dieser Unmittelbarkeit des Geschöpfes mit seinem Schöpfer Raum zu geben. Ignatius von Loyola scheint – an der Schwelle zur Neuzeit – wahrgenommen zu haben, dass der Weg christlichen Glaubens die individuelle, persönliche Zuspitzung braucht. In einer Zeit, in der Menschen sich vom christlichen Glauben abwenden, weil er nach ihrer Erfahrung nicht hinreichend auf die individualisierten Lebenssituationen einzugehen vermag, wäre es dringlich, diesen Schatz umso nachdrücklicher ans Licht zu heben.
1Vgl. das Vorwort der Schriftleitung Zum Geleit, in: GuL 20 (1947) 1f., hier: 2.
2Alle Versangaben im Text beziehen sich auf Joh 6, sofern nicht anders angegeben.
3Wenn hier und im Folgenden „christliche Spiritualität“ im Singular steht, darf nicht übersehen werden, dass es diese nur in pluralen Formen gibt. Gefragt werden soll hier aber nach gemeinsamen Spezifika solcher christlichen Spiritualitäten im Konzert anderer heterogener Perspektiven.
4Hier im konfessionellen Sinn verstanden.
Kirche
K
Ioan Moga | Wien
geb. 1979, Dr. theol., verheiratet, 3 Kinder, Priester der rumänisch-orthodoxen Kirche, Assistent für Theologie und Geschichte des christlichen Ostens an der Universität Wien
Metanoia im Zeichen der Schönheit
Zu einem Grundmotiv orthodoxer Spritualität
„Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben.“ (Joh 6,63) Diese Stelle im Evangelium scheint ein alttradiertes Vorurteil gegenüber der christlichen Spiritualität zu bestätigen: die Leibfeindlichkeit. Neuere Übersetzungen versuchen der scheinbaren Diastase pneuma – sarx auszuweichen, indem sie, anstatt die Begriffe „Fleisch“ oder „Leib“ zu verwenden, die Aussage umschreiben: „alle menschlichen Möglichkeiten richten nichts aus“ (Gute Nachricht) oder „ein Mensch kann dies nicht“ (Hoffnung für alle). Dadurch wird die Stelle nicht klarer, außer, dass man interpretatorisch die Polarität „Geist-Fleisch“ auf eine weitere Polarität „Gott (Gottes Geist) - Mensch“ überträgt. Damit ist freilich jegliche Relevanz menschlichen Mitwirkens im Erlösungswerk in Frage gestellt.
Christozentrik
Das Wort Jesu Christi in Joh 6,63 steht im Kontext der unmittelbar davor entfalteten Rede vom lebendigen Brot („Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ siehe Joh 6,51) und vom Essen des Leibes und des Blutes, das als einziger Modus der Vereinigung mit Jesus Christus (Joh 6,54–58) zu verstehen ist. Der Zusammenhang ist also ein ausgeprägt eucharistisch-mystischer; „eucharistisch“, weil hier ganz konkret vom Essen des Leibes und Trinken des Blutes Jesu Christi als Zugang zum ewigen Leben gesprochen wird (Joh 6,54), und „mystisch“, weil dieses Zu-Sich-Nehmen des Leibes Christi die innigste existentielle Verbundenheit mit sich bringt (Joh 6,56: „[…] bleibt in mir, und ich in ihm“). So gesehen, lässt sich die Aussage im Joh 6,63a wie eine veranschaulichende, anthropologische Tatsache lesen: wie bei einem Menschen das „Fleisch“ an und für sich nicht existieren kann, ohne den „Lebenshauch“, der es durchdringt, so sind die Worte über das „Brot des Lebens“ und über „mein(en) Leib“ (bzw. „mein Blut“) das, was den Menschen „in der Ewigkeit“ (Joh 6,58) lebendig hält – sie sind „Geist und Leben“. „Geist und Leben“ erscheinen hier als zwei Seiten derselben Realität, synonym zu weiteren Formulierungen, die in den früheren Versen zu finden sind: „vom Himmel herabgekommen“, „leben in Ewigkeit“ (vgl. Joh. 6,58).
