Jörg Seiler

Aussöhnung im Konflikt


Скачать книгу

Bestand hat.“99 Und: „Gemeinsam erinnern wir daran, dass die Feindschaft zurückschlug, als die Waffen schwiegen. Jetzt wurden Menschen oft verfolgt, nur weil sie Deutsche waren.“100 Nur wenige Monate später tauchten diese Positionen in einer Erklärung der Bischöfe nach einem Treffen in Gnesen (20.-22. November 1990) aber nur noch in der sehr abgeschwächten Formulierung wieder auf, man wolle Überlegungen anstellen, ob „nicht eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Fachleuten die völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Vertreibung, über die noch unterschiedliche Meinungen bestehen, aufarbeiten könnte.“101 In der zweiten gemeinsamen Erklärung richteten die Bischöfe 2005 den Blick dann wieder nach vorne und formulierten die beiderseitige Entschlossenheit, „im engen Miteinander entschiedener das künftige Europa mit zu gestalten“102.

      „Mit diesem Einsatz für die Gestaltung Europas wollen wir auch zum Aufbau einer friedlichen Welt beitragen. Dazu gehört auch, dass Europa sich glaubwürdig um ein zukunftsfähiges Verhältnis zu den Ländern des Südens und Ostens einsetzt.“103

      Die Bischöfe sahen aber auch mit Sorge, dass die Erinnerung an die finsteren Stunden der Vergangenheit nicht nur den Geist der Versöhnung gebiert, sondern auch alte Wunden wieder aufreißt. „Dem Ungeist des Aufrechnens, der die Menschen gegeneinander aufbringt, erteilen wir eine eindeutige Absage.“104 Kardinal Lehmann erinnerte immer wieder neu daran, dass wir nicht nur hören, welches Erbe wir übernehmen, sondern auch, welche Formen es heute für die Fortführung gibt:

      „Wir müssen uns noch mehr als bisher im neuen Europa miteinander für ein gemeinsames europäisches Haus in einem vom christlichen Glauben inspirierten Geist einsetzen, ja dafür kämpfen.“105

      1 K. Lehmann, Unrecht der Geschichte – Perspektiven der Versöhnung. Rede beim Tageskongress „Gegen Unrecht und Gewalt – Erfahrungen und Perspektiven kirchlicher Versöhnungsarbeit“ am 30.1.2001 in Mainz, in: Kl. Barwig/D. R. Bauer/K.-J. Hummel (Hgg.), Zwangsarbeit in der Kirche. Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung, Stuttgart 2001, 67-77, hier 70.

      2 H. Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: Historische Zeitschrift Bd. 236, 1983, 579-599.

      3 Nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichneten sich fast 90 % der Franzosen als katholisch. Siehe M. Albert, Die Katholische Kirche in Frankreich in der vierten und fünften Republik, Rom u. a. 1999, 24; ders., Frankreich, in: E. Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Bd. 1: Mittel-, West- und Nordeuropa, Paderborn u. a. 1998, 163-222, hier 164.

      4 Ende 1946 waren rund 95 % der polnischen Bevölkerung katholisch. Siehe J. Kopiec, Polen, in: E. Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Bd. 2: Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa, Paderborn u. a. 1999, 95-131, hier 102.

      5 Zitiert nach K. v. Beyme (Hg.), Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt, München 1979, 43-73, hier 71.

      6 Ebd., 69.

      7 Das Manuskript dieses Beitrags geht auf den öffentlichen Abendvortrag des Verfassers im Rahmen der Erfurter Tagung „50 Jahre polnisch-deutscher Briefwechsel. Aussöhnung im Konflikt“ 30.-31. Oktober 2015 zurück und wurde für den Druck lediglich mit den notwendigen Nachweisen ergänzt.

      8 Abgedruckt in: Publik 48, 27.11.1970, 23.

      9 W. Brandt, Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, Hamburg 1976, 240f.

      10 Manfred Plate in einer Besprechung der Erinnerungen von Bartoszewski, in: Christ in der Gegenwart 28 (10.7.2005).

      11 T. Mechtenberg, Deutschland - Polen: Die Öffentlichkeitswirksamkeit der EKD-Denkschrift im Vergleich zum Briefwechsel der katholischen Bischöfe 1965, in: Ost-West-Informationsdienst Nr. 189 (1996), 41-50, hier 41.

