Jörg Seiler

Aussöhnung im Konflikt


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Ihnen der Öffentlichkeit zu übergeben. Man kann also, wie Sie heute sagten, nie genug diskret sein auch in diesen Dingen und besonders in diesen.“22 Am Rande des Schreibens fügte er ergänzend hinzu, dass „auch nicht der polnischen oder einer anderen Presse“ die Botschaft zugeleitet worden sei. Für Kominek handelte es sich dabei um ein Missverständnis, dem er „auf die Spur gekommen“ sei und welches erkläre, weshalb die Botschaft des polnischen Episkopats noch nicht bei Kardinal Döpfner angekommen war:

      „Als die Botschaften an die Bischofskonferenzen versandt wurden, war[en] weder Kard. Wyszyński noch ich im Hause. Die Boten trugen sie in die römischen Wohnungen der Vorsitzenden der jeweiligen Bischofskonferenz nach Annuario Pontificio. Der Brief, der an Sie, Eminenz, gerichtet werden sollte, wurde bei S. Em. Kard. Frings abgegeben, weil er als Vorsitzender verzeichnet ist. Also ein ganz technischer Fehler, für den ich Sie, Eminenz, tausendmal um Entschuldigung bitte.“23

      Besonderes Interesse verdient dabei Komineks anschließende Annahme, die vordergründig aus dem Zusammenhang fällt: „Wir alle waren überzeugt, dass er [der Brief – S.G.] schon seit etlichen Tagen in Ihrem Besitz ist und haben schon über ihn privat gesprochen“.24 Da dies offensichtlich nicht der Fall war und die polnische Seite nicht wissen konnte, wann Kardinal Frings zurückkehren würde, fügte Kominek seinem Schreiben an Döpfner vom 25. November eine „sehr schäbige Kopie“ der polnischen Versöhnungsbotschaft als „Quasioriginal“ bei. Mit dieser „Abschrift“, die auf den 1. November 1965 datiert ist, verband Kominek die Hoffnung, „weiteren Missverständnissen den Weg zu verlegen.“25

      Zwischenzeitlich und teilweise parallel zu den oben geschilderten Vorgängen begannen Gerüchte und Mutmaßungen den Brief des polnischen Episkopats zu begleiten. Obwohl Kominek am 27. November Döpfner erneut beteuert hatte, dass „weder die polnische noch die deutsche Presse, noch irgendjemand“ ein Exemplar der Botschaft erhielt, blieb das Durchsickern des Briefes an die Medien das beherrschende Thema im Kreis der deutschen Konzilsteilnehmer.26 Daran änderte auch die am 30. November erfolgte offizielle Veröffentlichung des polnischen Einladungsschreibens durch die dpa nichts. So wurde u.a. vermutet, dass Kardinal Frings den Text der Presse zugespielt hatte. Unter dem 1. Dezember 1965 vermerkte der Kirchenhistoriker und Berater des Kölner Kardinals, Prof. Hubert Jedin, in seinem Tagebuch: „Beim Abendessen wird erzählt, dass der Brief der polnischen Bischöfe in die deutsche Presse gelangt ist – und zwar durch Frings“, was Jedin jedoch stark bezweifelte.27 In Teilen der deutschen Konzilsdelegation machte man Erzbischof Kominek für die Indiskretion verantwortlich und unterstellte ihm dabei gezielte Absicht. In einer anonymen, unter den deutschen Bischöfen kursierenden Einschätzung über die polnische Botschaft und ihre bevorstehende Beantwortung heißt es:

      „Die ‚Botschaft‘ ist sicherlich das Ergebnis gründlicher Studien und sorgfältiger Überlegungen, welche den Zeitpunkt ihrer Übergabe an den deutschen Episkopat betreffen […]. Eine endgültige Antwort mit Annahme der Einladung am Tage vor dem Schluß des II. Vatik[anischen] Konzils würde zweifellos eine außerordentliche Publizität gewinnen. Von einer zu solchem Zeitpunkt gegebenen endgültigen Antwort könnte sich der Episkopat ohne entsprechenden Verlust an Ansehen nicht distanzieren. Ein Hinausschieben jeglicher Antwort kommt natürlich vor Konzilsschluß nicht in Frage, weil sonst der deutsche Episkopat als Friedensstörer erschiene. Auch dieser Eindruck könnte später kaum verwischt werden. (Vulgär gesprochen: er würde mit dem schwarzen Peter in der Hand präsentiert).“28

      Der anonyme Verfasser empfahl, die Annahme der Einladung zu den polnischen Millenniumsfeiern sollte „sorgfältig überlegt werden“, was aber „bis zum 6. Dezember“, also bis zum Abschluss des Konzils „kaum möglich sein“ dürfte.29