Das Wesentlichste im ganzen Vers erscheint mir jedoch weder die vermeintliche Diastase von Geist und Fleisch (pneuma – sarx), noch die richtige Bestimmung des Verhältnisses zwischen Geist und Leben (pneuma – zoe) zu sein, sondern der Hinweis: „(die Worte), die ich zu euch gesprochen habe“: Jesus Christus steht im Zentrum. Er will in Beziehung treten zu den Menschen. Der Selbstanspruch Jesu Christi (gegründet auf seine Gottessohnschaft, vgl. Joh 6,57) ist soteriologisch orientiert: „Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit“ (Joh 6,59). Es geht nicht um „Geist und Leben“ im Allgemeinen, sondern um jenen Geist und jenes Leben, die in den Worten Jesu Christi präsent werden. Eine solche christozentrische Deutung von Joh 6,63 hat nichts Konfessionsspezifisches an sich. Sie bietet jedoch einen möglichen Einstieg in das Verständnis einiger Grundlagen der ostkirchlichen Spiritualität.
Zwei Grundmotive orthodoxer Spiritualität
Für die Wahrnehmung eines „Outsiders“, der aus purer Neugier an einem orthodoxen Gottesdienst teilnimmt, treten zwei fast polare Eindrücke in den Vordergrund: einerseits eine starke Sinnlichkeit, die fast überwältigend den/die Betrachter(in) visuell (Ikonen, Kerzen, Riten), olfaktorisch (Weihrauch), auditiv (Kirchenmusik) und motorisch (viele Kreuzzeichen, Kniebeugen, ja vielerorts das ständige Hin und Her der Gottesdienstbesucher(innen) während der Liturgie usw.) anspricht; andererseits ein starker asketischer Anspruch, der zumindest durch das lange Stehen und die Länge der Gottesdienste nicht zu übersehen ist. Für den praktizierenden „Insider“ werden diese zwei Grundelemente durch viele weitere Nuancen und Dimensionen der orthodoxen Liturgik und Spiritualität bestätigt.
Schönheit
Das erste Element – die starke Einbeziehung der Sinne – ließe sich auch auf nichttheologische Faktoren reduzieren. Dann wäre Einiges aus soziologischer und kulturhistorischer Sicht erklärbar (u.a. postbyzantinische Kulturwelt, fehlende Gesamtauseinandersetzung mit der Aufklärung). Damit wäre aber die Chance vertan, hier eine theologisch fundierte und bereits in der Alten Kirche verankerte Ausrichtung ostkirchlicher Spiritualität zu erkennen. Diese würde ich – ohne an erster Stelle gleich an die berühmte Philokalia zu denken – mit Sehnsucht nach Schönheit umschreiben.1 Die gesamte liturgische Welt der Orthodoxen Kirche ist nicht Ausdruck eines kargen, düsteren Fliehens aus der Welt, sondern eine freudvolle Öffnung der sichtbaren Schönheit dieser Welt hin zum Unsichtbaren. Gott sucht Gemeinschaft nicht nur mit dem menschlichen Geist, sondern mit dem ganzen Menschen.2 Dieses altkirchliche Prinzip (die „Aufnahmefähigkeit“ des sterblichen Leibes für das Göttliche3) impliziert auch das Zum-Ausdruck-Bringen des Heilsgeschehens in Farben, Tönen und Bewegungen, d.h. den Kultus insgesamt. Wer ostkirchliche Spiritualität auf die eschatologische Perspektive (Stichwort theosis) reduziert, verkennt den inkarnatorischen Grundgedanken der Liturgie und der Ikonographie. Die gesamte Ikonographie gründet auf der im 8. Jh. dogmatisch festgelegten Grundansicht, dass der menschgewordene Gott in der Person Jesu Christi darstellbar sei und dass die Verehrung des „Bildes“ Jesu Christi auf sein „Urbild“ übergeht. Für sich allein wäre „das Fleisch“ (sarx) nichts nütze (vgl. Joh 6,63) und jede Art der religiösen Verehrung der Materie nur Götzendienst. Doch die Ikone hat dienenden Charakter, sie weist auf die göttliche Realität hin, die durch die Menschwerdung und die Auferstehung des Sohnes Gottes die ganze Materie zu einer neuen Daseinsweise erhöht hat. Jede Ikone ist somit in erster Linie ein Bekenntnis der Menschwerdung und der Auferstehung Christi. Der Geist muss Leben werden, Gestalt und Farbe annehmen, im sarx (d.h. in der Geschichte, in der eigenen Biographie usw.) sich bewähren und – durch das Kreuzigen alles „Fleischlichen“ – dieses „Fleisch“ zu einer neuen Schönheit erstrahlen lassen.
Die Bejahung des Leiblichen und des Sichtbaren, welches in der Menschwerdung soteriologische Bedeutung erlangt, zählt somit zu den Grundelementen des religiösen Lebens: Der/Die Glaubende kann nicht den Weg des