als in etwas, was nichts ist!“28
Eine solche Übung führt zur Apathie: „Wenn es etwas gibt, über das es sich lohnt sauer zu werden, gibt es auch etwas, worüber es sich lohnt, sich zu freuen. Wenn es etwas gibt, über das es sich lohnt zu freuen, gibt es auch etwas, was etwas bedeutet. Aber das gibt es nicht!“29 Die anderen jungen Menschen aus der Klasse wollen diesem Aussteiger aber beweisen, dass es Bedeutsames gibt.30 Und so fordern sie sich gegenseitig auf, die Symbole und auch die Wirklichkeiten dieser Bedeutung zu einem Berg der Bedeutung aufzutürmen. Es ist zum Teil erschütternd, was sie sich dabei gegenseitig abverlangen. Am Ende fallen der ganze Berg, das Sägewerk und der Aussteiger dem Feuer zum Opfer. Am Ende bleibt die Asche der Bedeutung, aber genau diese Asche wird jetzt von den Jugendlichen eingesammelt: „Ich habe immer noch die Streichholzschachtel der Asche vom Sägewerk und dem Berg aus Bedeutung. Dann und wann hole ich sie vor und schaue sie an. Und wenn ich vorsichtig die abgenutzte Pappschachtel öffne und auf die graue Asche blicke, bekomme ich dieses merkwürdige Gefühl im Bauch. Und selbst wenn ich nicht erklären kann, was das ist, weiß ich doch, dass es etwas ist, was Bedeutung hat. Und ich weiß, dass man mit der Bedeutung nicht spaßen soll.“31
Denn die Jugendlichen wissen: Wenn der Berg der Bedeutung nichts bedeutet, dann bleibt nichts übrig, weil dann nichts etwas bedeutet,32 dann ist auch das, was vom Berge übrig bleibt, die Asche, ohne Bedeutung.
Von Seiten des Glaubens kann man dieser Geschichte nicht antworthaft fordernd oder gar drohend begegnen, sondern nur solidarisch mitgehen und am Ende mitverweilen an der „Bedeutung“ verlorener Bedeutung, an dieser Asche, die am Ende doch etwas ist, was Bedeutung hat (vgl. Ijob 42,6).
Was ist bei all diesen hier nur vereinzelten Hinweisen und Spuren für die Zukunft des Glaubens religionskritisch in den Blick zu nehmen? Inwiefern begegnen in ihnen „Zeichen der Zeit“, die Entscheidendes zu „melden“ haben?
3. Gewalt im Glauben?
1. Allmächtig und gut?
In der christlichen Botschaft wird Gott die Allmacht zugesprochen, und sie wird auch nicht angesichts des Dilemmas abgesprochen: Wenn Gott allmächtig und gut ist, könnte er das Böse und das Leid verhindern; da Gotte es aber nicht tut, ist er entweder nicht allmächtig oder nicht gut. Im letzten Fall will Gott das Leid nicht verhindern und entpuppt sich dann als Satan, der allmächtig ist und als solcher alles geschaffen hat und ganz mit Absicht das Böse und das Leid mit hineingeschaffen hat, so dass alle Schöpfungen katastrophal zugrunde gehen und dieses Zugrundegehen zugleich auch ihr Schöpfungsziel ist. Will man aber daran festhalten, dass der allmächtige Gott zugleich ein guter Gott ist, dann muss es einen Grund, und zwar einen guten Grund, für das Böse und das Leid geben. Aber kann es das geben? Denn wenn der Grund zu „gut“ ist, also zu schnell beruhigt, dann täuscht er allzu leicht über den Tatbestand des Leidens und des Bösen hinweg.
In der Theologie hat man diesen guten Grund in der Freiheit der Menschen gefunden. Es muss kräftige Alternativen geben, zwischen denen sich Menschen entscheiden können, damit sie frei sind. Allerdings steht diese Freiheit unter dem Zwang, richtig zu entscheiden. Denn wer sich gegen das Gute und damit gegen den guten Gott entscheidet, fällt in die allerletzte Kombination von Bösem und Leid, in die Hölle zurück. Für Menschen, die sich gegen das Gute bzw. gegen Gott entscheiden, zeigt sich Gott angeblich als der vernichtende, der katastrophale Gott. So bindet man den richtigen Gebrauch der Freiheit an einen ganz bestimmten Gehorsam, der die Freiheit einschränkt. Mit der hintergründigen Drohung, dass die Ungehorsamen vom Heil Gottes wenig gestreift werden. Ist das ein guter Ausgang?
