sich zugefügten und erduldeten schweren Unrechts und Leids, sondern allein der Wille zur Versöhnung und die gemeinsame Suche nach neuen Wegen friedlichen Zusammenlebens können für die Völker den Weg in eine bessere Zukunft ebnen und gewährleisten.“76
„Ich werde Euch liebe Brüder sehr dankbar sein, wenn Ihr Euch weiterhin darum bemüht, diese Kontakte noch zu vertiefen. Dabei haben wir die Geschichte der Kirche und der Christenheit dieser Nation in ihrer tausendjährigen Dimension vor Augen, in der das Leben ihrer Bürger oft nicht leicht gewesen ist. Diese Nation ist Euch von der göttlichen Vorsehung als unmittelbarer östlicher Nachbar gegeben worden.“77
Eine besondere Mahnung erging an die polnischen Landsleute des Papstes in der Bundesrepublik, mit denen er in Mainz zusammentraf:
„Wenn man ein neues Leben unter veränderten zivilisatorischen Bedingungen beginnt, darf man sich nicht kritiklos faszinieren lassen. Man darf sich nicht durch die technische Zivilisation auf Kosten des Glaubens, des inneren Lebens, der Liebesfähigkeit – mit einem Wort –, zu Lasten all dessen, was für das wahre Menschsein, für die volle Dimension und die Berufung des Menschen entscheidend ist, verschlingen lassen.“78
Der Zukunftsaspekt dominierte auch die ökumenischen Gespräche:
„Gerade in Ihrem Lande, in dem Martin Luther geboren wurde und die ‚Confessio Augustana‘ vor 450 Jahren verkündet worden ist, erschien mir diese Herausforderung für die Zukunft als überaus wichtig und entscheidend. Um was für eine Zukunft handelt es sich? Es geht um jene Zukunft, die für uns als Jünger Christi aus dem Gebet Jesu im Abendmahlssaal hervorgeht, aus dem Gebet: Ich bitte Dich, Vater, ‚alle sollen eins sein‘ (Johannes 17/21).“79
9. Solidarność, Solidarität und Stagnation
Bei dem Deutschlandbesuch des Papstes 1980 war nicht abzusehen, dass sich binnen Jahresfrist die Rahmenbedingungen der deutsch-polnischen Beziehungen grundlegend verändern würden. Am 13. Mai 1981 wurde Papst Johannes Paul II. bei einem Attentat in Rom schwer verletzt, wenige Tage später, am 28. Mai 1981, verstarb in Warschau Primas Wyszyński. Die Auseinandersetzungen um soziale Reformen und politische Freiheit in Polen, die zunächst zur Gründung der freien Gewerkschaft „Solidarität“ führten, weiteten sich binnen kurzem zu einer Protestbewegung großer Teile des polnischen Volkes aus, der die Regierung am 13. Dezember 1981 nur noch durch die Ausrufung des Kriegsrechts Herr zu werden glaubte.
Die persönliche Bedrohung vieler politisch engagierter polnischer Katholiken, zu denen oft jahrelang gewachsene Verbindungen bestanden, und die katastrophale Versorgungskrise führten bei den deutschen Katholiken zu einer in diesem Ausmaß einmaligen Solidaritätswelle und intensiven Gebets- und Solidargemeinschaft. Hans Maier beschwor Bundesregierung, Bundestag und politische Parteien, Polen in seinem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung jetzt nicht allein zu lassen und forderte doppelte Solidarität ein, die Solidarität des Gebetes und der helfenden Tat und die Solidarität der entschiedenen politischen Stellungnahme. Bernhard Vogel hatte sich 1976 als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken mit dem Versprechen verabschiedet, mit Nachdruck alle Forderungen nach größerer Freiheit der Kirchen in den Ländern unter kommunistischer Herrschaft zu unterstützen und die Solidarität mit allen bekräftigt, die sich für die Menschenrechte in diesen Ländern einsetzen. Diese Unterstützungsversprechen aller Katholiken wurden nach der Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 eingefordert, als die gesellschaftlichen Veränderungen in Polen von einer drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage begleitet wurden. Der Aufruf der deutschen Bischöfe vom 13. Januar 1982 zu einer Sonderkollekte löste eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft aus. „Hunderte Millionen Mark werden gespendet, unzählige Hilfen versuchen auf mannigfachen Wegen die Not der Kleinkinder und der alten Menschen zu lindern. Durch Pakete und Briefwechsel entstehen zehntausende von persönlichen Verbindungen.“80
Die vorrangigen innenpolitischen Probleme und die Behinderung der katholischen Laienorganisationen in Polen durch die Auswirkungen des Kriegsrechts beeinflussten die deutsch-polnischen Beziehungen dann aber doch auch negativ. „Einem friedlichen Verhältnis“, so Reinhold Lehmann, „steht immer noch die Ungleichheit der Beziehungen entgegen. Die Deutschen sind materiell die Gebenden, die Polen die Nehmenden.“81
Die außergewöhnliche Hilfs- und Opferbereitschaft der gesamten deutschen Bevölkerung zugunsten der polnischen Bevölkerung zeigte an, dass die Versöhnung der Polen und der Deutschen gesellschaftlich inzwischen eine gewisse Reichweite erlangt hatte, wenn aktuelle Not zu lindern war.