      12 B. Kerski, Die Rolle nichtstaatlicher Akteure in den deutsch-polnischen Beziehungen vor 1990, in: W.-D. Eberwein/B. Kerski (Hgg.), Die deutsch-polnischen Beziehungen 1949-2000. Eine Werte- und Interessengemeinschaft, Opladen 2001, 75-111, hier 108. Kerski nennt in diesem Zusammenhang das „Kooperationsnetz zwischen Eliten, über das Informationen und Meinungen ausgetauscht oder persönliche Kontakte geknüpft werden konnten“ und das auch bei sich verändernden außenpolitischen Prioritäten wirksam blieb, weil es Personengruppen mit ähnlichen Zielsetzungen verband, die sie gemeinsam in ihren Gesellschaften durchzusetzen versuchten.

      13 Nachdem er zuerst an den Brief der polnischen Bischöfe und „den berühmten Satz über die Vergebung“ erinnert und „den bewegenden Kniefall Willy Brandts zu Füßen des Ghetto-Denkmals in Warschau“ hervorgehoben hatte, zählte Mazowiecki namentlich folgende Persönlichkeiten auf: Anna Morawska, Mieczysław Pszon, Jan Józef Lipski, Stanisław Stomma, Władysław Bartoszewski, Karl Dedecius, Marion Dönhoff, Lothar Kreyssig, Günter Särchen, Reinhold Lehmann.

      14 Rede von Mazowiecki zum 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945 vor dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, in: Berichte und Dokumente Nr. 67, 1995, 11.

      15 Vgl. W. Bartoszewski, Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Die Erfahrung meines Lebens, Freiburg 1986; ders., Kein Frieden ohne Freiheit. Betrachtungen eines Zeitzeugen am Ende des Jahrhunderts, Baden-Baden 2000; ders., Die deutsch-polnischen Beziehungen: gestern, heute und morgen, Konstanz 2002; ders., „Und reiß uns den Hass aus der Seele“. Die schwierige Aussöhnung von Polen und Deutschen, Warschau 2005; sowie die Laudatio von Hans Maier und die Danksagung Bartoszewskis anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 1986: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.), Władysław Bartoszewski. Ansprachen anlässlich der Verleihung, Frankfurt/Main 1986.

      16 Bernhard Vogel am 27. September 2003 in der Katholischen Akademie Berlin anlässlich der Feier zum 30jährigen Bestehen des Maximilian-Kolbe-Werks.

      17 A. Stempin, Das Maximilian-Kolbe-Werk. Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung 1960-1989, Paderborn 2006, 92-99, hier 97.

      18 Zentralarchiv des Bischöflichen Ordinariats Magdeburg (ZBOM), GS II., Wojtyła an Günter Särchen, 14.12.1964.

      19 H. Stehle, Der Briefwechsel der Kardinäle Wyszyński und Döpfner im deutsch-polnischen Dialog von 1970-1971 in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31 (1983), 536-553, hier 537.

      20 Wort aus Berlin. Rundfunkansprachen und Predigten des Bischofs von Berlin, Julius Kardinal Döpfner, Bd. 2, Berlin 1961, 98-114.

      21 Vgl. KNA, Aktueller Dienst Vatikan Nr. 277, 29.11.1990.

      22 Hinführung und Begrüßung durch Karl Kardinal Lehmann bei der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung am 21. September 2005 in Fulda, in: Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz, 21.9.2005, 1.

      23 KNA, Dokumentation Nr. 25, 9.9.1965, 1.

      24 Ebd., 4.

      25 Ebd.

      26 Zitiert nach O. B. Roegele, Versöhnung oder Haß? Der Briefwechsel der Bischöfe Polens und Deutschlands und seine Folgen. Eine Dokumentation, Osnabrück 1966, 104-118, hier 117.

      27 Erzbischöfliches Archiv München / Kardinal-Döpfner-Archiv (EAM KDA) 43/1965, 10.

      28 Ebd.

      29 Vgl. den Bericht an das Auswärtige Amt vom 30.10.1965, in: M. F. Feldkamp (Hg.), Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Heiligen Stuhl 1949-1966. Aus den Vatikanakten des Auswärtigen Amts. Eine Dokumentation, Köln 2000, 486f.

      30 KNA, Aktueller Dienst Inland, Nr. 195, 4.9.1965.

      31 Ebd.

      32 Die ZEIT, 29.10.1965.

      33 Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Brüder in Christi