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Geist und Leben 1/2015


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von ihm ab, gingen weg und wandelten fortan nicht mehr mit ihm.“ Der Vers sollte nicht dazu weiterleiten, sich mit solchen Abwanderungsprozessen einfach abzufinden, sie sollten gründlich reflektiert werden. Das Johannesevangelium macht aber dem gegenwärtigen Protestantismus Mut, in aller notwendigen Veränderung nicht das aufzugeben, was evangelische Spiritualität ausmacht. Als Jesus seine Jünger fragt: „Wollt ihr auch gehen?“, antwortete Petrus stellvertretend: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,67f.) Menschen bleiben evangelisch um des Wortes Gottes willen.

      1H. Thyen, Studien zum Corpus Iohanneum (WUNT 214). Tübingen 2007, 548.

      2Ders., Das Johannesevangelium (HNT 6). Tübingen 2005, 367.

      3Vgl. ebd., 377f. [s. Anm. 2].

      4N. Luhmann, Funktion der Religion (stw 407). Frankfurt 1982, 111; vgl. C. Dinkel, Was nützt der Gottesdienst? Eine funktionale Theorie des evangelischen Gottesdienstes (PThK 2). Gütersloh 2000, 98; R. Kunz, Gottesdienst evangelisch reformiert. Liturgik und Liturgie in der Kirche Zwinglis (Theophil 10). Zürich 2001, 94f.

      5Vgl. WA 6,363,6–9: Denn so wie „vil mehr ligt an dem testament den an dem sacrament, also ligt vil mehr an den worten den an den tzeychen, dan die tzeychen mügen wohl nit sein, das dennoch der mensch die wort habe, und also on sacrament, doch nit on testament selig werde“.

      6Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands. Hrsg. von der Kirchenleitung der VELKD und im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der EKU. Berlin u.a. 1999, 16.

      7So etwa H. Thyen, Studien, 548 [s. Anm. 1].

      8Vgl. Lev 17,11: „Denn das Leben des Fleisches ist das Blut“.

      Kirche

      K

      Eva-Maria Faber | Chur

      geb. 1964, Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie

       [email protected]

      Geist und Leben

      Jesuanische Verheißung für eine anthropologische Suchbewegung

      Die Dramatik des Strebens nach Geist und Leben

      Lässt man das Szenario, welches das sechste Kapitel des Johannesevangeliums vorführt, auf sich wirken, so zeichnen sich zwei Bewegungen ab. Der Umbruch wird ab V. 41 deutlicher bemerkbar. In der einen Phase geschieht so etwas wie ein mystagogischer Prozess. Ausgehend von elementaren menschlichen Bedürfnissen entbirgt Jesus bei den ihm begegnenden Menschen dahinterliegende, tiefere Sehnsüchte. So sehr dieser Prozess in der johanneischen Darstellung nicht gerade harmonisch verläuft, so wenig verzichtbar ist er für das Verständnis der Verheißung von Geist und Leben.

      Was sich in der ersten Phase schon in Form von Irritationen und Missverständnissen ankündigt, kristallisiert sich in der zweiten Phase als Notwendigkeit der Entscheidung heraus. Geist und Leben stellen sich nicht unversehens ein, sondern haben Konturen, sind gebunden an die Person Jesu und verlangen darum den Entscheid, in einen Lebenszusammenhang mit ihm zu treten. Wenn die Jünger, als deren Sprecher Petrus auftritt, als Entschiedene für eine solche Bindung an Jesus dastehen, so hebt sie dies doch nicht fundamental von den anderen Menschen ab. Gemeinsam ist jenes allgemein-menschliche Streben nach Geist und Leben, das freizulegen und (bekannterweise bleibend auch bei den Jüngern) allenfalls zu reinigen ist. Unterschieden ist die Weise, wie dieser mystagogische Prozess zielführend in Einsichten und Lebensentscheidungen mündet, allenfalls in der Schwebe bleibt oder zu vorläufiger Ablehnung führt.

      Anthropologische Konstellationen

      „Geist“ und „Leben“, diese Worte rühren an die großen Leitsterne, aber auch den Hunger und Durst menschlichen Daseins. Dabei stehen die beiden Begriffe zwar auch jeder für sich für eine als wertvoll empfundene Wirklichkeit. Gleichzeitig bürgt gerade ihre Verbindung dafür, dass das Leben geistvoll und der Geist lebensprägend sein kann. Dabei scheint Leben die basalere Wirklichkeit zu sein, die in der Schöpfung von einfachen Formen bis hin zu komplexen Strukturen reicht. An dieser breiten Palette hat auch das menschliche Dasein teil. Je mehr jemand erfahren hat, was es bedeutet, wenn elementare Lebensvollzüge versagen, desto mehr tritt die Kostbarkeit des Lebens auf allen Stufen ins Bewusstsein. In eben dieser Selbstreflexivität macht sich der Geist bemerkbar, der überhaupt erst die Dimensionen von Freude und Leiden am Leben, von Wertschätzung und also Werterkenntnis an das Leben heranträgt. So entsteht das Bedürfnis nach „Spiritualität“: ein inzwischen weltanschaulich offener Begriff, der allen materialistischen Philosophien zum Trotz in irgendeiner Weise eine Lebensführung aus dem Geist bezeichnet. Dahinter steht die uralte Frage nach dem Leben, und zwar nach dem guten, wahren, dem eigentlichen Leben im Unterschied zu einem verflachten, verfehlten oder entfremdeten Leben. Ebenso dringlich ist die Frage, wie geistige Vorstellungen nicht auf der Ebene von Ideen bleiben, sondern in konkretes, alltägliches Leben umgesetzt werden können: wie also Geist und Leben eine Einheit bilden können.

      Die Begriffe „Leben“ und „Geist“ formulieren Hoffnungsziele, bezeichnen jedoch gleichzeitig auch eine Not. Niemand hat in der Hand, das Leben ohne Bedrohung leben, es gar genießen zu können oder es im Gegenteil versiegen zu sehen. Leben kann von Idealen erfüllt, ebenso aber unbarmherzig auf das Leibliche, Vegetative, Materielle reduziert erfahren werden. Welche Art von Geist ist dann noch tragfähig genug, zum Leben zu helfen? Niemand weiß, wie stabil entdeckte und gewählte Werte und Ideale die eigene Biographie prägen werden und ob sie sich als tragend oder als enttäuschend erweisen werden. Menschen erfahren, wie sie fähig sind, sich geistig-geistlich von Visionen leiten