      Ob beabsichtigt oder nicht, manövrierte Komineks Indiskretion die deutschen Bischöfe in eine unangenehme und komplizierte Lage. Das „Entsetzen“ Spülbecks über diesen Vorgang sowie die harschen Vorwürfe an die Adresse des Breslauer Erzbischofs legen nahe, dass die deutschen Ordinarien nicht unbedingt vorhatten, ihre Antwort vor Abschluss des Konzils zu formulieren, sondern diese wohl später nachreichen wollten. Eine vertrauliche Übergabe der Versöhnungsbotschaft hätte ein solches Vorgehen durchaus ermöglicht und der deutschen Seite dadurch einen größeren Zeitrahmen geboten, ihr Antwortschreiben gründlicher vorbereiten zu können. Seit dem Bekanntwerden des Textes unter den Pressejournalisten war diese Option jedoch obsolet geworden. Ein etwaiger Versuch diese Angelegenheit über einen längeren Zeitraum (von mehreren Monaten) gänzlich geheim zu behandeln, wäre höchst wahrscheinlich gescheitert, da der polnische Brief gleichzeitig mit weiteren 56 Einladungen zur Teilnahme an den polnischen Millenniumsfeierlichkeiten im Mai 1966 an nationale Episkopate ergangen war, so dass davon auszugehen gewesen wäre, dass letztere deren Erhalt bestätigen und die jeweilige Antwort publik machen würden. Hierzu hätten die Spitzen der katholischen Kirche in Deutschland nur schwerlich schweigen und sich damit ausschließen können.30 So blieb im Ergebnis die mögliche Absicht, die Botschaft des polnischen Episkopates nach Beendigung des Konzils zu beantworten und beide Dokumente erst danach gemeinsam zu veröffentlichen, mit Komineks Indiskretion durchkreuzt. Auf die Frage des Zeit-Korrespondenten Werner Höfer, ob es „Absicht“ oder „Zufall“ war, „daß der Brief der polnischen Bischöfe kurz vor Konzilsende veröffentlicht wurde?“, antwortete Bischof Hengsbach vielsagend, dass dies „keine Absicht, wohl aber ein seltsamer Zufall“ war und schloss daran die besagte Story vom Missgeschick bei der Zustellung des polnischen Briefes an.31

      Bischof Hengsbach sprach damit eine Frage an, die häufig als Entschuldigung für die deutschen Bischöfe angeführt wird, wonach es ihnen nicht möglich war, eine weitreichende, alle Konsequenzen bedachte Antwort von Rom aus erfüllen zu können, da die entsprechenden Beratungen und Rücksprachen in der Kürze der Zeit kaum durchführbar waren. Aus dem so entstandenen Zeit- und Handlungszwang leitet man eine vermeintlich plausible Erklärung dafür ab, weshalb der deutsche Episkopat erst Ende November begonnen hatte, ein Antwortschreiben zu erstellen, obwohl die Bischöfe der ‚kleinen Kommission‘ bereits einen Monat zuvor über dessen Inhalt bestens informiert waren.32 „Nun überstürzte sich alles; denn binnen einer Woche sollte der Antwortbrief fertig sein“, beschrieb Schaffran die Momentaufnahme nach der Verteilung der Botschaft unter den deutschen Bischöfen.33 Ähnlich erinnerte sich Prälat Theodor Schmitz, ihm zufolge haben die deutschen Bischöfe erst „nach Erhalt“ des polnischen Briefes „Überlegungen über die Art einer Antwort“ angestellt.34

       2. Die verspätete Zustellung des Versöhnungsbriefes

      Wie aus den Tagebuchaufzeichnungen Otto Spülbecks hervorgeht und wie andere Quellen ebenfalls bestätigen, wurde der polnische Brief vervielfältigt und zwischen dem 27. und 29. November an die deutschen Bischöfe in Rom verteilt.35 Nach der oben zitierten Darstellung sollen Boten das offizielle vom 18. November 1965 datierte Dokument – zeitgleich mit weiteren 56 Einladungsbriefen an die katholischen Episkopate anderer Länder – an die römische Adresse von Kardinal Frings zugestellt haben.36 Eine genaue Angabe zum Zeitpunkt der Überbringung machte Kominek allerdings nicht. Eine polnische Quelle aus der römischen Umgebung Komineks gibt den 24. November als Tag der Übergabe an. Letztere sollte jedoch mit kritischem Vorbehalt betrachtet werden, da es sich hierbei nicht um eine Information eines unmittelbaren Zeugen oder Beteiligten handelt, sondern diese über Dritte gewonnen wurde.37 Dennoch trägt sie sowie die Aufregung unter den deutschen Bischöfen in den darauffolgenden Tagen nach Erhalt des Schreibens dazu bei, dass sich der Zeitpunkt der Übergabe des polnischen Versöhnungsbriefes um den 24. November verdichtet. Als ausgeschlossen gilt hingegen die Zustellung der Botschaft am 18. November, also am Tag ihrer Datierung. Kardinal Frings verließ Rom erst am Mittag des 20. November und kehrte am 29. des Monats zurück.38 Eine Übergabe in den Tagen unmittelbar vor seinem Abflug wäre ihm zweifelsfrei bekannt gewesen. Während Frings‘ Abwesenheit führte sein Generalvikar Joseph Teusch mit Hilfe einer Sekretärin die Geschäfte des Kardinals weiter. Teusch nahm täglich auch dessen Post entgegen und bearbeitete diese.39 Spätestens hier erweist sich die gern bemühte Behauptung, der polnische Brief wäre mehrere Tage ungeöffnet und gar unbemerkt im römischen Büro Kardinal Frings’ liegen geblieben, als unhaltbar. Generalvikar Teusch versah