Der sozialpolitische Kampf um die Freiheit der Menschen ist, zumindest von seiner Absicht her, ein Kampf um eine gute Freiheit, um die Freiheit gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Das Pathos dieses Freiheitsbegriffs, der bereits die Wahl des Guten beinhaltet, kann also nicht auf den Freiheitsbegriff übertragen werden, der nicht die Wahl des Guten, sondern die Wahl zwischen Gut und Böse freigibt. Das Freiheitsargument ist zudem viel zu dünn, als dass es ernsthaft zur Verteidigung Gottes aufgerufen werden könnte. Wenn es stimmen sollte, dann müsste man annehmen, dass der Himmel, wo es diese Wahlmöglichkeit zwischen Gut und Böse nicht mehr gibt, ein Ort der Unfreiheit wäre. Und wenn es im Himmel eine neue Freiheit eigener Art geben würde, wäre die Frage, warum Gott diesen Himmel nicht von vornherein geschaffen hat, in einer Schöpfung ohne Leid, ohne das Böse und ohne den Tod. Außerdem: Im Erlebensfall des Leidens reicht das Freiheitsargument nicht aus, zu sagen: Gott lässt dies alles zu, weil ihm die Freiheit des Menschen wichtig ist. Man sage das einmal einem Menschen, der akut gefoltert wird. Der Erklärungswert des Freiheitsarguments erreicht nicht das Niveau dessen, was dieses Freiheitsexperiment Gottes mit den Menschen die Menschen (und im Christentum auch Gott) kostet.
Überhaupt ist es schon für sich ein Problem, wenn die Menschen sich einbilden, Gott verteidigen zu müssen.33 In der biblischen Klage wird Gott nicht entschuldigt, sondern beschuldigt. Gott gegenüber steht vielmehr die Doxologie (siehe unten Kap. 15) an, die betende Anerkennung der Gottheit Gottes, oft auch als dunkles Geheimnis über die Welt hinaus; und wenn es jene Klage ist, die Gott auch noch einmal in der Anklage durch den leidenden und auch den schuldigen Menschen Gott sein lässt, Gott größer sein lässt als das eigene Elend und die eigene Schuld34 und als solchen beansprucht und zur Rechenschaft zieht. Gott lieben heißt im Alten Bund auch das: sich der Gottheit aussetzen in dem Sinn, dass ihre göttliche Macht und Qualität anerkannt wird.
Die Bibel kennt kaum unwidersprochene Ursachenerklärungen für dieses Dilemma: Zwar gibt es die Vorstellung, dass erlittenes Leid mit vergangener Schuld (eigener oder der der Vorfahren) zu tun habe, aber diese Vorstellungen werden auch immer wieder aufgelöst und widerlegt, so dass man daraus keine generelle Einsicht machen kann. In der Bibel begegnet uns vielmehr das Bild des leidenden Gerechten, also gerade des Menschen, bei dem es in jeder Hinsicht unergründlich, unerklärbar und unbegründbar ist, warum er leiden muss. Und dann bleibt nichts anderes, als Gott die Frage entgegenzuschleudern und die Anklage, dass er, der in seiner Allmacht für alles verantwortlich ist, so im Stich lässt. Die Bedingung der Klage und der Anklage Gottes ist ja gerade, dass der Mensch noch an einen guten Gott glaubt, denn sonst könnte er ihn nicht in dieser Form – dass er die Not wenden möge – ins Gebet nehmen. Im Klagegebet kommt also die Beziehung zum allmächtigen Gott, der auch noch gut ist, und zum guten Gott, der auch noch allmächtig ist, in die Krise und wird darin ausgehalten. Heute fragen sich viele allerdings, warum man denn diese Spannung noch aushalten sollte, warum man nicht einen solchen Gott, möge er existieren oder nicht, lieber verabschieden müsste. Und zwar um des Menschen willen.
Die in Psalm 22 angesprochene Frage „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, die auch Jesus am Kreuz hinausschreit (vgl. Mk 15,34), bleibt also schmerzhaft offen und kann durch keine Erklärungsmätzchen in ihrer Radikalität eingeschränkt oder gar banalisiert