Die erste deutsche Demonstration gegen das Kriegsrecht fand als Schweigemarsch am 22. Dezember 1981 in Köln statt. Die Deutsche Bischofskonferenz, das Zentralkomitee, Pax Christi und zahlreiche Verbände kooperierten damals auf Initiative des BDKJ und forderten die Freilassung aller Verhafteten.
„Seht auf Polen, auf den Kampf dieses tapferen Volkes! Lasst es nicht allein! […] Einer wachsenden Zahl von Deutschen wurde klar, dass in Polen auch ihre Sache – die Sache der Freiheit, der Menschenrechte – verhandelt wurde.“82
Und was ebenso wichtig war: Seit den Tagen der Gründung freier Gewerkschaften und der Streiks auf der Danziger Werft „erlebten die Deutschen die Polen nicht mehr nur als Fordernde, sie erlebten sie als Menschen, die in das künftige Europa eine lebenswichtige Mitgift einzubringen hatten.“83
„Der entscheidende Umbruch im Verhältnis zwischen Ost und West und damit zwischen unseren beiden Völkern ging von der moralisch und nicht selten auch religiös begründeten Solidaritätsbewegung in Polen aus. Er führte in der Konsequenz zum Zusammenbruch des totalitären Systems und zum Fall der Mauer, die Deutschland und Europa 40 Jahre lang getrennt hat.“84
Die Gespräche der deutschen und polnischen Katholiken gerieten in den 1980er Jahren dennoch ins Stocken, in eine „Phase der Bewährung“, wie es der Sekretär der Deutschen Bischofkonferenz und spätere Bischof von Hildesheim, Josef Homeyer, ausdrückte. Verständlicherweise konzentrierten sich die polnischen Katholiken in ihrem Überlebenskampf zunächst einmal verstärkt auf sich selbst. Der Kontakt der deutschen Bischöfe zu dem neuen Primas Glemp musste sich erst entwickeln. In der Grenzfrage, die zu einer Art Lackmustest der Verständigung geworden war, gab es keine Fortschritte. Die deutschen Bischöfe sahen sich nicht legitimiert, einen förmlichen Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete zu erklären. Die polnischen Bischöfe waren sehr zurückhaltend, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in Bezug auf die deutsche Einheit zu unterstützen. Die bilateralen Beziehungen erwiesen sich in diesen Jahren aber als belastbar. Man unterstützte sich, wo man sich unterstützen konnte, und musste an den wunden Punkten den eigenen Standpunkt nicht verschweigen.
Noch im Oktober 1985 war ein Versuch der Bischöfe gescheitert, eine gemeinsame Erklärung zur Grenzfrage zu verabschieden. Die Verlegenheit auf beiden Seiten, zwanzig Jahre nach dem Briefwechsel eine angemessene Form der Erinnerung zu finden, war kein gutes Omen für die Qualität der damaligen Beziehungen.
Die Bischöfe, die sich zu einer außerordentlichen Synode in Rom aufhielten, trafen sich aber anlässlich des 20. Jahrestags des Austauschs der Vergebungsbotschaften im Dezember 1985 in der Titelkirche von Primas Glemp Santa Maria in Trastevere. Kardinal Höffner erinnerte dabei an seinen Vorgänger Kardinal Döpfner (1970):
„Die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland wünscht entschieden, dass alle, die in jenen Gebieten östlich der Oder und Neiße wohnen, dort in Frieden und Sicherheit leben können und dass niemand jetzt und in Zukunft ihnen einen Zwang auferlegt.“85
Höffner stellte aber auch noch einmal klar:
„Weil das Verständnis für dieses Grundbedürfnis des polnischen Volkes bei uns allgemein verbreitet ist, hoffen wir auch, dass die polnischen Mitbrüder uns verstehen, wenn wir eine solche Erklärung nicht vermischen wollen und können mit einer Stellungnahme zur Frage einer noch ausstehenden abschließenden Friedensordnung für unser Land als Ganzes und für den ganzen gespaltenen europäischen Kontinent. Eine solche herbeizuführen oder für überflüssig zu erklären, steht nicht in der Macht der Kirche.“86
10. Maximilian